Fettnäpfchenführer China. Anja ObstЧитать онлайн книгу.
machst du hier?«
Auch dies beantwortet Peter geduldig und auch ein wenig aufgeregt, sind es doch neben dem Kleinen Li die ersten Kontakte, die er knüpft.
»Wie alt bist du?«
Huch, das ist nun ja schon ein wenig direkt. »Fünfundzwanzig«, verrät Peter dann dennoch nach einem kurzen Zögern.
»Bist du verheiratet?«
Wollen die beiden etwa mit ihm flirten, geht es Peter durch den Kopf. »Äh, nein.« Sein Zögern verlängert sich ein wenig.
»Hast du Geschwister?« Fragend sieht er die beiden an.
»Warum wollt ihr das denn alles wissen?«, fragt er zurück.
Als Antwort kommt nur ein Kichern, und die eine Chinesin beendet die Möglichkeit, sich noch näher zu kommen und zieht schnell ihre Freundin fort.
Kopfschüttelnd geht Peter weiter, verlässt den Campus und findet sich alsbald auf einer großen Straße mit Baustellen wieder. Er kramt seinen Stadtplan hervor, um sich zu orientieren. Dabei wird er von einer Gruppe Wanderarbeiter neugierig beobachtet.
WANDERARBEITER
Mit dem Bauboom in China kam die Flut der Wanderarbeiter in die Städte. Dabei handelt es sich um Bauern aus ärmeren Provinzen, die hoffen, in der Großstadt finanzielles Glück zu finden. Nach der wirtschaftlichen Öffnung Chinas 1980 durch Deng Xiaoping war die Zahl der Migranten von 2 auf fast 300 Millionen gestiegen. Mit einem Monatslohn von durchschnittlich 400 Euro waren sie auf Baustellen und in Fabriken beliebte Arbeitskräfte. Da die meisten von ihnen illegal in den Städten leben und überwiegend ungebildet sind, haben korrupte Arbeitgeber ein leichtes Spiel. Sie nehmen ihnen die Personalausweise ab, verweigern die Ausstellung eines Arbeitsvertrages und zahlen mitunter die Gehälter nicht aus. Durch diese Willkür sind viele in einem Teufelskreis gefangen, in dem sie weder rechtlich gegen die Ungerechtigkeiten vorgehen können, noch sich trauen, einfach zu gehen, da sie immer noch auf den ausstehenden Lohn hoffen. Mittlerweile gibt es Rechtsanwälte, die sich für die Wanderarbeiter einsetzen. Da aber eine legale Eingliederung der Arbeiter sowohl finanzielle als auch soziale Folgen hat, ist die Stadtregierung in Peking mittlerweile dazu übergegangen, sie aus der Hauptstadt zu drängen.
Ein junger Mann bleibt stehen und fragt: »Kann ich Ihnen helfen?«
Erfreut über die Hilfsbereitschaft lehnt Peter dennoch dankend ab, er würde seinen Weg schon finden.
»Wo kommen Sie her?«, fragt der junge Mann. Und nach Peters Antwort folgt sofort die nächste Frage: »Was machen Sie hier in Peking?«
Peter ahnt Böses. Sollte sich das Gespräch von eben nun wortwörtlich wiederholen? Er antwortet tapfer und wartet gespannt auf die nächste Frage. Ein wenig macht ihm das Gespräch auch Spaß, zumal es jetzt auf Chinesisch ist und er seine wenigen Vokabeln ausprobieren kann. Und tatsächlich, sein Alter möchte der junge Chinese wissen, ob er verheiratet sei oder Geschwister habe. Mittlerweile hat sich die Gruppe Wanderarbeiter im Halbkreis um sie herum aufgebaut und einer von ihnen sich bereit erklärt, die Antworten in den Lokaldialekt der Arbeiter zu übersetzen. Ähnlich wie bei der stillen Post, aber mit einem korrekten Resultat, werden die Aussagen nach hinten durchgegeben, sodass auch der Letzte in der Gruppe alles erfährt.
ÜBRIGENS
Wie in Deutschland, wo es zwischen Bayerisch und Platt ja noch viele andere Dialekte gibt, existieren auch in China zahlreiche Mundarten. Und so wie der Friese Schwierigkeiten hat, den Franken zu verstehen, weiß der Shanghaier nicht, was der Kantonese gerade sagt. Außer sie unterhalten sich auf Hochchinesisch, was auch Mandarin oder pǔtōnghuà genannt wird. Es gibt bis zu 15 offizielle Dialekte, die aber in sich noch Unterscheidungen aufweisen. Interessant ist vor allem der kantonesische Dialekt, der statt vier Tönen sechs hat und auch sonst keinerlei Ähnlichkeit mit dem Hochchinesisch aufweist. Wie gut, dass es einheitliche Schriftzeichen in China gibt!
