Fettnäpfchenführer Neuseeland. Rudi HoferЧитать онлайн книгу.
ist eine Kurzform für cousin, in diesem Fall ist damit also Riqis Cousine Aroha gemeint, was aber nicht zwingend den tatsächlichen Verwandtschaftsgrad anzeigen soll. Zugleich, oder sogar überwiegend, wird cuz auch als Slangwort für »Kumpel« im weiteren Sinn verwendet, ohne dass überhaupt eine verwandtschaftliche Beziehung zu dieser Person besteht.
Aroha ist ein recht beliebter weiblicher Vorname der Maori, wird aber gerne auch von Pakeha* verwendet. Das Wort Aroha wird meist mit »Liebe« übersetzt, kann aber ebenso, zerlegt in die Einzelwörter »Aro« (mind – Geist) und »Ha« (breath – Atem), als »die schöpferische Kraft des Geistes« betrachtet werden.
* Pakeha = Bezeichnung der Maori für die ersten europäischen Siedler Neuseelands. Je nach Kontext sind damit die Neuseeländer mit ausschließlich britischen Vorfahren, mit überwiegend europäischen Vorfahren oder generell alle Nicht-Maori gemeint.
Mit einer leichten Verbeugung hielt Kwan Peter die Plastikdose entgegen, aber der Türspalt war zu schmal, um sie durchreichen zu können. Peter entspannte sich etwas und schob die Glastür weiter auf. Zu guter Letzt bat er Kwan, doch einfach einzutreten, und nahm auch den Behälter von ihm an.
Kwan sagte: »Das ist ein indonesisches Reisgericht. Ich habe es selbst gemacht und extra schnitzel strips (Streifen vom Schnitzelfleisch) dazugetan. Du kannst es in der Mikrowelle heiß machen. Du isst doch Fleisch, oder?«
SCHNITZELJAGD
Schnitzel sind in Neuseeland sehr beliebt und daher in jeder Frischfleischtheke zu finden. Das ideale Schnitzelfleisch ist trim pork, welches vom 50–72 Kilo schweren Schwein kommt, selbstverständlich frei von Knochen ist und dessen Fettrand bis auf einen maximal 5 mm breiten Streifen beschnitten ist. Trim pork wird übrigens von der National Heart Foundation als »herzfreundlich« eingestuft.
Kwan wollte mit den schnitzel strips Peter nicht nur eine Freude machen, sondern auch zeigen, dass er sich auskennt – in Deutschland isst ja jeder Schnitzel!
»Fleisch? Ja, ich esse Fleisch, sicher doch! Dein Reistopf sieht gut aus. Danke.«
»Ach ja, ich komme aus Malaysia. Meine Eltern haben mich bereits vor fünfzehn Jahren hierher zur Schule geschickt. Sie leben nach wie vor in Kuala Lumpur und wollten mir eine westliche Ausbildung ermöglichen. Das war eine gute Idee und ich habe mich vor zwei Jahren entschieden, für immer in New Zealand zu bleiben – inzwischen habe ich auch die neuseeländische Staatsbürgerschaft. Na ja, langer Rede kurzer Sinn: willkommen in diesem Haus!«
Peter war ein wenig peinlich berührt und hatte das Gefühl, etwas zu pedantisch aufgetreten zu sein, zumal Kwan ausgesprochen herzlich auf ihn zu gegangen war. Er wusste noch nicht wie, aber er würde sich dringend dafür erkenntlich zeigen müssen. Fürs Erste versuchte er es mit einer erklärenden Entschuldigung: »Vielen Dank, Kwan, ich weiß deine Freundlichkeit sehr zu schätzen. Es tut mir leid, dass ich dich derart argwöhnisch behandelt habe. Aber glaube mir, wenn es in Frankfurt an der Apartmenttür klopft, sind es meistens penetrante Zeitschriftenverkäufer oder die Zeugen Jehovas. Letztere gibt es hier ja wohl nicht ... Jedenfalls bin ich es gewohnt, an der Wohnungstür extrem misstrauisch zu sein.«
GLAUBENSFRAGE
Doch, es gibt die Zeugen Jehovas auch in Neuseeland – es sind Jehovah’s Witnesses. Sie versuchen in Neuseeland genauso wie in Deutschland (und sicher vielen anderen Ländern) mithilfe des Pamphlets Der Wachtturm (The Watchtower) die Leute von ihrer Religionsvariante zu überzeugen.
Kwan antwortete, als ob er nichts anderes erwartet hatte: »Schon gut, Peter – mach dir nichts draus, ich mache mir auch nichts draus. Ich habe ohnehin ein dickes Fell: Auch hier im liberalen, weltoffenen Einwanderungsland Aotearoa bekomme ich fast täglich die Vorbehalte gegen asiatische Mitbürger zu spüren.«
»Moment Kwan, so war das wirklich nicht gemeint. Das hatte nichts mit deiner Herkunft zu tun. Ich gehe auch sehr gerne in asiatische Lokale ... äh ... wirklich ...« Peter wusste sofort, dass ihm diese Antwort gründlich misslungen war.
