Jupiter 4: Syndikat der Kristallfischer. Christian MontillonЧитать онлайн книгу.
gab es etwa einen Kilometer lange und zweihundert Meter breite, schlauchförmige Anbauten; wie Rhodan wusste, handelte es sich dabei um die Sammelsilos der Faktorei, in denen die geernteten Kristalle lagerten. »Kopf« und »Hals« waren ein fünfhundert Meter langer, flexibler Schlauch, an dessen Ende eine kugelförmige Steuer- und Verwaltungszentrale saß. Dabei handelte es sich um das auch autark manövrierbare Schiff TYCHE.
»Wir brauchen Funkkontakt!«
»Keine Chance.« Mondra Diamond klang bitter. »Sämtliche Anlagen sind außer Funktion. Kein Hyperkom. Ich könnte nicht mal ein Walkie-Talkie zum Laufen bringen.«
Also konnten sie nicht auf sich aufmerksam machen. Im Innern der Station hatte die Besatzung angesichts der Katastrophe in unmittelbarer Nähe zweifellos anderes zu tun, als auf eine Nussschale zu achten, die durch die außer Fugen geratene Atmosphäre trieb.
Rhodan entschloss sich zu einer ungewöhnlichen Art, sich bemerkbar zu machen: Er feuerte eine Salve auf MERLINS Schutzschirm.
»Radikal, aber effektiv«, kommentierte Diamond.
»Hoffen wir nur, dass sie erst nachfragen, ehe sie zurückschießen«, ergänzte Matthau.
Selbstverständlich werden sie das, dachte Rhodan, hieß sich aber zugleich einen unverbesserlichen Optimisten.
An Bord der Faktorei mussten momentan Anspannung und Entsetzen herrschen – dabei konnte leicht eins zum anderen führen und eine Kurzschlusshandlung provozieren. Wenn sich ein überlasteter, vielleicht halb panischer Waffenkommandant angegriffen fühlte und glaubte, die Ursache der Katastrophe in einem angreifenden Fremdschiff gefunden zu haben ...
Die Reaktion, die MERLINS Besatzung zeigte, überraschte Rhodan dennoch: Es geschah nichts. Niemand schien sich auch nur einen Deut darum zu scheren, dass auf den Schirm der Station gefeuert worden war.
Mondra sprach exakt das aus, was auch Rhodan durch den Kopf ging: »Was, wenn der Schutzschirm nicht nur gegen die Auswirkungen der Katastrophe gerichtet ist ... sondern auch gegen uns?«
»Man hat uns längst entdeckt, aber man will uns nicht an Bord haben?« Ein Lächeln verzog Rhodans Lippen. »In diesem Fall spielen wir ungebetene Gäste.«
Er feuerte erneut – diesmal eine stärkere Salve in exaktem Punktbeschuss – auf den Schirm. Gleichzeitig steuerte er die Jet näher heran. Er dosierte den Beschuss so genau, dass eine winzige Strukturlücke entstand, gerade groß genug, um hindurchzufliegen.
Hinter ihnen schloss sich der Schirm wieder.
»Das Auge des Sturms ist erreicht«, verkündete Rhodan trocken.
»Oder die Höhle des Löwen.« Mondra lächelte. »Aber dort fühlen wir uns ja am wohlsten, nicht wahr, Perry?«
Sie flogen dicht an MERLINS Außenhülle entlang. Das ewige Grau schien die gesamte Welt einzunehmen. Die Masse der Station war ein abgewracktes LFT-Ultraschlachtschiff, wie Rhodan wusste. Die Liga Freier Terraner hatte sämtliche Waffen sowie die überschweren Schutzschirme entfernt und den Großteil der Technologie ausgebaut, ehe sie das Rohmaterial des gewaltigen Kugelraumers weiterverkauft hatte.
In diesem Fall an das sogenannte Syndikat der Kristallfischer, das in der Jupiteratmosphäre Hyperkristalle abbaute. Eine Handelsorganisation, die aufgrund der jüngsten Umstände womöglich besondere Bedeutung erlangte.
Was genau an Bord der Faktorei vor sich ging, hatte der LFT-Resident jedoch bislang nicht herausfinden können. Er hatte Erkundigungen eingezogen, nachdem sein entfernter Verwandter Chayton dort verschwunden war. Aber die Syndikatsleute gaben sich als Geheimniskrämer. Lediglich sein alter Freund Homer G. Adams hatte ihm vor dem Flug nach Ganymed einige Informationen geben können, die nun vielleicht wichtig wurden. Wissen hatte sich in der Vergangenheit mehr als einmal als Macht erwiesen.
Den Aufbau alter Ultraschlachtschiffe kannte Rhodan im Traum. Er steuerte gezielt eine der Beibootschleusen an. Kaum waren sie heran, öffnete sich das Außenschott. »Wie freundlich«, höhnte er.
