Euroskeptizismus auf dem Vormarsch. Julian WessendorfЧитать онлайн книгу.
18. und 19. Jahrhundert setzten sich in Europa der Sozialismus (links), der Liberalismus (zentral) und der Konservatismus (rechts) als die drei großen politischen Ideologien bzw. Weltanschauungen durch. Während der Sozialismus die Gleichheit betont, tritt der Liberalismus für die Freiheit des Individuums und der Konservatismus für die Wahrung gesellschaftlicher Traditionen ein (vgl. von Beyme 2002: 34). Aus der Grundannahme heraus, dass sich die politische Mitte10 aus den demokratischen Varianten der jeweiligen Strömungen zusammensetzt, bildet die Sozialdemokratie den linken und der christdemokratische Konservatismus den rechten Rand der Mitte. Vom christdemokratischen Konservatismus abzugrenzen ist der Rechtskonservatismus, der sich vor allem durch ein starkes Nationalgefühl sowie kulturelle und ethnische Identität auszeichnet, jedoch „über keinerlei Affinitäten zum völkischen Nationalismus“ (Stöss 2013: 578) oder Rassismus verfügt. Es werden lediglich verstärkt nationale Belange verfolgt und das Wohl des eigenen Staates als oberste Prämisse angesehen. Dabei vertritt der Rechtskonservatismus, der oftmals synonym auch als Nationalkonservatismus bezeichnet wird, die Grundprinzipien der Demokratie und verfolgt die Stärkung der konservativen Werte.
Der Rechtspopulismus wird im Verständnis dieser Untersuchung als eigene Abstufung im politischen Spektrum angesehen. Dies wird wie folgt begründet: Im Sinne der Neuen Rechten wird der Rechtspopulismus als Verbindung zwischen (rechts- und national-)konservativen Ansichten und dem Rechtsextremismus angesehen. Hierbei wird der Rechtspopulismus jedoch vielmehr als eine Grauzone verstanden denn als ein Scharnier. Wie bereits beschrieben verfolgt der Populismus prinzipiell keine eigene Ideologie, sondern beschreibt in erster Linie eine bestimmte Politikform. Dennoch werden im Rechtspopulismus diejenigen Personen und Parteien zusammengefasst, die sowohl auf populistische Stilmittel zurückgreifen als auch im Sinne der Anti-Parteien- und Anti-Establishment-Rhetorik argumentieren. Die rechte Gesinnung der jeweiligen PopulistInnen spielt insofern eine Rolle, als sie schwächer oder stärker ausgeprägt sein kann. So befinden sich RechtspopulistInnen bei verschwimmenden Grenzen sowohl am Rande des Rechtskonservatismus als auch am Rande des Rechtsextremismus. Durch diese Verbindung zu beiden Seiten kommt eine Grauzone zustande, in der sich RechtspopulistInnen – je nach Thema und persönlicher Einstellung – frei bewegen und sich situationsabhängig konservativer oder extremer geben kann. Konservative(re) RechtspopulistInnen lehnen bspw. die Integration von Minderheiten zwar nicht grundlegend ab, sehen sie zumindest aber – im Sinne des Kulturalismus – kritisch und als Bedrohung für den Nationalstaat und die eigene Kultur. Extreme(re) RechtspopulistInnen hingegen vertreten eine ablehnende Haltung gegenüber Minderheiten und sprechen anderen ethnischen und religiösen Gruppen die Integrierbarkeit oder zumindest eine Assimilation an die eigene Kultur ab (vgl. Geden 2006: 212), ohne jedoch offen rassistisch zu sein. Des Weiteren propagieren sie einen drohenden Identitäts- und Souveränitätsverlust und eine kulturelle Entwurzelung durch Multikulturalismus, Globalisierung und – im Zusammenhang mit der EU – eine fortschreitende Europäische Integration (vgl. Betz 2002: 254). In ihrer Argumentation greifen RechtspopulistInnen aktuelle Krisen auf und stellen die Verantwortlichen für das Scheitern ihrer Politik an den Pranger, während sie sich als Teil des betrogenen und im Stich gelassenen Volkes ansehen (vgl. Bauer 2010: 5).
