Nordwestpassage. Roald AmundsenЧитать онлайн книгу.
Also lasen die Norweger nun Lobgesänge darauf, wie Roald Amundsen mithilfe der »Fram« 1911 den Südpol eroberte, wie er auf der »Maud« zwischen 1918 und 1920 im Kielwasser des Schweden Adolf Erik Nordenskiöld die Nordostpassage erzwang, wie er 1925 von einer Notlandung mit der »N 25« von 87° 43’ unbeschadet nach Hause kam, wie er 1926 mit dem Luftschiff »Norge« den Nordpol überquerte und wie er 1928 auf dem Flug zur Rettung des verunglückten Italieners Umberto Nobile mit seiner »Latham 47« auf Nimmerwiedersehen entschwebte.
»Wenn wir auf diese Weise Roald Amundsens 70. Geburtstag begehen«, schrieb Odd Arnesen in seinem Nachwort zu jener Blütenlese aus sage und schreibe vierhundert Poemen, »dann soll uns das in unserm Bemühen stählen, die Interessen Norwegens in der Arktis und Antarktis zu verteidigen, wo er als erbitterter Kämpfer voranschritt – und siegte.«
Das waren klare Worte, anno 1942.
Sie erklären auch, wie es kam, dass diese Identifikationsfigur nicht eigentlich für tot gehalten wurde, sondern nach altem Wikingerglauben als unsterblich galt.
Die Geschichte von König Olaf Tryggvissohn, eine Saga aus dem 13. Jahrhundert, erzählt, wie der Fürst im Jahre 1000 bei einer Schlacht in der Ostsee ins Wasser gestürzt war. »Und wie sich nun auch die Sache zugetragen haben mag, jedenfalls kam König Olaf Tryggvissohn niemals seitdem wieder in sein Reich Norwegen zurück.« Weshalb viele meinten, dass er nach wie vor »lebend wäre« – irgendwo, ein Wiedergänger.
Am 22. März 1950 enthielt die NORDWESTDEUTSCHE RUNDSCHAU aus Wilhelmshaven die Reportage über einen Pelztierjäger in Alaska. Er besäße eine wohlbekannte Hakennase und habe auf die Frage, wer er sei, die Antwort gegeben: »Amundsen!«
Detlef Brennecke
1 Die folgenden Abschnitte orientieren sich im Wesentlichen an dem Kapitel »Die Nordwestpassage« in meiner Biografie über Roald Amundsen (Reinbek bei Hamburg, 1995) [Anmerkung des Herausgebers].
2 Hätte er dies getan, wäre Roald Amundsen unter den Leuten gewesen, die Nansen und Hjalmar Johansen am 17. Juni 1896 auf Franz-Joseph-Land vor dem Zugrundegehen bewahrten. – Eine bestechende Vorstellung! [Anmerkung des Herausgebers]
3 Zum Zweck der Lesbarkeit des Ganzen wird die norwegische Schreibweise des Namens »Gjøa« im vorliegenden Text durch die Form »Gjöa« ersetzt [Anmerkung des Herausgebers].
4 Der dröge Bericht einer Tour zur Ermittlung des Pols, der in unsere Edition nicht übernommen wurde, endet kleinlaut mit dem Seufzer: »Ein glänzender Erfolg war unser Ausflug allerdings nicht« [Anmerkung des Herausgebers].
5 Das wissenschaftliche Mäntelchen für Amundsens Suche nach der nordwestlichen Durchfahrt wurde neunzehn Jahre später in aller Stille in Oslo verscharrt. Da, 1925, hatten Aage Graarud und Nils Russeltvelt Die erdmagnetischen Beobachtungen der Gjöa-Expedition 1903–1906 gewogen und zu leicht befunden: »Das Material reicht, wie man versteht, nicht zu, um detaillierte magnetische Karten über das Polargebiet aufzuzeichnen« [Anmerkung des Herausgebers].
ROALD AMUNDSEN
DIE NORDWESTPASSAGE
Der kleinen tapferen Schar, die mich auf der Nordwestpassage begleitet und yzur glücklichen Vollendung des Unternehmens das Leben eingesetzt hat, sende ich meinen warmen, innigen Dank.
Wieder und wieder kehren meine Gedanken liebevoll zurück zu dem einsamen Grabe, das da draußen über der unendlichen Eiswüste aufragt, und ich gedenke dankbar dessen, der auf der Walstatt gefallen ist.
Roald Amundsen
ERSTES KAPITEL
DEM EISMEER ENTGEGEN
Der Einzige, der bei unserer Abreise Zeichen von Rührung kundgab, war der Himmel, aber der tat es auch mit allem Nachdruck. Als wir in der Nacht vom sechzehnten auf den siebzehnten Juni den Anker lichteten, regnete es in Strömen. Sonst war die Nacht still und dunkel, und nur unsere Nächsten waren auf das Schiff gekommenen, uns Lebewohl zu sagen.
