Bekenntnisse-Confessiones. Aurelius AugustinusЧитать онлайн книгу.
– wie etwa der berühmte Birnendiebstahl in der Jugend – nimmt deshalb breiten Raum ein und wird sehr gründlich reflektiert, während anderes völlig ohne Erwähnung bleibt.
Die Frage der literarischen Einheit des Buches wird wohl umstritten bleiben. Man verbaut sich jedoch den Zugang zu Augustins »Bekenntnissen«, wenn man diese ersten neun »autobiographischen« Bücher aus der Gesamtschrift herauslöst (wie es manche »Volksausgaben« unternommen haben) und sie von den philosophisch-theologischen Büchern 10 – 13 abspaltet. Erst die Betrachtung der »Confessiones« als literarische Einheit macht Augustins Absicht deutlich: Die Reflexion seines eigenen Lebensweges ist für ihn bedeutsam als Beispiel eines von Gott geretteten Lebens überhaupt. Das eigene Leben ist für Augustin der vertrauteste Fall menschlicher Existenz überhaupt, die er in heilsgeschichtlicher Perspektive reflektiert. Deshalb spannt er den Bogen ausgehend von der eigenen Lebenserfahrung bis hin zur Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte am Ende des Buches.
Bereits der Titel der Schrift bedarf der Deutung. »Bekenntnisse«, »Confessiones«, darf keineswegs in einem oberflächlich-voyeuristischen Sinne, etwa gar als »Enthüllung«, verstanden werden. Augustin wählt für seine Schrift die Form des Zwiegesprächs mit bzw. eines Dankeshymnus an Gott, und die Bedeutungsfülle des Titels selbst wird an mehreren Stellen des Buches klar erkennbar: Es geht zunächst um ein reumütiges Bekenntnis der eigenen Verirrungen und Schuldverstrickungen, um die vielen Umwege auf seiner Wahrheitssuche. Doch der Titel der Schrift meint unverkennbar auch den bekennenden Lobpreis und gläubige Anerkennung der Führung Gottes, die Augustin in seinem eigenen Leben und in der menschlichen Existenz überhaupt erkennt, und nicht zuletzt darf man den Ausdruck »Bekenntnisse« durchaus im Sinne einer werbenden Darstellung des Christentums für eine gebildete Leserschicht verstehen.
Der Facettenreichtum dieser wohl bekanntesten Schrift des Augustin ist unverkennbar. Es ist ein psychologisches, theologisches, philosophishes und exegetisches Buch gleichermaßen. Als Meister psychologischen Einfühlungsvermögens erweist sich Augustin vor allem im Nachdenken über die entscheidenden existentiellen Erfahrungen von Schuld und Tod. Der bereits erwähnte Birnendiebstahl ist Anlass für eine tiefgründige Motivanalyse und ein sorgfältiges Ausloten der Dimension von Schuld. Zwei Ereignisse sind es, die Augustin über den Tod nachdenken lassen: der Tod eines engen Freundes und der Tod der Mutter Monica in Ostia. Die beiden Textabschnitte von existentieller Unmittelbarkeit erreichen auch heutige Leser mühelos, und ohne Zweifel reihen sie sich ein in die großen literarischen Zeugnisse der Auseinandersetzung mit dem Tod in der Menschheitsgeschichte, die mit dem Gilgamesch-Epos ihren Anfang nahmen.
Die neuplatonische Philosophie lieferte Augustin zunächst das gedankliche Rüstzeug für eine methodische Reflexion der christlichen Glaubensinhalte, also für die Theologie im engeren Sinne. Bereits in den »Confessiones« wird aber deutlich, dass Augustin damit den christlichen Glauben nicht an eine diesem wesensfremde Philosophie preisgibt, sondern dass er an entscheidenden Stellen die Voraussetzungen des Neuplatonismus durchbricht, um dem spezifisch Christlichen Raum zu geben. Seine Auffassung von der Gnade Gottes und der Inkarnation des göttlichen Logos sind hier die klarsten Beispiele. Das Christentum passt sich so nicht einfach einer vorgegebenen Weltsicht an, sondern es wird selbst zum verändernden Ferment der Geistesgeschichte.
Die bereits erwähnten beiden großen »philosophischen« Textabschnitte über das Gedächtnis und die Zeit zeigen, dass der christliche Glaube sich nicht nur in eine vorgegebenen philosophischen Begrifflichkeit einfügt, sondern die philosophische Reflexion seinerseits befruchtet und weiterführt. In seiner Auseinandersetzung mit den »Akademikern« (die eine skeptische Weltanschauung vertraten) nimmt Augustinus auf seine Weise das philosophische Argument des »Ich denke, also bin ich« des René Descartes vorweg, der mit dieser Überwindung des methodischen Zweifels den Anfangspunkt der neuzeitlichen, vom denkenden Subjekt ausgehenden Philosophie gesetzt hat.