Am äußeren Rand des Spektrums befindet sich der Rechtsextremismus, der sich durch ein antidemokratisches und autoritäres Gesellschaftsverständnis sowie völkischen Nationalismus und Rassismus auszeichnet. Gleichzeitig betont er die Bedeutsamkeit des Erhalts des souveränen Nationalstaates und vertritt eine ethnopluralistische und antiglobalistische Position, in der das eigene Volk, die Nation und die kulturelle Identität an erster Stelle stehen und äußere Einflüsse und Öffnung nach außen als Bedrohung empfunden werden. Während sich der Rechtsextremismus schon allein aufgrund seiner Wortzusammensetzung und der Bedeutung des Terminus selbst am rechten äußeren Rand befinden muss, gibt es für andere rechte Weltanschauungen keinen eindeutigen Platz im politischen Spektrum. Exemplarisch hierfür steht der Rechtsradikalismus, der aus verschiedenen Gründen nicht in Abbildung 4 auftaucht: Zum einen wird in der Literatur argumentiert, dass sich – auf juristischer Ebene – Radikalismus und Extremismus nur durch die Einstellung zum demokratischen System unterscheiden. Gleichzeitig werden die Begriffe jedoch weiterhin synonym verwendet, was dazu führt, dass innerhalb der Grauzone des Rechtspopulismus beide Definitionen bedient werden. In diesem Fall ist es hilfreich, dass sich der Rechtspopulismus lediglich durch die Stärke der ideologischen Ausprägung im rechten Spektrum ansiedeln lässt. Zwar ist nicht jede Form von Radikalismus auch populistisch, aber es bewegt sich auch nicht jede/r Radikale im illegalen Bereich. Im ursprünglichen Sinne des Wortes verfolgt der Radikalismus das Ziel, Probleme an ihrer Wurzel anzusprechen und zu bekämpfen. In diesem Zusammenhang kann der Rechtsradikalismus durchaus populistische Formen annehmen, was eine Verortung am rechten Rand des Rechtspopulismus rechtfertigt. Zum anderen werden im weiteren Verlauf dieser Untersuchung nicht nur Parteien aus dem deutschsprachigen Raum näher betrachtet, was – zumindest in diesem Zusammenhang – eine Öffnung des Begriffs für andere Sprachräume erfordert. Hierbei ist zu beobachten, dass sich die Trennung von Radikalismus und Extremismus aufgrund der amtlichen Definition lediglich in Deutschland durchgesetzt hat, während beide Begriffe in der internationalen Literatur meistens weiterhin synonym verwendet werden (vgl. Mudde 1996: 230). Darüber hinaus fällt auf, dass das Adjektiv ‚rechtsradikal‘ heutzutage fast nicht mehr verwendet wird, um Parteien spezifizierend zu beschreiben. Im Verständnis dieser Untersuchung bezeichnet der Begriff ‚radikal‘ grundsätzlich von der Mitte des Rechts-Links-Spektrums abweichende Positionen, die nicht mehr als gemäßigt angesehen werden können.
1 Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle erwähnt, dass man in der Euroskeptizismusforschung zwischen zwei Schulen mit unterschiedlichen Herangehensweisen an den Euroskeptizismus unterscheidet: die Sussex-Schule (u. a. Taggert 1998; Taggert & Szczerbiak 2001; Kopecký & Mudde 2002), die den partei-basierten Euroskeptizismus untersucht, und die North Carolina-Schule (u. a. Ray 1999; Hooghe & Marks 2007; Krouwel & Abts 2007; Weßels 2009; Boomgaarden et al. 2011), die Euroskeptizismus im Kontext der öffentlichen Meinung behandelt. Nichtsdestotrotz werden in dieser Arbeit nicht explizit die Lehren eines der beiden Modelle hervorgehoben, sondern die Herangehensweisen beider Schulen insbesondere zur Klärung des Terminus Euroskeptizismus zu Rate gezogen.
2 Harter Euroskeptizismus wird oft auch als Europhobie (vgl. u. a. Henderson 2001: 14; Szczerbiak & Taggert 2003: 9), Euroablehnung (vgl. u. a. Kopecký & Mudde 2002: 302; Szczerbiak & Taggert 2003: 7) oder Anti-EU-ismus (vgl. u. a. Boedeltje & van Houtum 2008: 361; Westlake 2017: 19) bezeichnet.
3 In der Expertenliteratur lässt sich diese Meinung u. a. auch bei Kopecký und Mudde (2002: 299f.) oder Krouwel und Abts (2007: 254) wiederfinden.
4 In einem späteren Artikel reagieren Szczerbiak und Taggert (2003: 7) auf hervorgebrachte Kritik zu ihrer Definition und geben an, die Unterscheidung in harten und weichen Euroskeptizismus sei lediglich eine Arbeitsdefinition („working definition“) gewesen.
5 Aufgrund politischer Entwicklungen innerhalb der Europäischen Union und einem Erstarken der euroskeptischen Stimmen in den europäischen Institutionen, konnte beobachtet werden, dass eine dritte Herangehensweise an den Euroskeptizismus immer mehr Beachtung und Relevanz für die Forschung gewann: die Untersuchung der EU-Institutionen und die Auswirkungen von Euroskeptizismus innerhalb dieser Institutionen (u. a. Brack 2013, 2015; Brack & Startin 2015; von Ondarza 2016a). Da diese Betrachtungsweise jedoch weder eigene Typologisierungen des Euroskeptizismus hervorgebracht noch konkret zur Entwicklung der Euroskeptizismusforschung beigetragen hat, wird diese in diesem Kapitel nicht weiter berücksichtigt.
6 Da in anderen Sprach- und Kulturräumen die fremdsprachlichen Entsprechungen der hier diskutierten Begriffe in unterschiedlicher Weise verwendet