Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas FelsЧитать онлайн книгу.
sitzend, die Diskussion über die bevorstehende Geschäftsreise seines Vaters überhaupt erst losgetreten.
»Musst du dann auch Hunde essen?«, hatte der 12-Jährige der schwungvollen Erzählung seines Vaters über Geisha, Samurai und Karate ein jähes Ende bereitet.
Der schüttelte den Kopf: »Unfug. In Japan essen die sowas nicht. Die essen fast nur rohen Fisch.« Er schaute zu seiner 16-jährigen Tochter Tina: »Ja, und fleißig sind sie. Die fleißigsten Menschen der Welt! Wohnen in Wohnungen nicht größer als dein Zimmer, können ›R‹ und ›L‹ nicht auseinanderhalten, spielen Pingpong und sind alle ein bisschen verrückt«, beeilte er sich, seiner sprachlosen Familie den Japaner an sich mit großer Geste zu erklären.
Der Japaner an sich ist so. Das weiß man, wenn man hin und wieder eine Japan-Doku im Fernsehen sieht und mit anderen Weltenbummlern plaudert. Globetrottern wie Herrn Hoffmann also, einem Mann, der die Welt gesehen hat. Das glaubt er zumindest, denn eigentlich beschränkt sich die von ihm gesehene Welt auf spanische Inseln, Tirol, Rimini, London und kleine Teile der US-Ostküste.
Wir begleiten nun den ahnungslosen Norddeutschen auf seinem unbekümmerten Trip durch das Minenfeld der japanischen Etikette. Dabei wird er nicht nur peinliche und für alle Beteiligten ausgesprochen unangenehme Augenblicke erleben, sondern auch in brenzlige zwischenmenschliche Situationen geraten. Kein Wunder, denn eigentlich ist es völlig unmöglich nach Japan zu reisen, ohne sich dabei unsäglich zu blamieren. Aber Herr Hoffmann hat ein sicheres Gespür dafür, sich geradezu kriminell unangemessen zu verhalten.
Wir werden erleben, wie Herr Hoffmann trotz seiner gefühlten Weltmännischkeit an die Grenzen des Exotenbonus stößt, den er als gaikokujin, als Ausländer, genießt. Er wird Blamagen erleben, auslösen und aus ihnen das japanische Miteinander kennenlernen. Und er wird seiner Familie natürlich stolz erzählen, wie gewandt er selbst die haarigsten Begebenheiten meisterte. Nur gut, dass wir es besser wissen und als Zeugen seinen ersten Japanbesuch verfolgen können. Kurz: Es ist all das festgehalten, was in nur wenigen Tagen Kulturaustausch alles in die Hose gehen kann.
Und eines kann jetzt schon einmal vorweggenommen werden: Japan ist nicht wie Flensburg. Nicht einmal annähernd.
2
HERR HOFFMANN VERWECHSELT NAMEN
HINZ UND KUNZ AUF JAPANISCH
Herr Hoffmann schwitzt. Sein Gesicht läuft rot an, seine Augen tränen. Aus seiner Nase dringen Geräusche, die an das erschreckte Schnauben eines Seeotters im Angesicht eines Schwertwals erinnern. Schrecklich! Dabei hat er sich doch nur ein Tütchen mit Nüssen in den Mund geschüttet. Speichel schießt in seine Mundhöhle, seine Zunge schwillt an, der Gaumen brennt. Scharf, scharf, scharf! Hastig kaut er die schreckliche Fracht grob durch und schluckt sie dann mit großer Willensanstrengung herunter. Schnell noch mit dem Tomatensaft nachspülen. Aaaah. Schön, wenn der Schmerz nachlässt.
Der junge Japaner neben ihm – er trägt einen Anzug, der auch nach vier Stunden Flug noch aussieht wie frisch gebügelt – sieht ihn erschrocken an. Wahrscheinlich befürchtet er, gleich Erste Hilfe leisten zu müssen. Oder dass der Westler neben ihm einfach stirbt und ihm damit den Weg zum Klo während des zehneinhalbstündigen Fluges versperrt. Herr Hoffmann lächelt ihm gequält zu, um anzudeuten, dass er sich keine Sorgen machen soll. Dieser Gesichtsausdruck scheint den Japaner noch mehr zu erschrecken. Egal. Was hat er sich da eigentlich in den Mund geschüttet? Der eben noch reiselustige Flensburger dreht mit zitternden Fingern das nun leere Päckchen Erdnüsse, das ihm die Stewardess eben mit seinem Tomatensaft gebracht hatte. Wasabi-Peanuts. Aha. Ist das nicht diese scharfe grüne Paste, die immer bei Sushi mit dabei ist?
Das erklärt natürlich einiges. Spontan entscheidet Herr Hoffmann sich für das westliche Menü: Hühnchen mit Reis. Er wird sich doch nicht schon auf dem Flug umbringen lassen ...
