Fettnäpfchenführer Indien. Karin KaiserЧитать онлайн книгу.
einen plötzlichen Wasserstopp in einfacheren Hotels und Guest Houses sind Sie am besten vorbereitet, wenn Sie nach Bezug Ihrer Unterkunft als Erstes alle vorhandenen Eimer mit Wasser füllen.
Und noch ein guter Rat, sozusagen aus Großmutters Nähkästchen: Ordnung ist das halbe Leben – insbesondere in Indien. Wenn plötzlich die Dunkelheit hereinbricht, finden ordentliche Menschen sofort ihr Handy, die Kerzen und die Streichhölzer. Und was die andere Hälfte des Lebens betrifft, darum brauchen Sie sich keine Gedanken zu machen: Indien kümmert sich zu einhundert Prozent verlässlich, einfallsreich und buntschillernd um diesen Teil.
DEUTSCHLAND? NO PROBLEM!
Eine Inderin erzählt
Vishakha Tak, 23 Jahre alt, ist Journalistin aus Bhopal. Mit einem Stipendium lebt sie ein Jahr lang im brandenburgischen Lehnin. Für den FETTNÄPFCHENFÜHRER schildert sie ihren Kulturschock nach den ersten sechs Wochen in Deutschland.
Ich befinde mich zum ersten Mal außerhalb Indiens und Deutschland hat mich geradezu überwältigt. Alles, aber auch alles, ist so ganz und gar anders als in Indien – die Landschaft, die Häuser, das Klima. Das und auch die kleinen, alltäglichen Dinge, alles ist mir sehr fremd.
Als ich z. B. kurz nach meiner Ankunft abends um 8 Uhr vom Bus zum Institut ging, da habe ich keinen einzigen Menschen getroffen. Das hat mich wirklich umgehauen. Wo waren die Leute alle? Was würde passieren, wenn ich stürzte, und niemand wäre da, um mir zu helfen? Ich war wirklich geschockt. In Indien bin ich immer und überall und zu jeder Zeit unter Menschen – in einer Masse von Menschen. Selbst an einem Abend in Berlin waren nur sehr wenige Leute unterwegs. Diese Menschenleere, das Gefühl des Alleinseins ängstigt mich.
Etwas, das mich auch immer wieder irritiert, ist die Sprache und die Art des Sprechens. Die Wörter tun mir manchmal in den Ohren weh, weil sie so hart und scharf klingen, so wenig melodisch. Und vor allen Dingen kann ich beim Sprechen nur schwer die Gefühlslage meines Gegenübers einschätzen. Ist er traurig, wütend, erfreut? Die Stimmen haben wenig Ausdruck, und auch Mimik und Gestik werden sehr sparsam eingesetzt. Das macht mich unsicher im Kontakt.
Noch etwas macht mir hier zu schaffen: Die Stille – es ist viel zu still. Ich höre manchmal meinen eigenen Atem – das habe ich bisher noch nie erlebt. Wenn ich jetzt nach Hause telefoniere, wundern sich alle, wie leise ich spreche. Ich passe mich wohl der Umgebung an.
Was den Verkehr angeht, bin ich total überrascht, dass sich alle an die Regeln halten. Als ich meinem Großvater am Telefon erzählt habe, dass wir für die 40 Kilometer von Berlin nach Lehnin 45 Minuten gebraucht haben, konnte er es kaum glauben. So langsam! Inder, meinte er, hätten höchstens 20 Minuten für die Strecke gebraucht. Na ja, die lassen sich auch nicht von irgendwelchen Verkehrsregeln aufhalten …
Sehr ungewöhnlich und sogar etwas peinlich ist für mich, dass ältere Leute, oder sogar Vater und Mutter, mit Vornamen angeredet werden. Das gilt in Indien als äußerst respektlos. Ich gewöhne mich nur langsam daran.
Und dann ist da natürlich noch das Essen. Mir fehlen die Gewürze, alles schmeckt ziemlich fad – selbst Salz fehlt meistens. Ich vermisse mein hot ’n’ spicy indisches Essen.
Vor der Reise war ich ziemlich nervös bei dem Gedanken an die Menschen, denen ich begegnen würde, denn die Deutschen gelten hier bei uns als ziemlich ernst und zurückhaltend, sogar als etwas streng. Doch ich habe von Beginn an, als ich in München meinen Anschlussflug nach Berlin verpasst hatte, immer wieder sehr zugewandte, offene Menschen getroffen. Sie haben mich freundlich angelächelt und haben mir spontan geholfen.
No problem, habe ich gedacht. Ich werde klarkommen hier.
6
TRINKGELD? NO PROBLEM!
LÄCHELN RUPIEN?
»Good morning, India!«
Alma, auf der Dachterrasse im Pahar Ganj, möchte die Arme ausbreiten und die Welt umarmen.
