Mythor 3: Die Goldene Galeere. Paul WolfЧитать онлайн книгу.
warst in der Gruft bei den Wasserfällen von Cythor?«, fragte der Herzog.
»Jawohl«, antwortete Nyala an Mythors statt. »Er ist der einzige, der wiederkehrte, ohne an Geist oder Körper Schaden genommen zu haben. Was für ein deutlicheres Zeichen kann man denn noch verlangen! Für mich steht es fest, dass er der Auserwählte ist, dessen Ankunft der Lichtbote dereinst prophezeite.«
Sie hatte Mythors Arm ergriffen und klammerte sich daran. Er sah sie nur kurz an und wich dann ihren suchenden Augen aus, die voll Hoffnung und Zuversicht waren. Er fühlte sich unbehaglich, denn er spürte nicht die Kraft in sich, ihre Erwartungen erfüllen zu können.
Er hatte in jener unheimlichen Gruft vom Geist der Gwasamee ein Ziel genannt bekommen: Xanadas Lichtburg, wo er sich das Gläserne Schwert Alton beschaffen sollte. Aber die Erscheinung hatte sich in giftige Dämpfe aufgelöst, ehe sie ihm verraten konnte, wie diese Lichtburg zu finden war und wie er sich in den Besitz dieses Schwertes bringen konnte. Er war dennoch entschlossen, sein Glück zu versuchen. Aber als Gefangener an Bord eines Caer-Schiffes und unterwegs zum Inselteil des tainnianischen Reiches, entrückte die Verwirklichung seines Vorhabens in immer weitere Ferne.
»Wenn du es bist«, sagte Herzog Krude, »dann verscheuche die Düsternis, die von allen Seiten auf uns eindringt. Mache dem uns bedrohenden Spuk ein Ende.«
»Vater, wovon sprichst du?«, fragte Nyala besorgt.
»Seht ihr es nicht?« Der Herzog verdrehte die Augen. »Spürt ihr es denn nicht? Die Bedrohung ist greifbar um uns.«
»Er fiebert«, sagte Nyala und drückte ihren Vater ängstlich an sich. »Er ist auf einmal so kalt und feucht. Sieh nur, Mythor, seine Hände sind ganz klamm, sein Körper steif. Hilf ihm doch, sonst stirbt er.«
Mythor mochte Nyala seine Hilflosigkeit nicht eingestehen, und so begab er sich an die Seite ihres Vaters und versuchte, ihn durch seine Nähe zu wärmen und seine Glieder durch Massieren zu beleben.
»Was lauert da im Dunkeln?«, fragte Herzog Krude mit entrückter Stimme. »Was kommt da auf uns zu? Es schluckt alles Licht – und jeden Laut. Es ist ein unersättliches unsichtbares Ungeheuer.«
»Da ist nichts, Vater«, sagte Nyala. »Du bildest dir alles nur ein.«
»Das ist keine Einbildung«, sagte da Calcos, der offenbar mitgehört hatte und nun näher rückte. Er warf Mythor einen abschätzenden Blick zu und fuhr fort: »Jetzt ist mir klar, warum Drundyr dich nicht töten wollte. Da du als Kometensohn verehrt wirst, nützest du ihm lebend mehr als tot. Aber gegen die hier wirkenden Kräfte bist du machtlos.«
»Von welchen Kräften sprichst du?«, fragte Mythor.
»Um uns steht alles still«, sagte Calcos und ließ die Augen rollen. »Die Luft ist schwer zu atmen, das Wasser dicker als Öl, so dass der Bug es nicht teilen kann. Du siehst nur wenige Schritte weit. Der Mast ist über unseren Köpfen wie abgeschnitten. Und die Fackeln flammen, aber sie spenden kein Licht.«
Da wurde sich auch Mythor des Unheimlichen bewusst.
Aus Richtung des Buges erscholl ein Befehl, der hohl klang und wie aus weiter Ferne zu kommen schien:
»An die Ruder!«
*
Schemenhafte Gestalten geisterten über die schwarzen Schiffsplanken. Von den Ruderbänken kamen verhaltene Stimmen und gedämpfte Geräusche.
»Bewegt euch!«
Eine Peitsche knallte dumpf, und der Lederriemen zuckte an Mythors Kopf vorbei. Dort stand Kapitän Yardin, seine Gestalt verschmolz beinahe mit dem Nebel.
»Erhebt euch und geht um den Mast herum. Immer im Kreise, das erwärmt. Ihr werdet sonst ganz steif, und der Nebel erstickt euch noch. Ich habe schließlich den Auftrag, euch lebend an Land zu bringen. Los, Calcos, zeige ihnen, was du kannst.«
Wieder durchschnitt die Peitsche mit dumpfem Laut die Luft, aber der Nebel geriet nicht in Bewegung. Calcos sprang japsend hoch und begann, mit trippelnden Schritten um den Mast herumzugehen.