Und schließlich erweist sich Augustin am Ende der »Confessiones« als ein Meister der allegorischen Schriftauslegung. Für einen philosophisch Gebildeten seiner Zeit bot die Bibel der Christen – gemessen an den hochstehenden Reflexionen und der kunstvollen literarischen Darstellungsweise der einflussreichen philosophischen Werke, die zum Bildungsbestand jener Zeit gehörten – hauptsächlich Sperriges und Befremdliches. Erst die Predigten des Mailänder Bischofs Ambrosius und deren allegorische Auslegung der Schrift eröffneten Augustinus selbst den Zugang zur Bibel, und in seinem späteren Wirken als Bischof von Hippo, dem ja vor allem das Predigtamt oblag, brachte Augustin die allegorische Exegese zu neuer Blüte. In den »Bekenntnissen« widmet er sich der Auslegung der Schöpfungsgeschichte, die auch in seinem späteren Wirken ein zentrales Thema bleiben wird.
Um einen Text der Antike heute angemessen lesen zu können, ist es unabdingbar, sich zu vergegenwärtigen, in welcher Zeit er entstand. Man datiert die Entstehung der »Confessiones« allgemein in die Zeit von 397 – 401. Der Niedergang des weströmischen Reiches zeichnete sich bereits ab. Im Jahr 410 eroberten die Goten Rom, und Augustinus selbst stirbt im Jahr 430, als die Vandalen Hippo belagerten. Im »Gottesstaat« legt Augustinus nach der Eroberung Roms durch die Goten selbst eine Geschichtstheologie vor, mit Hilfe derer er dieses Ereignis verarbeitet und deutet. Die Abfassung der »Confessiones« liegt vor diesen Ereignissen. Dennoch spiegelt dieses Buch die geistige Situation einer atemberaubenden Umbruchszeit wider. Das Christentum war seit Konstantin »religio licita«, also anerkannte Religion, der Restaurationsversuch des alten Götterglaubens unter Kaiser Julian war gescheitert, aber trotz der immer stärkeren Etablierung des Christentums lebten einerseits die alten paganen Traditionen mächtig fort, andererseits traten Weltanschauungen, Mythologien und Philosophien – wie etwa der Manichäismus – auf den Plan, die für das junge Christentum zur großen Herausforderung wurden. Erst in Abgrenzung von ihnen bildete sich allmählich sein Profil heraus. Die dramatischen geistigen Auseinandersetzungen, die in Augustins eigenem Lebensweg selbst erkennbar sind, tragen wohl die typischen Zeichen einer Epoche, deren Niedergang sich klar abzeichnete. Möglicherweise ist auch dies ein Aspekt der Aktualität dieses antiken Textes.
Die Übersetzung von Otto F. Lachmann zeichnet sich vor allem durch das Bemühen um gewissenhafte Texttreue aus, die die oft verschlungenen Gedankengänge Augustins keiner falsch verstandenen Anbiederung an unsere Alltagssprache opfern. Die sprachliche Eleganz und ein flüssiger Stil machen uns Heutigen einen Text »lesbar« und zugänglich, der mit Fug und Recht als einer der Quellentexte unserer abendländischen Kultur gelten darf.
Bruno Kern
Erstes Buch
Erstes Kapitel
Groß bist du, o Herr, und deines Lobes ist kein Ende; groß ist die Fülle deiner Kraft, und deine Weisheit ist unermesslich. Und loben will dich der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung; der Mensch, der sich unter der Last der Sterblichkeit beugt, dem Zeugnis seiner Sünde, einem Zeugnis, dass du den Hoffärtigen widerstehest; und doch will dich loben der Mensch, ein so geringer Teil deiner Schöpfung. Du schaffest, dass er mit Freuden dich preise, denn zu deinem Eigentum erschufst du uns, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir. Kläre mich auf, o Herr, und lass mich erkennen, ob wir dich zuerst anrufen oder dich preisen; ob wir dich eher erfassen als anrufen sollen. Doch wer ruft dich an, solange du ihm unbekannt bist? Könnte dich, der dich nicht erkennt, statt des einen ein anderes Wesen anrufen? Oder wirst du zuvor angerufen, auf dass du erkannt werdest? Wie sollen sie aber anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie aber glauben an den, der ihnen nicht geprediget worden? Loben werden den Herrn, die ihn suchen. So ihn aber suchen, werden ihn finden, und die ihn finden, werden ihn loben. Ich will dich suchen, o Herr, im Gebet, und ich werde dich anrufen im Glauben: Denn du bist uns verkündiget worden. Mein Glaube, den du mir gegeben, o Herr, ruft dich an, mein Glaube, den du mir einhauchtest durch die Menschwerdung deines Sohnes, durch die Vermittlung deines Predigers.
Zweites Kapitel
Wie aber soll ich anrufen ihn, meinen Gott und Herrn? Denn zu mir hinein rufe ich ihn ja, wenn ich ihn anrufe. Wie heißt die Stätte, dahin mein Gott komme zu mir, wohin der Gott komme zu mir, der Himmel und Erde gemacht hat? So ist also, Herr, mein Gott, etwas in mir, das dich zu fassen vermag? Fassen dich denn