Nordwestpassage. Roald AmundsenЧитать онлайн книгу.
arbeitsreiche Zeit! Aber wie auch alles vorwärtsging! Alle schienen von demselben Drang beseelt zu sein, die Arbeit gut auszuführen, damit wir sobald wie möglich klar wären und dann keine Zeit oder Gelegenheit zur Weiterfahrt versäumen müssten.
Lindström verstand die ganze Maschinerie zu schmieren, und zwar auf seine Weise. Er war überall unterwegs, kaufte und handelte mit den Eskimos, bald um einen gesalzenen, bald um einen frischen Lachs, bald um einen Eidervogel, bald um eine Lumme. Und in dieser Zeit war demgemäß der Speisezettel sehr abwechslungsreich.
Lindströms Münze dafür waren Bäcker Hansens schimmlige Honigkuchen aus Kristiania. Und wenn sie auch nicht klingend, ja nicht einmal ganz gut waren – so waren sie doch sowohl rund als auch gangbar.
Wenn ein Eskimo zum Handeln auf dem Schiff erschien, wurde Lindström auf Deck geholt. Die Verhandlungen wurden in der Eskimosprache und auf gut Nordländisch-Norwegisch geführt. Die Entgegnungen fielen von beiden Seiten umständlich aus, vonseiten der Eskimos aber fast immer demütiger und ängstlicher, angesichts des väterlich herablassenden, nichts auf der Welt vermissenden oder sich wünschenden Lindström.
Wir, die wissen, dass unser lieber Koch keine Ahnung von einem einzigen Wort der Eskimosprache hat, versammeln uns um das Paar und können uns kaum das Lachen verbeißen. Wenn dann die Verhandlungen eine Weile gedauert haben, macht Lindström das Zeichen plötzlich aufdämmernden Verstehens und verschwindet im Schiffsraum. Selbstbewusst und vergnügt kehrt er zurück – unter jedem Arm einen schimmligen Honigkuchen. Der Eskimo betrachtet ihn mit den Zeichen lebhaftesten Erstaunens. Für seinen Lachs hat er nämlich Tabak verlangt. Aber bei dem Versuch, Lindström seinen Irrtum begreiflich zu machen, stößt er auf eine freigebige, herablassende, schulterklopfende Unempfänglichkeit. Lindström nimmt den Lachs, der Mann bekommt die Kuchen – und die Sache ist erledigt. Das Nachspiel ist aber vielleicht doch noch das Netteste vom Ganzen, nämlich Lindström erzählen zu hören, dass er selbstverständlich jedes Wort des Eskimos verstanden habe; »aber als dieser drei Kuchen verlangte, da habe ich getan, als ob ich ihn nicht verstände, und ihm nur zwei gegeben«. Ich hatte einen lästerlichen Verdacht, dass der Eskimo mehr als einmal mit seinen Kuchen zu den Seinigen zurückkehrte und – unzweifelhaft mit größerem Recht – vor diesen behauptete, dass er »getan habe, als habe er nicht verstanden«!
Der Aufenthalt auf Godhavn war von Anfang bis Ende äußerst angenehm. Die Hauptplage dort waren die Mücken, die uns in dem Grade bei der Arbeit quälten, dass wir uns oft mittendrin in die Kajüte flüchten mussten, nur um etwas Ruhe vor ihnen zu bekommen.
Am einunddreißigsten Juli waren wir fertig. Die verschiedenen Beobachtungen waren aufgenommen und die ganze Ausstattung war an Bord gebracht. Da wir uns sowieso schon verspätet hatten, mussten wir uns jetzt beeilen. So verabschiedeten wir uns denn von den liebenswürdigen Menschen in Godhavn und lichteten den Anker. Der Inspektor, der Kolonievorstand und der Assistent begleiteten uns zum Sund hinaus. Die öffentlichen Gebäude hatten beflaggt und die »Batterie« auf dem Hügel schickte uns einen »Salutschuss« nach. In den Schären verabschiedeten wir uns endgültig von unseren Freunden, winkten der gastfreien dänischen Flagge noch einmal zu – und dann waren wir uns wieder selbst überlassen. Gleich vor dem Sund draußen trafen wir unseren alten Bekannten, den Nordwestwind, und mussten sogleich kreuzenderweise weiterfahren.
Das Parry-Riff war auf unserer Karte unrichtig angegeben und wir wären beinahe darauf losgefahren. Glücklicherweise sahen wir aber das Aufschlagen der Wogen und konnten noch beizeiten wenden. Dieses Riff ist ganz niedrig und gleicht zum Verwechseln dem Rücken eines Walfischs.
Während des Aufenthalts in Godhavn hatte ich jedem von den Teilnehmern an der Expedition von unseren dicken wollenen Unterkleidern, Islandjacken und Nansenkleidern ausgeteilt; wir waren also wohlvorbereitet auf das Eis. Die meisten von uns hatten sich überdies auch Anzüge aus Seehundfellen eingetauscht.
Am sechsten August waren wir dwars vor Upernivik, in zwölf Seemeilen Entfernung. Hier hatten sich Hunderte von Eisbergen gesammelt, die größer und gewaltiger aussahen, als die wir südlich davon getroffen hatten. Treibeis sahen wir noch keines, und wir begannen schon zu hoffen, wir könnten am Ende ungehindert in die Melville-Bucht hineingelangen.