Mythor und Nyala halfen dem Herzog von Elvinon auf die Beine. Als dieser stand, stieß er jedoch die helfenden Arme von sich.
»Ich kann mich aus eigener Kraft halten«, sagte er würdevoll.
Mythor sah, wie sich Yardin abwandte und zu den Heckaufbauten hochstieg.
»Er sucht Drundyrs Rat«, raunte ihm Calcos zu, während er neben ihm trippelte. »Aber wenn es ernst wird, dann schert der Priester sich nicht um das Schiff und uns. Er wird nur an sich alleine denken.«
»Was könnte einem so großen Schiff wie der Durduune denn gefährlich werden?«, fragte Mythor und blickte besorgt zu dem Knotenpunkt am Mast hoch, wo alle vier Leinen zusammenliefen. Als er sah, dass der Strang aus den vier Schnüren um Unterarmlänge zugenommen hatte, hielt er Calcos zurück und wartete, bis Nyala und ihr Vater sie erreicht hatten.
»Es gibt Meeresbewohner, die drei- und viermal so groß sind wie dieses Schiff«, erklärte Calcos. »Die Vallsaven etwa ...«
»Das sind Fabelwesen«, fiel Nyala ihm ins Wort. »Ich kenne keinen Menschen, der jemals ein solches Untier mit eigenen Augen gesehen hätte.«
»Weil keiner, der einen Vallsaven je gesehen hat, dies überlebte«, erklärte der Caer.
Um sie war eine unheimliche Stille. Der Nebel schluckte selbst das Geräusch ihrer Schritte. Kein Ruderschlag war zu hören, obwohl Mythor undeutlich an den sich krümmenden und streckenden Rücken der Ruderer erkannte, wie sie sich in die Riemen legten.
Plötzlich vernahm er einen erstickten Laut und sah, wie Herzog Krude, der sich in die falsche Richtung bewegte, von der sich spannenden Leine zurückgeschnellt wurde. Bevor er sich jedoch um ihn kümmern konnte, erklang eine flüsternde Stimme an seinem Ohr. Sie kam aus Richtung der Heckaufbauten und gehörte offenbar Drundyr. Mythor verstand die Worte so deutlich, als stehe der Caer-Priester neben ihm. Dabei war er einige Mannslängen entfernt und in dem dichter gewordenen Nebel nur noch zu erahnen. Er hörte Drundyr sagen:
»... im Fahrwasser der Goldenen Galeere ...«
Mehr war nicht zu verstehen.
»Mythor!« Das war Nyala. Er eilte sofort zu ihr, die über ihren am Boden liegenden Vater gebeugt war. Herzog Krudes Gesicht war dunkel verfärbt, und er rang verzweifelt nach Atem. Die Halsschlinge drohte ihn zu erwürgen.
Mythor versuchte, mit zwei Fingern unter die Schlinge zu greifen, um sie zu lockern, aber dadurch schnitt er des Herzogs Atemwege nur noch mehr ab.
»Da hilft nur Meerwasser«, sagte Calcos. »Das Salzwasser macht die Fasern geschmeidig und dehnt sie.«
Noch während der Caer sprach, entdeckte Mythor einen hölzernen Eimer, der an einem Tau befestigt war. Er holte ihn mit schnellen Bewegungen ein und schleuderte ihn dann weit über die Reling. Kein Geräusch war zu hören, als der Eimer ins Wasser fiel. Mythor wollte den Eimer sofort wieder einholen. Aber er schien irgendwo festzuhängen, denn obwohl er mit aller Kraft an dem Tau zog, gab es nicht nach. Als Calcos ihm zu Hilfe kam und sie mit vereinten Kräften zogen, riss das Tau unvermittelt.
Im selben Moment gab es eine Reihe dumpfer Laute wie von brechendem morschen Holz.
»Die Ruder!«, rief Calcos aus.
Mythor sah im Nebel hinter der Reling irgendetwas splittern, und er hatte tatsächlich den Eindruck, als würden die dicken Riemen brechen. Etwas spritzte auf und quoll dann dickflüssig über die Reling. Langsam floss es über das leicht schräge Deck auf sie zu.
»Wie zähflüssig es auch ist, es ist Meerwasser«, sagte Calcos zu dem zögernden Mythor, der es daraufhin mit beiden Händen schöpfte. Das Salzwasser, das gerade noch so dick wie Honig gewesen war, wurde in seinen hohlen Händen wieder dünnflüssig. Ohne zu zögern, träufelte er es auf Herzog Krudes Hals, während Nyala in fiebriger Hast die Schlinge damit einrieb.
»Es hilft«, sagte sie zwischendurch. »Die Schlinge wird lockerer.«