Die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Gerhard HartmannЧитать онлайн книгу.
war. Auch wenn es historisch-kritisch sehr schwer ist, Karl für die europäische Integration als Vorbild zu instrumentalisieren, so ist dieser historische Rückgriff für die europäische Identitätsfindung doch durchaus von symbolischem Wert.
KAISER LUDWIG I. DER FROMME
(814–840)
Ks. Ludwig I. der Fromme (Hludowicus Pius; in Frankreich Louis le Débonnaire, der Gutmütige, genannt) wurde am 16. 4. 778 in Chasseneuil bei Poitiers (Aquitanien) geboren. Seine Eltern waren Ks. Karl der Große und Hildegard (siehe oben). Er war zweimal verheiratet: ab 794 mit ERMENGARD († 818), einer Tochter des fränkischen Gf. Ingram, und ab 819 mit JUDITH († 843), einer Tochter des schwäbischen Gf. Wulf. Er hatte neun Kinder, darunter Ks. LOTHAR I. (siehe unten), Kg. PIPPIN (um 797–838), Kg. LUDWIG DEN DEUTSCHEN (siehe unten) und Ks. KARL II. DEN KAHLEN (siehe unten).
Kurz vor Karls des Großen Tod wurde Ludwig als fränkischer Alleinherrscher durch die Kaiserkrönung legitimiert. Ludwig war von einem etwas anderen Charakter als sein Vater. So war er von persönlicher Frömmigkeit geprägt, was sich auf seine Stellung gegenüber der Kirche auswirkte und zu seinem Beinamen »der Fromme« (Pius) führte.
Die Regierung Ludwigs war von innerer Konsolidierung gekennzeichnet und nicht von einer weiteren Ausdehnung des Reiches, das vorläufig an seine Grenzen gestoßen war. Dort kam es anfänglich auch zu Kriegen gegen die Dänen, die Sorben und die Basken. 817/818 begann die normannische Bedrohung. Die »Nordmänner« fuhren mit den Schiffen plündernd die Loire und die Elbe aufwärts und wurden im Verlauf des 9. Jh. die gefährlichsten Gegner des Frankenreiches. Im Süden bedrängten wiederum die Sarazenen die Spanische Mark, die sie zurückerobern wollten.
Im Innern entfaltete Ks. Ludwig in den ersten Jahren seiner Regierung intensive Tätigkeiten, um das von Benedikt von Aniane (vor 750–821) und Helisachar († 820) formulierte Regierungsprogramm einer »Erneuerung des Frankenreichs« (Renovatio regni Francorum) umzusetzen. Die Verwaltung wurde verbessert (Intensivierung der Grafschaftsverfassung und der »Königsboten« – missi dominici). Benedikt von Aniane initiierte auch die beiden Reichssynoden 816 und 817 in Aachen, in denen das Klosterleben reformiert wurde. 817 wurde dabei auch die Nachfolge geregelt (Ordinatio imperii). Danach sollte Ludwigs ältester Sohn Lothar die Gesamtnachfolge antreten, dessen jüngere Brüder aber nur abhängige Teilherrschaften bekommen. Weil er in dieser Thronfolge nicht berücksichtigt wurde, rebellierte Bernhard (797–818), Kg. von Italien, Sohn von Ludwigs Bruder Karlmann. Dieser Aufstand wurde niedergeschlagen, und Bernhard wurde geblendet und starb an den Folgen der Verletzung.
Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Ludwig 819 die Welfin Judith, die einen Sohn gebar, den späteren Ks. Karl den Kahlen. Judith setzte nun alles daran, diesen in die Nachfolgeordnung Ludwigs einzubinden. Im Klartext bedeutete dies die Umstoßung der Thronfolgeregelung von 817. In diesem zeitlichen Umfeld und Zusammenhang gab es auch Revirements am Hof sowie andere Ereignisse, die 830 zu einer Revolte führten. Deren Drahtzieher nahmen auch zu den älteren Söhnen des Kaisers, Lothar und Pippin, Kontakt auf. Diese Revolte endete zwar unblutig, doch war damit die Krise noch nicht überwunden. Im Jahr 833 kam es wiederum zu Aufstandsbewegungen, in deren Verlauf Ks. Ludwig gefangen und abgesetzt wurde. Seine Anhänger widersetzten sich dem, so dass es 835 zu einer Wiedereinsetzung Ludwigs kam.
Nachdem Pippin, der zweitälteste Sohn Ludwigs, Ende 838 gestorben war, kam es 839 durch eine Initiative Judiths auf dem Reichstag zu Worms zur Versöhnung zwischen Ks. Ludwig und seinem ältesten Sohn Lothar. Die Folge davon war, dass das Reich zwischen diesem und Karl, dem Sohn Ks. Ludwigs aus der Ehe mit Judith, aufgeteilt wurde. Die Maas sollte die Grenze zwischen den Reichen Lothars und Karls bilden, und der dritte Bruder, Ludwig der Deutsche, sollte auf sein Unterkönigtum Bayern beschränkt bleiben.
