Fettnäpfchenführer Norwegen. Julia FellingerЧитать онлайн книгу.
Taxistand zu begleiten. Aber keinen Schritt weiter.
Als die Drei dort angekommen sind, geht Stefan an einer Schlange von Leuten vorbei und will den beiden Damen die Fondtür eines wartenden Taxis aufhalten. Das Letzte, was er dann noch sieht, ist, dass die Leute auf der Straße jetzt alle wieder Schuhe tragen.
Schleudergefahr
Eigentlich müsste man an dieser Stelle einen Aufenthalt in der Notaufnahme skizzieren. Für den Augenblick ist es gerade noch einmal gut gegangen, wenn man von den zahlreichen kleinen Fettnäpfchen absieht, in die Stefan während nur eines einzigen Abends getreten ist.
Private Einladungen gelten in der Regel für Freitag oder Samstag. Wer unter der Woche um 19 Uhr zum Essen einlädt, ist höchstwahrscheinlich Ausländer. Unter der Woche isst die Familie nämlich schon oft gegen 17 Uhr – und Alkohol spielt an diesen Tagen nur eine geringe Rolle.
Zu privaten Einladungen darf man sich ruhig fein herausputzen und schmücken. Vielleicht hat das mit einem gewissen Nachholbedarf der in Alltag und Job stets leger gekleideten Norweger zu tun. Wenn sie allerdings eingeladen werden, greifen die sonst so lockeren Norweger gerne tief in den Kleiderschrank und ziehen Abendkleider und Anzüge mit Krawatten heraus.
Auf dem Weg zu einem Fest haben die Norweger meistens zwei Tüten dabei: eine mit einem Paar feiner Schuhe, das sie beim Gastgeber gegen die Straßenschuhe eintauschen (strumpfbesockt ist aber auch völlig legitim, Schuhe anbehalten dagegen nicht, es sei denn, der, Gastgeber erlaubt es ausdrücklich), eine andere mit dem Alkohol, den man an diesem Abend zu trinken gedenkt. Es ist ja tatsächlich so, dass allein die Getränke, die bei einer Einladung von sechs Erwachsenen vom Gastgeber angeschafft werden müssten, gerne mal einen ansehnlichen Teil des Monatslohnes verschlingen würden. Das möchte man dem Gastgeber natürlich nicht zumuten. Deshalb bringt jeder gerade so viel zu trinken mit, wie er plant, an diesem Abend auch selbst zu vernichten. Der Gastgeber sorgt für das Essen und den Kaffee. Blumen sind natürlich auch immer nett, sollten aber in ihrem Umfang im Rahmen bleiben, Wein oder Sekt als Geschenk für den Gastgeber muss man ausdrücklich als ein solches deklarieren, da der Alkohol ansonsten ausgeschenkt wird. Mit den Gläsern anstoßen ist nicht sehr verbreitet, viel eher erhebt man das Glas auf ein kurzes Skål! – ein »zum Wohle!«.
Norweger sind keine Angeber, dennoch zeigen sie gerne mit Stolz, was sie haben. Protzigkeit und Aufschneiderei liegen ihnen nicht, auch wenn Statussymbole wie Autos, Häuser, Hütten und Urlaube immer wieder wichtige Gesprächsthemen sind. Dabei stellt sich der Norweger gerne als smart und pfiffig dar, als jemand, der ein Schnäppchen gemacht oder etwas besonders schlau angestellt hat. Hierin liegt ein gewisses Angeben, denn er will für seine Pfiffigkeit gelobt werden. Auf keinen Fall erträgt er es, wenn man ihm hier die Anerkennung verwehrt oder ihn etwa damit bloßstellt. In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn er niemals konkrete Summen nennen mag, das ist ihm nicht wichtig. Aber er hört gerne einmal eine Anerkennung dafür, wie toll er es gemacht hat, an so ein Schnäppchen zu kommen.
Norweger gehen mit ihren Kindern sehr liebevoll und partnerschaftlich um, der Erziehungsaspekt tritt dahinter oft zurück. Wenn es allerdings um das Thema Alkohol geht, nehmen sie ihre Botschaft wiederum übertrieben ernst und verteidigen eine sehr verkrampfte und zum Teil auch enthaltsame Einstellung, wie auch die Politik ihres Landes sie vorgibt. Sehr viele Eltern vermeiden es, vor ihren Kindern Alkohol zu konsumieren, Alkoholkonsum wird bei ihnen so lange tabuisiert, dass es den späteren Jugendlichen oft schwerfällt, ihre Alkoholerfahrungen in einem gemäßigten und aufgeklärten Rahmen zu machen. Unterstützt wird diese »Alkoholerziehung« durch regelmäßige TV- und Radiokampagnen, die den Eltern immer wieder vor Augen halten, dass ihr eigener Alkoholkonsum den späteren Konsum ihrer Kinder beeinflusst. Alkohol ist erst ab 18 Jahren erlaubt, das führt dazu, dass die Jugendlichen ihre ersten Erfahrungen in aller Heimlichkeit und ohne Kontrolle machen.
Da sind wir auch schon mittendrin im Thema, das uns Stoff genug für drei weitere Episoden bietet. Das charakteristischste Merkmal eines norwegischen Festes ist der Rausch seiner Teilnehmer. Alkohol wird hier nicht mit Genuss konsumiert, sondern ist in erster Linie dafür da, möglichst schnell betrunken, ach was, besinnungslos zu werden. Beim Konsum kennen viele Norweger nämlich nicht mehr ihre Grenzen – und die, die sie zu kennen meinen, nutzen dieses »plötzlich nicht mehr wissen« gerne dazu aus, endlich einmal über die Stränge zu schlagen. Sich unschuldigsaufen und mal Frauen anzumachen, obwohl man eigentlich ein schüchterner Typ ist, oder eine Schlägerei anzuzetteln, obwohl man ansonsten so friedfertig ist. Um niemandem zu nahe zu treten, muss man allerdings ein wenig präzisieren: Die Intensität des Alkoholkonsums variiert zwischen den Generationen ebenso wie zwischen der Stadt- und der Landbevölkerung. Junge Leute konsumieren unkontrollierter und mehr als ältere. In Nord-Norwegen wird mehr getrunken als im Süden, wohingegen der Alkoholkonsum in Oslo und Umgebung noch am ehesten den kontinentalen Gewohnheiten ähnelt. In Norwegen gilt: Wirkungstrinken statt Genusstrinken.
Tempo drosseln!
Was könnte Stefan also anders machen? Bis auf die kleinen Ausrutscher wohl nicht viel. Das Unpassendste wäre, so ein Fest im stocknüchternen Zustand durchstehen zu wollen. Das wird man kaum schaffen, es sei denn, man verlässt das Fest zeitig. Zu viel sinnloses Geplapper, zu viel Anmache, zu viel Alkohol. Wer jedoch trinkfest ist, wird großen Spaß haben. Wer wenig trinkt, sollte den angebotenen Begrüßungssekt und den Cognac in sein Pensum mit einbeziehen und beizeiten nach einer Tasse Kaffee fragen. Eine tiefschürfende Unterhaltung gar über Politik und norwegische Eigenheiten ist vor allem als Ausländer nicht ratsam. Viele Norweger fühlen sich dadurch leicht provoziert. Im schlimmsten Fall können sie die berauschte Meute gegen sich aufbringen, die im alkoholisierten Zustand die restriktive Alkoholpolitik ihres Landes verteidigt.
Und noch was: Eine Schlange von Leuten ist immer ein Zeichen dafür, dass mehrere Leute das Gleiche wollen wie Sie. In so einem Fall hilft nur eins: Hinten anstellen!
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