Perry Rhodan 2836: Die Zeitrevolution. Michelle SternЧитать онлайн книгу.
war Osku-Sool schwindelig. Er brauchte mehrere Sekunden, um zu verstehen, was der schrille Ton vom Kommunikationsgerät zu bedeuten hatte. Jemand rief mit einer Vorrangnummer an.
»Ja?« Der winzige Kasten reagierte auf seine Stimme, projizierte als Holo das Gesicht seines Assistenten Bel-Raboor.
Der junge Lare hatte dunkle Verfärbungen auf den Wangen, die zeigten, wie aufgeregt er war. Die roten Haare standen in alle Richtungen ab. »Osku-Sool!«
»Was ist passiert?«
»Der Transmitter ... Ich wollte eben die Daten und deine Sachen an Bord bringen, da hat der Transmitter gestreikt. Ich dachte erst an ein technisches Versagen und habe bei der Wartung ... ach, unwichtig. Sie haben sich eingeschlossen!«
»Wer?«
»Ich weiß nicht, ich ...«
Das Bild erlosch. Stattdessen zeigte der Projektor das Konterfei Rhino-Jaads, der das Gespräch mit einer Notfallverbindung unterbrochen hatte. Gleichzeitig sprang die Anzahl der eingehenden Anrufe am unteren Rand der Holodarstellung dramatisch in die Höhe. Erst zehn, dann dreißig, schließlich über hundert Laren versuchten, mit ihm in Verbindung zu treten.
Im Gegensatz zu Bel-Raboor kam Rhino-Jaad sofort zur Sache. »Die BARAR-VAAT startet. Jemand hat die Öffnung einer Strukturlücke in der Schutzhülle angeordnet. Ich kann nichts dagegen unternehmen. Eine Sperrung auf höchster Ebene. In drei Minuten ist das Schiff weg!«
»Wer tut das?« Osku-Sool wusste es, noch während er fragte. Bloß wenige Laren auf der Station hatten die Möglichkeit, das Schiff seinem Einfluss zu entziehen. Er sprang auf und stürzte zum ovalen Tisch, den er mehr und mehr hasste.
»Optik 21! Notfallverbindung zu Aynaa-Tir herstellen!« Der Positronprovisor der Station reagierte sofort, doch Aynaa-Tir nahm die Verbindung nicht an.
Gab es ein besseres Eingeständnis ihrer Schuld? Aynaa-Tir hatte ihn verraten. Osku-Sool kämpfte die aufkeimende Wut nieder.
Über den Intarsien der Tischplatte erschien das Bild der zitternden BARAR-VAAT. Das Schiff schwebte mit eingezogenen Stützen über der steinigen Landesenke. Ein ockergelbes Schutzfeld flammte auf, wurde blasser, teils transparent.
Rhin-Jaad stürmte in den Raum. »Erreichst du sie?«
Osku-Sool ignorierte die Frage. »Aynaa-Tir, bei der Helaar und allen Sternenwächtern, melde dich! Oder hast du jede Ehre verloren?«
Die Holoverbindung blieb aus, doch Aynaa-Tir antwortete. In ihrer Stimme lag Angst. »Ich tue, was getan werden muss.«
»Und seit wann entscheidest du das im Alleingang?«
»In Sektion Vier, Neun und Zehn ist Panik ausgebrochen. Es kam zu Übergriffen und Morddrohungen. Ich musste den Leuten versprechen, sie nach Paatherhagen zu bringen. Danach komme ich mit der BARAR-VAAT zurück.«
»Du willst zurückkehren?«
War das eine Lüge? Verdammte Aynaa-Tir sie zum Untergang?
»Nach Paatherhagen sind es bloß 87 Lichtjahre. Hättest du weitergearbeitet, hättest du unser Verschwinden gar nicht bemerkt.« Sie klang trotzig. Als wäre sie in ihrer Verzweiflung wieder ein Kind geworden.
»Wie soll ich ein Schiff beladen, dass nicht da ist?«
Aynaa-Tir schwieg.
»Lande!«, forderte Osku-Sool. »Du bist in Panik geraten, wie viele. Es ist die Angst vor dem Tod und vor den Bannern. Ich verstehe das, und ich werde dich nicht zur Rechenschaft ziehen. Aber du musst jetzt landen!«
Stille.
Rhin-Jaad fluchte in der alten Sprache. Inzwischen hatte er den Tisch erreicht, stützte sich schwer mit den Armen ab. »Bist du wahnsinnig geworden? Du bringst uns alle um!«
Das Schiff stieg weiter auf, glitt durch die Strukturlücke in die Schleuse.
Der Anblick war grausam wie der von verheerten Systemwelten. Aynaa-Tir opferte sie.