Nachdem Peter auch Auskunft zu seinen Eltern, deren Berufen und Wohnverhältnissen preisgegeben hat, treffen ihn die nächsten Fragen doch etwas unvorbereitet: »Wie viel verdienen Sie? Und wie viel Ihre Eltern? Was kostet die Miete Ihrer Eltern? Wie viel kostet das Zimmer im Wohnheim?«
Völlig perplex erwidert Peter noch, dass er ein Stipendium bekommt, doch traut er sich nicht zu sagen, wie viel das ist. Geschweige denn, was seine Eltern verdienen. Er weiß das ja selbst gar nicht so genau. Und überhaupt: Darüber redet man doch nicht!
Für den jungen Chinesen scheinen die Fragen völlig normal – soll Peter also doch eine Summe nennen? Wirre Überlegungen schwirren durch seinen Kopf. Vielleicht könnte er weniger angeben, als er tatsächlich bekommt. Die Chinesen verdienen allgemein viel weniger, als die Deutschen. Sie haben aber auch geringere Miet- und Lebenshaltungskosten. Oder soll er es lieber ganz lassen? Vielleicht kommt ja sonst noch einer der Arbeiter auf die Idee, ihn als reich einzustufen und zu überfallen.
Während sein Kopf noch die Gedanken sortiert, führt die Zunge ein Eigenleben. »Ich habe neunhundert Euro im Monat«, hört er sich selbst sagen.
ZUM VERGLEICH
Ein durchschnittliches Monatsgehalt in Chinas Großstädten liegt zwischen 700 und 900 Euro, der Landesdurchschnitt liegt bei rund 650 Euro. Natürlich muss davon alles Notwendige bezahlt werden, aber ein Chinese rechnet selten netto. Er hört nur die Summe, die zur Verfügung steht. Welche Kosten damit gedeckt werden müssen, spielt keine Rolle. Da viele Chinesen die reinsten Sparfüchse sind, verzichten sie lieber auf Luxus wie Ausgehen oder teure Kleidung und nehmen zudem an, dass andere Nationalitäten genauso denken. Der arme Peter ist in ihren Augen somit ein Großverdiener, obwohl er in Deutschland damit nur knapp über der Armutsgrenze läge.
Ein Raunen geht durch die Menge, auch der junge Chinese ist baff, so viel hatte er nicht erwartet. Peter kämpft mit seinen Vokabeln, möchte er doch das Verhältnis seiner Kosten und Einnahmen deutlich machen. Schließlich zahlt er davon monatlich zweihundertfünfzig Euro für sein Zimmer und dreihundert Euro Studiengebühr. Da bleiben nur dreihundertfünfzig übrig, die er zum Leben hat.
»Deutschland ist reich«, weiß der junge Chinese.
Peters Versuche, alles ins rechte Licht zu rücken, scheitern an seinem Wortschatz. So gerne hätte er deutlich gemacht, dass dreihundertfünfzig Euro nicht viel sind. Jedenfalls in Deutschland. Allerdings hat er noch keine Ahnung, wie weit er mit dem Geld hier in Peking kommen wird. Er gibt aber lieber auf und verabschiedet sich von der neuen Bekanntschaft.
Als er an einem Kiosk eine Flasche Wasser kauft, wird er neugierig von dem Besitzer beäugt. Mit dem Wechselgeld kommt die Frage: »Woher kommst du?«
Fluchtartig und für den Verkäufer völlig unverständlich verlässt Peter den Verkaufsstand und beeilt sich, zurück ins Wohnheim zu kommen.
Die Neugierde der Chinesen
Abgesehen von Handelsbeziehungen blieb China immer eher für sich. Es gab kein Bestreben, andere Länder zu bekämpfen, um deren Territorien in Anspruch zu nehmen. Sie beschränkten sich darauf, Fremde daran zu hindern, das Land zu kolonialisieren oder einfach nur zu betreten. Der schönste Beweis dafür ist die Große Mauer, die eigens zu dem Zweck gebaut wurde, die Mongolen fernzuhalten. Doch was hat das mit der chinesischen Neugierde zu tun?
Natürlich gab es zu jeder Zeit Chinesen, die im Ausland lebten, studierten oder arbeiteten. Der Großteil jedoch blieb im eigenen Land. Auch waren immer sogenannte ausländische Teufel im chinesischen Reich, wie zum Beispiel Missionare oder auch Geschäftsleute. Die meisten von ihnen waren allerdings nicht gerne gesehen, und nur die wenigsten Chinesen hatten Kontakt mit ihnen. Für alle anderen waren Ausländer wie grüne Männchen vom Mars.
Ein Hauptgrund der eigenen Isolation war das Bestreben, sich vor schädlichen Einflüssen aus dem Ausland zu schützen. Mit der Machtübernahme 1949 durch die Kommunistische Partei kam während der Kulturrevolution zudem das Verbot auf,