Am nächsten Tag fuhren wir an Itivdliharsuk vorüber auf 73° 30’ nördl. Breite – dem nördlichsten von zivilisierten Menschen bewohnten Ort. Am achten August waren wir bei der Insel Holms und sollten da die Fahrt über die Melville-Bucht antreten. Dies ist die gefürchtetste Strecke in diesem Teil des Arktischen Ozeans. Gar viele Schiffe haben hier ihre letzte Reise gemacht. Doch sind diese Verhältnisse meistens nur früher im Jahr so besonders gefährlich. Im Juni und Juli, wenn das Eis aufgeht und die Walfischfänger nordwärts ziehen – es handelt sich ja darum, der Erste auf dem Platz zu sein –, müssen sie oft schwere Kämpfe mit dem Eis bestehen. Der äußere Teil des Eises in der Bucht geht zuerst auf, der innere Teil bleibt ganz liegen, und dieses Eis führt den Namen Land- oder Festeis. Dem Rand dieses Eises entlang suchen die Walfischfänger vorwärtszukommen, und die Vernünftigen unter ihnen lassen es auch nicht los, bis sie auf der Nordseite der Bucht im offenen Wasser angelangt sind. Am Rand des Festeises bilden sich häufig natürliche Docks, wo hinein sich die Schiffe, wenn das Treibeis daherkommt, flüchten und retten können. Wenn kein natürliches Dock da ist, haben die meisten Walfischfänger Mannschaft genug, sich in verhältnismäßig kurzer Zeit selbst ins Eis hineinzuarbeiten. Die Schottländer sind es, die diese Gewässer beherrschen, und die schottischen Walfischfänger haben sich – darüber kann kein Zweifel bestehen – unter den gefährlichen und schwierigen Verhältnissen zu den tüchtigsten Eismeerfahrern unserer Zeit ausgebildet.
Bei der Insel Holms richteten wir den Kurs auf Kap York. Die Verhältnisse sahen sehr günstig aus. Kein Festeis war zu erblicken, und so weit das Auge reichte, war die Melville-Bucht von Eisbergen und Blockeis, das heißt Stücken von Eisbergen, angefüllt.
Um drei Uhr nachmittags passierten wir den bekannten Wegweiser »des Teufels Daumen«, einen Felsengipfel, der einem alten knochigen, aufgehobenen Daumen so treffend ähnlich sieht, dass wir bei seinem Anblick alle in helles Lachen ausbrachen.
Jetzt hissten wir alle Segel und ließen den Motor mit voller Kraft arbeiten. Es galt, so schnell wie möglich über die Bucht hinüberzukommen; da durfte nichts gespart werden. Aber leider sollte unser direkter Kurs auf Kap York nicht von langer Dauer sein. Schon am nächsten Morgen wurden wir vom festen Packeis aufgehalten.
Im Lauf der Nacht hatte sich einen Viertelzoll dickes Neueis gebildet – und wir mussten nun, wie so viele andere vor uns – in den sauren Apfel beißen und südwärts fahren. Vorher fuhren wir aber doch zuerst eine Strecke zwischen das Eis hinein, um es ein wenig näher zu betrachten. Glatte Flächen und scharfe Kanten deuteten darauf hin, dass es erst kürzlich aufgebrochenes Landeis war; wir hatten uns also wahrscheinlich zu nahe an Land gehalten. Jetzt fuhren wir südwärts daran vorbei. Vor uns gegen Südwesten ragte eine Eiszunge ins Meer herein. Die Luft darüber war dunkel und ließ auf offenes Wasser schließen. Indessen legte sich hinter dieser Zunge jenseits einer großen, mit Schlackeis gefüllten Bucht eine zweite solche Eiszunge vor. Wir versuchten in diese Bucht einzudringen, aber bald verdichtete sich das Eis und zwang uns zur Umkehr. Weiter draußen war das Eis bedeutend schwerer, und es sah aus, als befänden wir uns gerade auf der Grenze zwischen dem neu aufgebrochenen Landeis und dem Treibeis. Ich entschloss mich daher, hier fortgesetzt hin- und herzufahren, hier, wo sich jetzt wahrscheinlich jede Veränderung im Eis gleich zeigen würde.
Und ganz richtig! Um Mitternacht wurde das Eis weicher und wir konnten ohne besondere Mühe hindurchfahren. Zugleich setzte ein dichter, undurchdringlicher Nebel ein. Wer den Eisnebel des Polarmeers nicht gesehen hat, weiß nicht, was Nebel ist. Selbst der Londoner Nebel ist nichts dagegen. Wir konnten nicht so weit wie die Länge des Schiffes sehen. Aber wir richteten uns in unserem Kurs nach dem Kompass und das Eis machte uns höflich Platz. So gelangten wir durch den feuchten Brei hindurch; aber wenn mich jemand über die Eisverhältnisse dieses Teils der Melville-Bucht befragen wollte, dann könnte ich ihm keinerlei Auskunft darüber geben. Die Einförmigkeit wurde ab und zu durch einen Seehund unterbrochen, der sofort sein Leben lassen musste. Wir schwelgten in frischem Seehundfleisch. Die ganze Zeit hatten wir noch keinen Vogel gesehen, aber gerade jetzt kamen große Scharen von Krabbentauchern daher – zu