Mondra Diamond lachte. »Wahrscheinlich haben sie Angst, dass du nun auch noch ein Loch in die Hülle feuerst.«
»Nicht unberechtigt«, bestätigte Perry Rhodan trocken. »Und nun lass uns der Einladung folgen.«
Die Jet schleuste ein.
*
Den Geruch erkannte Perry Rhodan, noch ehe er die Zigarre im Mundwinkel des vollbärtigen Manns sah. Havanna. Wahrscheinlich sogar Originalware. Sollte das zutreffen, kostete der Tabak ein Vermögen.
Mit schweren Schritten kam der Fremde näher, der zusammen mit sechs Begleitern ein nicht gerade freundlich aussehendes Begrüßungskomitee bildete. In den glänzend schwarzen Haaren wimmelte es von bunten Fäden, die im Nacken zusammenliefen und dort die Haarflut zu einem Pferdeschwanz bändigten. Die Fäden bewegten sich ständig; ein verwirrender Anblick. Er trug eine rot-blaue Uniform mit silbernen Applikationen und dem Symbol des Syndikats der Kristallfischer auf dem Brustteil, einem an den Rändern unscharf gezeichneten Planeten, der von einem blitzenden Kristall umgeben war.
»Onezime Breaux«, stellte sich der Neuankömmling in herablassendem Tonfall vor.
Obwohl er offensichtlich ein Terraner und mit den üblichen Gepflogenheiten der Höflichkeit zweifellos vertraut war, streckte er die Hand nicht zur Begrüßung aus. Er ließ auch nicht erkennen, ob er Rhodan und Mondra Diamond erkannte; doch daran konnte es wohl keinen Zweifel geben. Ihre Gesichter gehörten zu den bekanntesten in der gesamten Milchstraße, vom Solsystem ganz abgesehen.
Der Resident spielte mit. »Rhodan«, sagte er. »Perry Rhodan. Danke für deine Gastfreundschaft. Dies sind meine Begleiter Mondra Diamond und Gili Saradon sowie Porcius Amurri und Dion Matthau.«
»Einige von euch kenne ich.« Breaux zog an der Zigarre und atmete eine Wolke aus, die viele wohl als aromatisch empfunden hätten. Rhodan hatte dem Tabakgenuss schon sehr lange abgeschworen.
Soso, dachte Rhodan.
Auf der Außenhülle der Micro-Jet hatten sich rötliche Tropfen abgelagert, die nach und nach verdampften. Feine Rauchfäden stiegen in die Höhe, zerkräuselten und lösten sich auf. Rhodan wies darauf. »Weißt du, worum es sich dabei handelt?«
»Reste von kondensierter Jupiteratmosphäre«, sagte Breaux beiläufig.
»Unser Schutzschirm war bis zuletzt geschlossen. Es kann nicht sein, dass ...«
»Dort draußen lief wohl kaum alles normal«, unterbrach Breaux. »Es herrschen besondere Bedingungen. Große hyperphysikalische Unruhen.«
Zischend verging ein weiterer dieser Tropfen. »Zweifellos«, gab Rhodan zu. »Was geschieht in der Atmosphäre des Planeten genau?«
Onezime Breaux trat einen Schritt vor und schaute seinem Gegenüber genau in die Augen. »Lass es mich so sagen: Armageddon kommt oder ist in vollem Gange. Oder nenn es Götterdämmerung. Falls dir beides zu mystisch und verbrämt klingt, such dir etwas anderes aus. Jedenfalls ist die Atmosphäre des Jupiters ganz gewaltig aus den Fugen geraten.«
»Weshalb?«
Ein spöttisches Lachen. »Wieso glauben Gefangene nur immer wieder, sie hätten das Recht, ständig Fragen zu stellen?«
»Gefangene?«, wunderte sich Mondra Diamond.
»Noch so eine Frage.« Breaux' rechter Mundwinkel hob sich kaum merklich. Offenbar schien er sich prächtig zu amüsieren. Er zog erneut an der Havanna. »Aber gut.« Provozierend langsam faltete er die Hände und bog die Finger durch, bis die Gelenke knackten. »In meiner Eigenschaft als Chef der SteDat von MERLIN, der Stelle für Datenbeschaffung, verhafte ich euch wegen Gefährdung der Station durch Beschuss des Schutzschirms in einer kritischen Situation. Ihr seid sicher vernünftig genug, eure SERUNS nicht zu Kampfhandlungen einzusetzen – sonst werde ich euch zwingen, sie abzulegen.« Damit wandte er sich ab, ohne eine Reaktion abzuwarten.
Gleichzeitig zogen seine sechs Begleiter Waffen und richteten sie auf Rhodans Gruppe.
Mondra