Aus einer gewissen Spannung heraus sahen sich beide ein paar Sekunden lang fest in die Augen, bevor sie plötzlich völlig synchron über sich und ihr »Problem« herzlich lachen mussten.
Der Malaysier und der Deutsche beteuerten gegenseitig, dass sie sich auf die gemeinsame Zeit in dieser Fast-Wohngemeinschaft freuten, und als sie noch schnell ihre Mobilnummern austauschen wollten, fiel Peter ein, dass er sich baldmöglichst eine neuseeländische SIM-Karte besorgen musste.
Bevor sich Kwan kurz darauf wieder höflich von Peter verabschiedete, erwähnte er noch in einem Nebensatz, dass er Student der Medizin in einem fortgeschritten Semester sei. Das gefiel Peter, der ansatzweise an Hypochondrie litt, ausgesprochen gut und er empfand es als ein beruhigendes Gefühl, einen angehenden Arzt im Anbau nebenan zu wissen – nur für alle Fälle versteht sich, man kann ja nie wissen ...
Peter sah, wie Kwan zurück in die flat ging und ihm nochmals zuwinkte, bevor er die Tür hinter sich schloss.
Peter Obland war nicht unzufrieden mit dem bisherigen Verlauf seines Ankunftstages in Neuseeland, aber das latent schlechte Gewissen gegenüber Kwan Yeoh beschäftigte ihn noch eine ganze Weile, während er den Plastikbehälter mit dem indonesischen Reis- und Schnitzelgericht in den Kühlschrank stellen wollte.
Er scannte die Küche mit den Augen ab und kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei Malcolms Kühlschrank um ein mannshohes, silbern glänzendes Monstrum mit Flügeltüren handeln musste, das mindestens das vierfache Volumen seines ebenfalls nicht gerade kleinen Kühlschranks in der Frankfurter Wohnung hatte. Als Peter den fridge (re frigerator, Kühlschrank) öffnete, wartete hinter den dicken Türen bereits die nächste Überraschung auf ihn.
Der Kühlschrank war praktisch bis zum Maximum gefüllt, größtenteils mit sorgfältig platzierten Bier- und Weinflaschen, und das grob geschätzt restliche Drittel mit Lebensmitteln aller, jedoch überwiegend der schnellen Art – instant meals (Fertiggerichte) über und über. Er hatte Mühe, noch einen Platz für Kwans Plastikdose zu finden.
Peter Obland fühlte sich überwältigt, irritiert und beschämt zugleich – aber es war kein wirklich schlechtes Gefühl. Er ließ sich auf Ektorp fallen, nahm das Telefon und wählte Riqis Nummer.
Was man kritisieren könnte ...
Ein taffer Einstand ist oft fruchtbarer als ein sanfter.
Peter fühlte sich verständlicherweise durch Riqis unerwartet flotten Abgang irritiert. Als Neuankömmling hatte er eine ausführliche Hausübergabe und eine gründliche Einweisung in seine Tätigkeit als house sitter erwartet. Solche Erwartungen darf man getrost weit herunter schrauben. Neuseeländer neigen bei Instruktionen aller Art grundsätzlich zur starken Vereinfachung und sind vor allem schnell damit fertig. »Make yourself at home! – Fühl dich wie zu Hause!« ist nach der Schlüsselübergabe oft die einzige Anweisung bei der Überlassung eines Hauses.
Auch sollte man sich nicht über die plötzliche Verabschiedung eines neuseeländischen Bekannten oder Freundes wundern – und sie vor allem nicht als Unhöflichkeit betrachten. Kiwis ziehen sich (meist begleitet von den Floskeln »I’m off!«, »I’m out of here!« oder »Bye-bye for now!«) oft überraschend schnell und ohne lange Abschiedsprozedur zurück.
Ganz sicher wäre es Peter auch mehr als recht gewesen, wenn ihm Riqi konkret gesagt hätte, dass es Mitbewohner im Anbau des Hauses gab, als diese Tatsache nur geheimnisvoll anzudeuten. Prompt reagierte der ahnungslose, aus dem Spontanschlaf geschreckte house sitting rookie (Neuling, Anfänger) mit übergroßem Misstrauen seinem flat mate Kwan gegenüber und ließ ihn viel von seinem Frankfurter Charme spüren.
Günstigerweise hatte der Malaysier genügend Geduld und Humor mitgebracht, um Peters Gesinnungsprüfung bis zum guten Schluss über sich ergehen zu lassen.