Der Erste Weltkrieg. Daniel Marc SegesserЧитать онлайн книгу.
explizit ausgesprochen wurden und auf welche die Planung der Partner daher nicht in ausreichendem Maß Bezug nahm. Dies sollte sich im Herbst 1914 noch bitter rächen.
Im Gegensatz zum deutschen Schlieffen-Plan stießen andere Kriegspläne von größeren und kleineren Mächten vor 1914 in der Forschung wie der Öffentlichkeit nur auf mäßiges Interesse. Die größte Aufmerksamkeit erweckte sicherlich der Plan XVII der französischen Streitkräfte, welche am direktesten vom Vorhaben Schlieffens betroffen waren. Ein Blick auf die damit verbundene Planung macht rasch klar, dass der französische Generalstab zwar vor 1914 durchaus damit rechnete, dass sein Land zum ersten Ziel eines deutschen Angriffs werden würde, dass er aber über keine detaillierten Kenntnisse über die genaue Kriegsplanung des Gegners verfügte. Die eigene Planung basierte daher auf einer Untersuchung des Ausbaus des deutschen Eisenbaunetzes und der Festungswerke in Lothringen. Im Rahmen seiner Analysen kam der französische Generalstab dabei zum Schluss, dass die militärische Infrastruktur vor allem im Raum Aachen-Trier und Metz-Thionville ausgebaut wurde, was nur vor dem Hintergrund einer Planung Sinn machte, die eine Invasion belgischen Territoriums miteinbezog. Der aus dem Jahr 1907/08 stammende Plan XVI wurde daher in Form von Plan XVII insofern modifiziert, als die französischen Truppen schwergewichtig stärker im Norden konzentriert und der linke Flügel gestärkt wurden. Der französische Generalstab rechnete allerdings nicht damit, dass die deutschen Truppen in Belgien die Maas überschreiten würde, da die dazu notwendigen Einheiten nicht zur Verfügung stünden. Diese Fehleinschätzung sollte eine nicht unwichtige Rolle bei der weiteren Neukonzeption der strategischen Planung des französischen Generalstabes spielen. Er begünstigte nämlich die vom neuen Generalstabchef Joseph Joffre forcierte Umstellung der französischen Kriegsplanung von einer primär defensiv ausgerichteten auf eine von der Überzeugung getragenen Auffassung, wonach Frankreich in Fragen der Offensive nicht allein auf seine Bündnispartner (vor allem Russland) setzen dürfe, sondern selber in dieser Richtung aktiv werden müsse. Sich nur defensiv zu verhalten, wurde von vielen französischen Offizieren in den höheren Rängen mit dem Eingeständnis der eigenen Schwäche gleichgesetzt. Angesichts der Tatsache, dass Frankreich aber alleine trotz der Ausweitung der allgemeinen Wehrpflicht nicht über eine zahlenmäßig bedeutsame Überlegenheit gegenüber dem Deutschen Reich verfügte, musste der französische Generalstab in seinen Planungen auf diejenigen seiner Bündnispartner Rücksicht nehmen. Von zentraler Bedeutung war dabei die Weigerung der britischen Regierung, sich in jedem Kriegsfall zu einer Entsendung britischer Truppen zu verpflichten. Der französische Generalstab konnte so nur auf die Entsendung britischer Soldaten hoffen, falls die britische Öffentlichkeit von der Rechtmäßigkeit eines Krieges überzeugt werden konnte. Das aber war unmöglich, falls Frankreich gleich bei Kriegsbeginn die Neutralität Belgiens oder Luxemburgs verletzen würde. Diese innerhalb der französischen Militärführung in internen Studien durchaus als Erfolg versprechend betrachtete Option musste deshalb fallengelassen werden. Der französische Generalstab musste jedoch nicht nur auf Großbritannien Rücksicht nehmen. Auch die militärischen Planungen Russlands beeinflussten das französische Vorgehen erheblich. Auch hier zeigte sich, dass der Bündnispartner keineswegs die gleichen Ziele verfolgte und seine Stoßkraft primär nicht gegen das Deutsche Reich, sondern gegen die Habsburgermonarchie zu richten gedachte. Frankreichs Kriegsplanung war daher im Jahre 1914 nicht im gleichen Ausmaß detailliert wie diejenige seines Kriegsgegners. Es bestand sowohl die allerdings mit politischen Vorbehalten versehene Option einer Offensive via Belgien und Luxemburg als auch diejenige eines Vorstoßes nach Lothringen oder eine Kombination dieser beiden Pläne. Klar waren dabei nur zwei Dinge: Die französische Militärführung unter Joseph Joffe war nicht bereit, die eigenen Truppen in der Defensive zu belassen und sie rechnete auch im Gegensatz zu maßgeblichen deutschen und britischen Militärs nicht mit einem langem Krieg (Ehlert et al. 2007, 221-256).