Aber trotz Regens und Dunkelheit und trotz des letzten Abschieds war die Stimmung auf der Gjöa heiter und froh. Die Interimszeit der letzten Wochen, ohne eigentliche Arbeit, hatte uns alle ermüdet. Für meine persönlichen Gefühle kann ich keinen Ausdruck finden, und möchte es auch nicht. Die Anstrengungen der letzten Zeit, um alles vollends in Ordnung zu bringen, die Unruhe, dass wir immer und immer noch nicht abfahren konnten, und meine verzweifelten Anstrengungen, die fehlenden Gelder zusammenzubringen – dies alles hatte mich stark mitgenommen und mir Leib und Seele angegriffen.
Aber nun war es überstanden, und niemand könnte die unsägliche Erleichterung beschreiben, die uns überkam, als die Jacht vom Ufer wegglitt.
Außer den sieben Teilnehmern an der Expedition waren nur noch meine drei Brüder an Bord, die uns zum Kristiania-Fjord hinaus das Geleit gaben. Es war still und ruhig auf der Gjöa, die ganze Navigation wurde vorläufig von einem Schleppdampfer besorgt, den wir vor dem Bug hatten. Die Wache war dem Steuermann überlassen sowie unseren sechs Hunden. Diese Hunde hatten schon bei der zweiten Expedition der »Fram«, die sie mit nach Hause gebracht hatte, gute Dienste geleistet. Arme Tiere! Es wäre besser gewesen, man hätte sie in Eis und Schnee zurückgelassen, anstatt sie dahin zu schleppen, wo sie sich, besonders in diesem Frühling, der so ungewöhnlich warm war, sehr übel befanden. Da standen sie nebeneinander angebunden und sahen in dem Regen jammerwürdig aus – denn Regen ist das Schlimmste, was man einem Polarhund bieten kann. Schon auf der Herreise hatten sie eine Seefahrt in Regen- und Nebelwetter durchmachen müssen, und jetzt war ihnen auf der Rückkehr eine zweite beschieden. Aber nun ging es ja auch wieder dahin, wo die armen Schelme daheim waren!
Um sechs Uhr morgens erreichten wir den Hafen von Horten, wo wir zweihundert Kilogramm Schießbaumwolle einnahmen. Sprengstoff kann bei einer Polarexpedition von großem Nutzen sein, und ich würde es als einen entschiedenen Fehler betrachten, wollte man ohne solchen ausziehen, selbst wenn es geschieht – wie das bei uns der Fall war –, dass man keine Verwendung dafür bekommt.
Um elf Uhr vormittags waren wir bei Färder. Das Wetter hatte sich gebessert und der Regen aufgehört. Als wir eben die Bugsiertrosse losmachen wollten, riss diese von selbst ab und ersparte uns dadurch die Arbeit. Mit vollen Segeln fuhr die Gjöa nun bei dem Wind südwärts und senkte ihre Flagge zu einem letzten Gruß an die Lieben daheim. Lange verfolgten wir das Bugsierboot mit dem Fernrohr, lange schwangen wir unsere Mützen und beantworteten die erst mit dem Boot in weiter Ferne verschwindenden Grüße.
Nun waren wir also allein und jetzt begann die Expedition im Ernst.
Schwer beladen, wie die Gjöa war, ging es nicht sehr schnell vorwärts. Da alles zum Voraus seeklar gemacht worden war, konnten wir sogleich unseren festen Dienst antreten. Die Wache wurde bestimmt und die Freiwache zog sich zurück. Wie herrlich war es! Kein Umtrieb, keine widerwärtigen Gläubiger, keine langweiligen Menschen mit schlechten Prophezeiungen oder zum Mindesten mit spöttischen Gesichtern … Nur wir sieben vergnügten, zufriedenen Menschen, die da waren, wo sie sein wollten, und nun in froher Hoffnung und festem Glauben der Zukunft entgegensteuerten. Der Welt, die so lange düster und traurig vor mir gelegen hatte, sah ich jetzt wieder mit Mut und Lust entgegen.
Der Leuchtturm von Lister war das Letzte, was wir vom Festland sahen. In der Nordsee jagten ein paar Windstöße daher, die für die nicht Seefesten unter uns weniger behaglich waren. Die Hunde waren jetzt losgebunden und liefen frei umher. An den Tagen, wo die See hochgeht und die Gjöa schlingert – denn das kommt vor –, laufen sie von einem zum anderen und studieren unsere Mienen. Die ihnen zugemessene tägliche Kost – ein getrockneter Fisch und