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Weltgeschichtliche Betrachtungen. Jacob BurckhardtЧитать онлайн книгу.

Weltgeschichtliche Betrachtungen - Jacob Burckhardt


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wollen nicht eine Anleitung zum historischen Studium im gelehrten Sinne geben, sondern nur Winke zum Studium des Geschichtlichen in den verschiedenen Gebieten der geistigen Welt.

      Wir verzichten ferner auf alles Systematische; wir machen keinen Anspruch auf »weltgeschichtliche Ideen«, sondern begnügen uns mit Wahrnehmungen und geben Querdurchschnitte durch die Geschichte, und zwar in möglichst vielen Richtungen; wir geben vor allem keine Geschichtsphilosophie.

      Diese ist ein Kentaur, eine contradictio in adjecto; denn Geschichte, d. h. das Koordinieren, ist Nichtphilosophie und Philosophie, d. h. das Subordinieren, ist Nichtgeschichte. Die Philosophie aber, um uns zunächst mit ihr selbst auseinanderzusetzen, steht, wenn sie wirklich dem großen allgemeinen Lebensrätsel direkt auf den Leib geht, hoch über der Geschichte, welche im besten Falle dieses Ziel nur mangelhaft und indirekt verfolgt.

      Nur muss es eine wirkliche, d. h. voraussetzungslose Philosophie sein, welche mit eigenen Mitteln arbeitet.

      Denn die religiöse Lösung des Rätsels gehört einem besonderen Gebiet und einem besonderen inneren Vermögen des Menschen an.

      Was nun die Eigenschaften der bisherigen Geschichtsphilosophie betrifft, so ging sie der Geschichte nach und gab Längendurchschnitte; sie verfuhr chronologisch.

      Sie suchte auf diese Weise zu einem allgemeinen Programm der Weltentwicklung durchzudringen, meist in höchst optimistischem Sinne.

      So Hegel in seiner Philosophie der Geschichte. Er sagt (S. 12 f.), der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringe, sei der einfache Gedanke der Vernunft, der Gedanke, dass die Vernunft die Welt beherrsche, dass es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei, und das Ergebnis der Weltgeschichte müsse (sic!) sein, dass sie der vernünftige, notwendige Gang des Weltgeistes gewesen sei – was alles doch erst zu beweisen und nicht »mitzubringen« war. Er spricht (S. 18) von dem »von der ewigen Weisheit Bezweckten« und gibt seine Betrachtung als eine Theodizee aus, vermöge der Erkenntnis des Affirmativen, in welchem das Negative (populär: das Böse) zu einem Untergeordneten und Überwundenen verschwindet; er entwickelt (S. 21) den Grundgedanken, die Weltgeschichte sei die Darstellung, wie der Geist zu dem Bewusstsein dessen komme, was er an sich bedeute; es soll eine Entwicklung zur Freiheit stattfinden, indem im Orient einer, dann bei den klassischen Völkern wenige frei gewesen seien und die neuere Zeit alle frei mache. Auch die behutsam eingeleitete Lehre von der Perfektibilität, d. h. dem bekannten sogenannten Fortschritt, findet sich bei ihm (S. 54).

      Wir sind aber nicht eingeweiht in die Zwecke der ewigen Weisheit und kennen sie nicht. Dieses kecke Antizipieren eines Weltplanes führt zu Irrtümern, weil es von irrigen Prämissen ausgeht.

      Es ist aber überhaupt die Gefahr aller chronologisch angeordneten Geschichtsphilosophien, dass sie im günstigen Fall in Weltkulturgeschichten ausarten (in welchem abusiven Sinne man den Ausdruck Geschichtsphilosophie gelten lassen kann), sonst aber einen Weltplan zu verfolgen prätendieren und dabei, keiner Voraussetzungslosigkeit fähig, von Ideen gefärbt sind, welche die Philosophen seit dem dritten oder vierten Lebensjahr eingesogen haben.

      Freilich ist nicht bloß bei Philosophen der Irrtum gang und gäbe: unsere Zeit sei die Erfüllung aller Zeit oder doch nahe daran und alles Dagewesene sei als auf uns berechnet zu betrachten, während es, samt uns, für sich, für das Vorhergegangene, für uns und für die Zukunft vorhanden war. Ihr besonderes Recht hat die religiöse Geschichtsübersicht, für die das große Vorbild Augustins Werk De civitate dei ist, das an der Spitze aller Theodizeen steht. Uns geht sie hier nichts an.

      Auch andere Weltpotenzen mögen die Geschichte nach ihrer Art ausdeuten und ausbeuten, z. B. die Sozialisten mit ihren Geschichten des Volkes.

      Unser Ausgangspunkt ist der vom einzigen bleibenden und für uns möglichen Zentrum, vom duldenden, strebenden und handelnden Menschen, wie er ist und immer war und sein wird; daher wird unsere Betrachtung gewissermaßen pathologisch sein.

      Die Geschichtsphilosophen betrachten das Vergangene als Gegensatz und Vorstufe zu uns als Entwickelten – wir betrachten das sich Wiederholende, Konstante, Typische als ein in uns Anklingendes und Verständliches.