Unter diesem unendlich weiten Himmel, gesprenkelt mit Papierdrachen, die sich im blendenden Sonnenlicht wiegen, verfliegt die Erinnerung an die Nacht mit ihren Schrecken. Almas Blick folgt den himmelwärts gleitenden Bussarden, die getragen vom Ruf des Muezzins, der über den bis zum Horizont ausgebreiteten Flickenteppich der Stadt herüberweht, höher und höher steigen. Die Sonnenwärme auf ihrer Haut empfindet Alma wie eine herzliche Umarmung. Ihr kommt in den Sinn, dass die Einheimischen ihre Hauptstadt Dilli nennen. Da steckt dil drin, was auf Hindi »Herz« heißt. Gerade jetzt kann sie es spüren, das Herz dieser Stadt – oder ist es vielleicht ihr eigenes?
Dort unten pulsiert es im Bienenstock der Gassen. Das große Konzert der Stadt flutet über die Brüstung der Dachterrasse. Alma hört Motorrikschas knattern, Zweiräder surren und das Pling der Fahrradglocken. Rufe steigen auf – »Aiee, aiee!« (Kommt, kommt!) – aus dem rauschendem Grundklang. Der Bass eines langgezogenen Muhs, trötende Hupen, rasselnde Karren – Almas Ohren vibrieren von den ungewohnten wild wirbelnden Lauten. Wie das tönt und dröhnt, fremd und aufregend! Sie kneift sich in den Arm, nein, sie träumt nicht.
»Ich bin da!«, möchte sie am liebsten hinunterrufen, selbst mit einstimmen in dieses Fortissimo.
Sie ist ein wenig stolz auf sich: Heute Morgen hat sie den Wechsel des Hotels, Aus- und Umzug, ruckzuck bewältigt. Jetzt ist sie voller Vorfreude, sie wird eintauchen in diesen Wirbel aus Bewegung, Klang, Gerüchen und Farben – nenn es Chaos, egal! Sie will mehr von diesem fremden Leben spüren. Und als sie ihre Haare schüttelt, fühlt es sich an, als ob sich die Zellen in ihren Gehirnwindungen frisch zusammenwürfeln. Hat da eine geheimnisvolle Alchemie zu wirken begonnen?
Ein Krachen und Splittern reißt sie aus ihrer Selbstversunkenheit und lässt sie herumfahren.
Donnerwetter! Volltreffer! Das, was ihr Frühstück hätte sein sollen, liegt jetzt wie nach einem Meteoriteneinschlag über die Terrasse verteilt, überall Scherben, Schlieren, Pfützen. Der junge schmalbrüstige Kellner, hochgezogene Schultern unterm hellblauen Hemd, streckt ihr mit abwehrender Geste die Handflächen entgegen, lächelt schief und wiegt im Schnellgang den dunklen Schopf: »No problem – one minute, no problem – breakfast ready!«
»Okay, das wird länger als eine Minute dauern«, seufzt Alma, als sie beobachtet, wie er mit spitzen Fingern, Scherbe um Scherbe einzeln zum Müll trägt. Als er schließlich mit einem badetuchgroßen Lappen ungeschickt herumfuhrwerkt, den ganzen Schmodder gleichmäßig auf dem Boden verreibt, möchte sie am liebsten eingreifen. Das wird doch nie was! Im Gefolge erscheint noch so ein Knabe, der, mit einem feuchten Feudel am Besenstiel bewaffnet, die Feinverteilung vornimmt – ohne Wassereimer. Alma schlägt die Beine übereinander, verschränkt die Arme und lehnt sich im Korbsessel zurück, um nicht aufzuspringen.
Endlich, sanftgrün beschattet von der Sonnenplane, fällt Alma heißhungrig über ihr spätes Frühstück her: schwarzer Tee, Toast, Butter, Honig. Wahrlich nicht gerade ein typisch indisches nashta (Frühstück), stellt sie schulterzuckend fest. Aber köstlich!
NASHTA – FRÜHSTÜCK
Die indische Küche ist reich an unterschiedlichsten Speisen, und jede Region bietet zum Frühstück mit sowohl warmen als auch kalten Gerichten, die alle ziemlich würzig und recht fettig sind, eine vielfältige Auswahl. In ärmeren Familien gibt es meist einfach Reis mit dal (Linsengericht).
Im Norden besteht das typische Frühstück gewöhnlich aus parathas (Weizenpfannkuchen) mit frischer Butter, gekochtem gewürztem Gemüse, wie aloo sabji ( Kartoffelgemüse ), oder aus chole/channa (Kichererbsen) mit puri (Weizenfladenbrot). Beliebte Leckereien wie jalebi (brezelartiges, in Sirup getunktes Gebäck) oder halva (eine Süßigkeit aus Ölsamen und Honig) ergänzen die Mahlzeit. Ein Frühstück im Süden besteht hingegen immer aus heißen Reismehlküchlein,