Osku-Sools Ruhe schwand. »Aynaa-Tir!«
Das Gerät in der Tischmitte blieb stumm.
Die BARAR-VAAT verließ die Schleuse durch das zweite Tor, schoss in den Raum – und wirbelte in die falsche Richtung davon!
»Nein!« Rhin-Jaad schlug beide Fäuste auf die Tischplatte.
»Aynaa-Tir! Euer Kurs ...« Osku-Sool verstummte. Es war offensichtlich, was passiert war. Irgendwer an Bord hatte einen groben Fehler gemacht, den Positronprovisor mit falschen Daten gefüttert, einen der Stabilisatoren falsch justiert ...
In Osku-Sools Kopf rasten Gedanken, als wollten sie das Licht einholen.
Die Gravitation. Das hyperenergetische Chaos. Die Raum-Zeit-Gruft. Die BARAR-VAAT war verloren.
Aynaa-Tirs dünne Stimme, bestätigte Osku-Sools Befürchtungen. »Der Pilot ... Der Positronprovisor hat fehlerhafte Ausgleichswerte erhalten. Esgir-Taam war übermüdet. Wir sind auf den falschen Kurs gegangen. Die BARAR-VAAT wird der Gravitation nicht entkommen.«
Esgir-Taam. Der Mann hatte erst vor wenigen Stunden erfahren, dass seine Lebensmeisterin und seine Kinder tot waren. Er hätte nicht fliegen dürfen.
Im Hintergrund ertönte ein Sirren. Osku-Sool schloss die Augen. »Ihr müsst die Leistungen der Gravostabilisatoren reduzieren. Sie werden überhitzen.«
»Wozu? Um unseren Tod hinauszuzögern?« Obwohl Aynaa-Tirs Stimme nach wie vor dünn klang, war sie nun vollkommen ruhig. Unendlich traurig, aber gefasst. »Ich habe es zu verantworten. Es tut mir leid.«
Das Sirren im Hintergrund wurde lauter.
Rhin-Jaad und Osku-Sool sahen einander an. Die Sekunden zogen sich.
Ein Knall im Hintergrund, Schreie, ein noch lauterer Schlag, dann Stille.
Im Holo flog das Schiff auseinander. Es zerbröselte unter den Kräften, die es zerrissen. Was blieb, war eine Wolke aus Trümmern, fein wie Nebel. Ein langes, dünnes Band, das scheinbar behäbig in Richtung der Raum-Zeit-Gruft trieb.
Rhin-Jaad stieß einen erstickten Klageruf aus.
Osku-Sool senkte den Kopf, starrte auf die hölzernen Honhooten. Er fühlte sich, als wären die Tiuphoren längst da und würden ihn in eins ihrer Banner zwingen.
Sein Stellvertreter trat zurück, stürzte beinahe in den geschwungenen Wasserlauf. »Nein! Das darf nicht wahr sein!«
»Es ist wahr.« Osku-Sool glaubte, unendlich alt zu sein, älter als das Universum selbst. »Wir können es nicht mehr ändern. Die BARAR-VAAT ist vernichtet.«
Das hatten die Tiuphoren geschafft. Allein mit ihrer Anwesenheit, mit ihren Schauermärchen und der Psychologie ihrer verdammten Banner-Kampagne. Noch ehe Osku-Sool einen einzigen Feind leibhaftig gesehen hatte, waren Hunderte seiner Anvertrauten gestorben.
Die Wahrheit schien Rhin-Jaad verblüffenderweise Stabilität zu geben. Als hätte er jemanden gebraucht, der ihm sagte, dass er nicht träumte. »Wir haben noch die CHOPOR-VAAT.«
»Ja.« Das Beiboot konnte nur wenige Dutzend Laren aufnehmen. »Wir müssen sie ausbauen.«
5.
Zeitrevolution
RAS TSCHUBAI
Perry Rhodan beobachtete im Haupthologlobus durch mehrere Außenoptiken die zahlreichen Beiboote, die aufgebrochen waren, Überlebende zu bergen. Auch Farye Sepheroa, seine Enkelin, flog eines dieser Schiffe. Sie war gemeinsam mit Hascannar-Baan und einem Einsatzteam unterwegs zu einem Raumer, der auf Taaro zutrieb und in wenigen Stunden von der Sonne vernichtet werden würde.
Farye hatte darauf bestanden, am Einsatz teilzunehmen. In ihrem Tatendrang erinnerte sie Rhodan an Gucky und sich selbst. Dass sie helfen wollte, konnte er ihr nicht verübeln, trotzdem ertappte er sich bei dem Gedanken, ob es klug gewesen war, sie ausgerechnet mit Hascannar-Baan aufbrechen zu lassen.