      Jene sind mit Spekulation über die Anfänge behaftet und müssten deshalb eigentlich auch von der Zukunft reden; wir können jene Lehren von den Anfängen entbehren, und die Lehre vom Ende ist nicht von uns zu verlangen. Immerhin ist man dem Kentauren den höchsten Dank schuldig und begrüßt ihn gerne hie und da an einem Waldesrand der geschichtlichen Studien. Welches auch sein Prinzip gewesen sein mag, er hat einzelne mächtige Ausblicke durch den Wald gehauen und Salz in die Geschichte gebracht. Denken wir dabei nur an Herder.

      Übrigens ist jede Methode bestreitbar und keine allgültig. Jedes betrachtende Individuum kommt auf seinen Wegen, die zugleich sein geistiger Lebensweg sein mögen, auf das riesige Thema zu und mag dann diesem Wege gemäß seine Methode bilden.

      Da nun unsere Aufgabe insofern eine mäßige ist, als unser Gedankengang keine Ansprüche macht, ein systematischer zu sein, dürfen wir uns auch (Heil uns!) beschränken. Wir dürfen und müssen nicht nur absehen von vermutlichen Urzuständen, von aller Betrachtung der Anfänge, sondern auch uns beschränken auf die aktiven Rassen und in denselben auf die Völker, deren Geschichte uns Kulturbilder von genügender und unbestrittener Deutlichkeit gewährt. Fragen wie die nach Einwirkung von Boden und Klima und die nach der Bewegung der Weltgeschichte von Osten nach Westen sind Einleitungsfragen für Geschichtsphilosophen, nicht für uns1), und daher ganz zu übergehen, sowie auch alles Kosmische, die Lehre von den Rassen, die Geographie der drei alten Weltteile und dergleichen2).

      Überall im Studium mag man mit den Anfängen beginnen, nur bei der Geschichte nicht. Unsere Bilder derselben sind meist doch bloße Konstruktionen, wie wir besonders bei Gelegenheit des Staates sehen werden, ja bloße Reflexe von uns selbst. Gering ist die Gültigkeit des Schlusses von Volk zu Volk oder von Rasse zu Rasse. Was wir als Anfänge glauben nachweisen zu können, sind ohnehin schon ganz späte Stadien. Das ägyptische Königtum des Menes z. B. deutet auf eine lange und große Vorgeschichte hin. Und nun sollten wir gar an Fragen wie die herantreten, welche die Menschheit der Pfahlbauten war? Wie schwer sehen wir in unsere Zeitgenossen und Nächsten und wie vollends in Menschen anderer Rassen usw.

      Unumgänglich ist hier eine Erörterung über die große Gesamtaufgabe der Geschichte im Allgemeinen, über das, was wir eigentlich sollten.

      Da das Geistige wie das Materielle wandelbar ist und der Wechsel der Zeiten die Formen, welche das Gewand des äußeren wie des geistigen Lebens bilden, unaufhörlich mit sich rafft, ist das Thema der Geschichte überhaupt, dass sie die zwei in sich identischen Grundrichtungen zeige und davon ausgehe, wie erstlich alles Geistige, auf welchem Gebiete es auch wahrgenommen werde, eine geschichtliche Seite habe, an welcher es als Wandlung, als Bedingtes, als vorübergehendes Moment erscheint, das in ein großes, für uns unermessliches Ganzes aufgenommen ist, und wie zweitens alles Geschehen eine geistige Seite habe, von welcher aus es an der Unvergänglichkeit teilnimmt.

      Denn der Geist hat Wandelbarkeit, aber nicht Vergänglichkeit.

      Und neben der Wandelbarkeit steht die Vielheit, das Nebeneinander von Völkern und Kulturen, welche wesentlich als Gegensätze oder als Ergänzungen erscheinen. Man möchte sich eine riesige Geisteslandkarte auf der Basis einer unermesslichen Ethnographie denken, welche Materielles und Geistiges zusammen umfassen müsste und allen Rassen, Völkern, Sitten und Religionen im Zusammenhang gerecht zu werden strebte. Obwohl dann auch in späten, abgeleiteten Perioden bisweilen ein scheinbares oder wirkliches Zusammenpulsieren der Menschheit eintritt, wie die religiöse Bewegung des 6. Jahrhunderts v. Chr. von China bis Ionien3) und die religiöse Bewegung zu Luthers Zeit in Deutschland und in Indien4).

      Und nun das große durchgehende Hauptphänomen: Es entsteht eine geschichtliche Macht von höchster momentaner Berechtigung; irdische Lebensformen aller Art: Verfassungen, bevorrechtete Stände, eine tief mit dem ganzen Zeitlichen verflochtene Religion, ein großer Besitzstand, eine vollständige gesellschaftliche Sitte, eine bestimmte Rechtsanschauung entwickeln sich daraus oder hängen sich daran und halten sich mit der Zeit für Stützen dieser Macht, ja für allein mögliche Träger der sittlichen Kräfte


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