Großbritanniens Kriegsplanung vor 1914 spielte für Frankreich also eine große Rolle. Sie beschränkte sich allerdings in dieser Zeit keineswegs allein auf die Frage der Entsendung britischer Truppen auf den Kontinent für den Fall eines Krieges zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich. Anders als für Frankreich, bei welchem Fragen der Verteidigung seines Imperiums außerhalb Europas im Generalstab nur eine untergeordnete Rolle spielten und außereuropäische Aspekte nur hinsichtlich der Mobilisierbarkeit kolonialer Einheiten für einen Krieg in Europa beachtet wurden (Michel 2003), war die Sicherung der Seewege und der Besitzungen sowie des Einflusses des Empires in allen Teilen der Welt für Großbritannien von zentraler Bedeutung. Nicht zuletzt zu diesem Zweck waren 1905 das Committee of Imperial Defence gegründet und 1907 die Umwandlung des britischen Generalstabes des Heeres in einen Imperial General Staff beschlossen worden. Ziel dieser Veränderungen war es keineswegs, das britische Militär zu einem Gefangenen seines Empires zu machen, doch sollten die Interessen außer- und innerhalb Europas in den neugeschaffenen Gremien nicht zu letzt vor dem Hintergrund der sich verändernden politischen, strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung Großbritanniens in der Welt gegeneinander abgewogen werden. Tendenziell legten die in Großbritannien stationierten Vertreter des Heeres dabei mehr Gewicht auf die Situation in Europa, während die Vertreter der Marine – vor allem während der Amtszeit von Sir John Fisher als First Sea Lord von 1905 bis 1910 – den britischen Interessen außerhalb Europas mehr Gewicht einräumten. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die britische Marine glaubte, keinen Beitrag in einem europäischen Krieg leisten zu können. Vielmehr versprach sie, durch eine Blockade der Seewege den deutschen Außenhandel zu lähmen – was im französischen Generalstab für sehr realistisch gehalten wurde (Ehlert et al. 2007, 245) – um damit rasch eine Kapitulation des Deutschen Reiches herbeizuführen, falls sich dieses dazu entscheiden sollte, Frankreich anzugreifen. Sollte dies nicht ausreichen, könne die Marine auch den Schutz von Landungsoperationen an der deutschen Küste sicherstellen (Offer 1989). Zentrale Aufgabe der britischen Marine blieb es allerdings immer, die Hoheit über das Meer gegen jede Macht, welche sie herauszufordern gedachte, zu verteidigen. In den Jahren vor Beginn des Ersten Weltkrieges wurde das mit einem großen Propagandaaufwand betriebene Flottenprogramm des deutschen Admirals von Tirpitz als die größte Gefahr für die Royal Navy gesehen. Deshalb konzentrierte das als Admiralität bezeichnete britische Marineministerium einen Großteil der eigenen Großkampfschiffe in der Nordsee, während andere Flottenbasen auf der Welt mit Schlachtkreuzern oder älteren Schlachtschiffen vorlieb nehmen mussten. Die einzige Ausnahme bildete dabei Australien, doch darauf wird später noch eingegangen.
Innerhalb des britischen Heeres kam es in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu großen Diskussionen über den Sinn oder Unsinn eines Engagements auf dem europäischen Kontinent. Zu den Befürwortern eines solchen Vorgehens gehörten mit James M. Grierson und Henry Wilson zwei Offiziere, die zwischen 1904 und 1914 in der wichtigen Funktion des Directors of Military Operations dienten, sowie mit George Roberston und Douglas Haig zwei weitere Offiziere, die im Verlauf des Ersten Weltkrieges eine wichtige Rolle spielten. Zu den vehementesten Gegnern eines Continental Comitment gehörten hingegen Offiziere, die längere Zeit in der Indian Army gedient hatten, so Herbert Horatio Kitchener, der von 1902 bis 1909 Oberkommandierender der Indian Army gewesen war, oder Ian Hamilton, lange Jahre Generaladjutant und später Inspector-General of Overseas Forces. Auch der indischen Regierung lag viel daran, primär die Kompatibilität von Indian Army und British Regular Army zu erhalten und die dazugehörige innere Struktur nicht dem Einsatz britischer Einheiten auf dem europäischen Kontinent zu opfern. Zudem galt die Indian Army als wichtiger Garant für die innere Ordnung und Stabilität des eigenen Landes und namhafte Exponenten der britischen Kolonialverwaltung trauten der Ruhe an der Nordwestgrenze nach dem Kolonialausgleich zwischen Russland und Großbritannien im Jahre 1907 nicht wirklich. Auch unter Offizieren der in Großbritannien befindlichen Regular Army gab es aber Gegner eines Continental Comitment, so Sir William Nicholson, von 1908 bis 1912 Chief of the Imperial General Staff. Bis 1914 wurde keine endgültige Entscheidung für oder wider einen Einsatz britischer Soldaten auf dem europäischen Kontinent getroffen, auch wenn Wilson später das Jahr 1911 als entscheidend für die kurz nach Kriegsbeginn erfolgte Entsendung der British Expeditionary Force bezeichnete.
Die militärischen Vorbereitungen und Kriegspläne des russischen Zarenreiches gehören nicht zu den besterforschten Aspekten der Geschichte des Ersten Weltkrieges, dies nicht zuletzt deshalb, weil sie lange von sowjetischen Bewertung des Weltkrieges als einer Auseinandersetzung unter Imperialisten, in welcher sich die russischen Soldaten und Offiziere tapfer und ehrenvoll geschlagen