In der Regierungszeit Ludwigs des Frommen wurde der Ausbau der kirchlichen Organisation fortgeführt. Im Jahr 815 wurde das Bistum Hildesheim gegründet, im folgenden Jahr das Bistum Verden (in der Reformation untergegangen) und im Jahr 831 das Erzbistum Hamburg errichtet (in der Reformation untergegangen, wiederbegründet 1995).
Als Ludwig starb, ging die Einheit des Frankenreichs zu Ende, daher ist die Periode der nun folgenden 60 Jahre nicht leicht zu strukturieren. Ab 887 entwickelten sich in der Folge endgültig aus dem Westfrankenreich Frankreich und aus dem Ostfrankenreich das spätere Heilige Römische Reich. Damit verbunden war auch die Herausbildung der Sprachgrenze zwischen Französisch und (Althoch-)Deutsch, die um die Jahrtausendwende abgeschlossen war.
Beschränkt man sich bei der folgenden Herrscherdarstellung nur auf die Träger der Kaiserkrone, wird man diese Zeitepoche nie gänzlich behandeln können, weil es keine klare Abfolge von Kaisern gegeben hat. Beschränkt man sich aber nur auf die Herrscher des Ostfrankenreiches, dann hat man zwar dort eine solche ununterbrochene Reihenfolge, aber nicht alle Amtsinhaber waren auch Kaiser.
In der folgenden Darstellung bis 911 werden die Repräsentanten der kaiserlichen Linie mit denen der königlichen Ostfränkischen Linie in zeitlicher Abfolge gemischt behandelt.
KAISER LOTHAR I.
(840–855)
Ks. Lothar I. wurde 795 geboren (Datum und Ort unbekannt). Seine Eltern waren Ks. Ludwig der Fromme und Ermengard (siehe oben). Er ehelichte 821 ERMENGARD († 851), eine Tochter des Gf. Hugo von Tours. Er hatte neun Kinder, darunter Ks. LUDWIG II. (siehe unten), Kg. LOTHAR II. (siehe unten) und Kg. KARL von Burgund (845–863).
Nach dem Tod Ks. Ludwigs I. beanspruchte Lothar I. seine vollen Rechte als Kaiser, wie es in der Ordinatio imperii festgelegt war. Das führte zwangsläufig zum Konflikt mit seinen Brüdern Ludwig dem Deutschen und Karl dem Kahlen (beide siehe unten), die sich verbündeten. In der Schlacht von Fontenoy (südwestlich von Auxerre, Burgund) am 25. 6. 841 besiegten sie Lothar. In Diedenhofen (Thionville; Lothringen) kam es zu einem vorläufigen Frieden zwischen den Brüdern. Im August 843 wurde im Vertrag von Verdun das Frankenreich endgültig aufgeteilt, obwohl die ideelle Einheit des Reiches fortbestand.
Lothar erhielt das Mittelreich, das sich von der Nordsee zwischen Schelde, Rhein und Maas bis nach Italien erstreckte. Aachen und Rom waren die beiden Hauptstädte. Außerdem behielt er die Kaiserwürde. Da er sich hauptsächlich nördlich der Alpen aufhielt, übertrug er die Regierung in Italien seinem Sohn, dem späteren Ks. Ludwig II. Die Provence wurde seinem anderen Sohn Karl zugeteilt. Karl der Kahle herrschte über das Westfrankenreich, Ludwig der Deutsche über das Ostfrankenreich.
Während sich Ks. Lothar I. hauptsächlich in Aachen aufhielt, verwüsteten die Araber 848 seine süditalienischen Provinzen, und die Normannen plünderten die Nordseeküste. Im Inneren war Lothar ein schwacher Herrscher. Das führte dazu, dass sein Bild in der Geschichte eher negativ dasteht. Schwerkrank teilte er kurz vor seinem Tod im September 855 sein Herrschaftsgebiet unter seinen Söhnen auf. Bereits früher erhielten Ludwig Italien und Karl die Provence und Burgund, während Lothar II. (siehe S. 28) im nördlichen Mittelreich regieren sollte. Mit dieser Maßnahme zersplitterte er das Mittelreich und verhinderte so im Gegensatz zum Westreich und Ostreich eine eigene politische Entwicklung. Vor allem der nördliche Teil blieb in seinen sprachlichen Grenzen unscharf und wurde später zum Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich, eine Situation, die letztlich erst 1945 beendet wurde. Lothar I. zog sich schließlich in die Abtei Prüm (Eifel, nördlich von Trier) zurück, wo er am 29. 9. 855 starb.
KAISER LUDWIG II.
(850/55–875)