Nach 9.335 langen Kilometern befindet sich die Maschine endlich im Landeanflug auf den Narita Airport.
Endlich da!
Auf dem gesamten Flug hat er kaum eine halbe Stunde am Stück geschlafen, da der Anzug-Typ neben ihm (er sieht übrigens noch immer wie frisch gebügelt aus) die ganze Nacht damit verbracht hat, über den kleinen Monitor japanische Filme (mit englischen Untertiteln zwar, aber Herr Hoffmann war nicht in der Stimmung) zu schauen. Leider hat er dabei die Angewohnheit, in spannenden, brenzligen oder einfach nur unerwarteten Situationen so heftig mit beiden Armen zu rudern, dass Herr Hoffmann gerne noch ein Tütchen Wasabi-Erdnüsse gehabt hätte, um es seinem Sitznachbarn in die Augen zu reiben.
Aber nun ist er zu kraftlos für weitere Rachefantasien. Müde und Jetlag-geplagt schleppt er sich kurz darauf durch den riesigen, blitzblank gewischten Flughafen. Wenn er doch bloß schon wieder zurück in Deutschland wäre. Von den Durchsagen versteht er kein Wort, auf den Werbetafeln blinken unverständliche Schriftzeichen und überall sind nur Asiaten. Die anderen Europäer aus dem Flugzeug scheinen direkt wieder zurückgeflogen zu sein.
Sollte ihn nicht jemand abholen? Der Nakagawa Chemiekonzern wollte doch jemanden schicken, der ihn unterstützt und ihm als Ansprechpartner dient ... Hektisch kramt Herr Hoffmann in seinem Sakko (das übrigens schon nach 30 Minuten Flug so aussah, als sei die Erfindung des Bügeleisens spurlos an ihm vorübergegangen) nach dem Zettel, auf dem er sich den Namen notiert hatte. Ah, da ist er ja: ›Nakagawa kagakuhôjin – WATANABE Takako‹. Das Erste ist der Firmenname, also muss das danach der Name seines Begleiters sein ...
»Mister Hoffmann?« Eine kleine Frau kommt lächelnd auf ihn zu. In ihren Händen hält sie ein Schild, auf dem ›Hofmann‹ steht.
Ah, also doch kein Begleiter, sondern eine Begleiterin. Herr Hoffmann knüllt schnell den Zettel wieder in seine Tasche, geht auf die Dame zu und gibt ihr lächelnd die Hand: »Hello, Mrs. Takako! Nice to meet you.«
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Da hat Herr Hoffmann gerade mal seit einer Viertelstunde japanischen Boden unter den Füßen und schon ist er ins erste Fettnäpfchen hineingeschlittert. Nein, es lag nicht an den verschwitzten Händen, seinem mit klarem, deutschen Akzent durchsetzten Englisch oder dem westlichen Handschlag ... Was er leider nicht wusste: In japanischer Schreibweise steht der Familienname vor dem Vornamen. Hoffmann Egon also statt Egon Hoffmann, daher handelt es sich auch nicht um Frau Takako, sondern um Frau Watanabe.
Diese lächelt aber nur gelassen: »Good morning, Hoffmann-san, nice to meet you. But it’s Mrs. Watanabe.«
Seine Betreuerin ist vermutlich deshalb ausgewählt worden, weil sie schon einige Kontakte mit Westlern hatte (sie spricht auch gutes Englisch). Daher ist sie nicht davon ausgegangen, dass Herr Hoffmann sie mit einer traditionell japanischen Verbeugung begrüßen würde.
Herr Hoffmann hat keine Zeit, sich über seinen Fauxpas zu ärgern, denn er grübelt. Hoffmann-san? Was soll das nun wieder heißen?
Frau Watanabe hat einfach die übliche höfliche Standard-Anrede benutzt. Die Silbe ›san‹ wird dabei einfach an den Nachnamen angehängt – und zwar egal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. An einen Vornamen angehängt, drückt -san sowohl Respekt als auch Nähe aus. In der japanischen Sprache gibt es eine ganze Reihe verschiedener Anreden, die nur darauf lauern, dass der unbedarfte Reisende sie vertauscht und sich damit aufs gesellschaftliche Glatteis begibt. Die meisten werden jedoch zum Glück kaum von Ihnen erwartet.
In den nächsten Kapiteln werden historische Persönlichkeiten in japanischer Schreibweise geschrieben, also erst mit dem in Großbuchstaben geschriebenen Familiennamen, danach folgt der Vorname. Immer, wenn wir jedoch Herrn Hoffmanns Gedankengängen folgen, bleiben wir – wie er selbst auch – bei der westlichen Schreibweise und der einfachen Anrede ›Herr‹ oder ›Frau‹. Im Übrigen möchten wir Sie nicht weiter mit Herrn Hoffmanns zum Teil etwas eingerostetem Schulenglisch belästigen. Ab jetzt werden die Passagen, die er in Japan auf Englisch redet,