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In der Sommerfrische. Anton TschechowЧитать онлайн книгу.

In der Sommerfrische - Anton Tschechow


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      In dieser neuen Welt dagegen, wo die Sonne in die Augen sticht, gibt es so viel Papas, Mamas und Tanten, dass man gar nicht weiß, zu wem man heranlaufen soll. Das Komischste aber und Albernste, das sind – die Pferde. Grischa sieht zu, wie sie ihre Beine bewegen, und kann nichts begreifen. Er sieht die Wärterin an, damit diese ihm das Rätsel löse, aber die Wärterin schweigt.

      Plötzlich hört er ein furchtbares Getrampel … Auf der Promenade bewegt sich gerade auf ihn zu in gleichmäßigem Schritt eine Truppe aus dem Schwitzbade zurückkehrender Soldaten mit roten Gesichtern und Birkenquasten unterm Arm. Grischa läuft es vor Schreck kalt über den Rücken und er sieht die Wärterin fragend an: ist das schrecklich? Aber die Wärterin läuft nicht weg und weint nicht, es ist also nicht schrecklich. Grischa begleitet die Soldaten mit den Augen und beginnt selbst im Takt zu schreiten.

      Über die Promenade laufen zwei große Katzen mit langen Schnauzen, ausgestreckten Zungen und aufrecht stehenden Schwänzen. Grischa glaubt, dass auch er laufen müsse und läuft den Katzen nach.

      »Halt!«, schreit ihm die Wärterin zu, ihn rüde an der Schulter fassend. »Wohin? Wirst Du wohl artig sein!«

      Dort sitzt eine Wärterin und hält einen kleinen Trog mit Apfelsinen. Grischa geht an ihr vorbei und nimmt sich, ohne ein Wort zu sagen, eine Apfelsine.

      »Was machst Du denn da?«, schreit seine Begleiterin, ihm einen Klaps auf die Hand gebend und die Apfelsine wieder entreißend. »Dummer Jung!«

      Jetzt würde Grischa mit Vergnügen ein Glasstückchen aufheben, das ihm unter den Füßen liegt und in der Sonne wie das Lämpchen vor dem Heiligenbilde strahlt. Aber er fürchtet, dass man ihm wieder eins auf die Hand gibt.

      »Ich habe die Ehre!«, vernimmt Grischa plötzlich über seinem Ohr eine laute, tiefe Stimme und erblickt einen großen Mann mit glänzenden Knöpfen.

      Zu seinem größten Vergnügen reicht dieser Mann der Wärterin die Hand, bleibt mit ihr stehen und beginnt ein Gespräch. Das Leuchten der Sonne, der Lärm der Wagen, die Pferde, die glänzenden Knöpfe, alles das ist so außerordentlich neu und so gar nicht schrecklich, dass Grischas Herz sich mit Wonne erfüllt und er zu lachen beginnt.

      »Wollme gehn! Wollme gehn!«, ruft er dem Mann mit den glänzenden Knöpfen zu und zupft ihn am Rock.

      »Wohin denn?«, fragt der Mann.

      »Wollme gehn!«, beharrt Grischa.

      Er möchte sagen, dass es nicht schlecht wäre, auch Papa, Mama und die Katze mitzunehmen, aber seine Zunge sagt etwas ganz anderes, als was sie soll.

      Nach einiger Zeit biegt die Wärterin von der Promenade ab und führt Grischa in einen großen Hof, wo noch Schnee liegt. Auch der Mann mit den glänzenden Knöpfen folgt ihnen. Sie gehen den Schneehaufen und Pfützen vorsichtig aus dem Wege, steigen dann eine schmutzige, dunkle Treppe hinauf und treten in ein Zimmer. Dort gibt es viel Rauch, es riecht nach Braten und eine Frau steht am Herd und brät Koteletts. Die Köchin und die Wärterin küssen sich, setzen sich zusammen mit dem Mann auf die Bank und beginnen leise zu sprechen.

      Grischa, der warm eingepackt ist, wird es unerträglich heiß und schwül.

      »Woher kommt das?«, denkt er, sich umsehend.

      Er sieht eine dunkle Lage, Küchengeräte und den Ofen, der wie eine große schwarze Höhle starrt …

      »Ma–ma!«, beginnt Grischa zu greinen.

      »Nu, nu, nu!«, schreit die Wärterin. »Kannst schon warten!«

      Die Köchin stellt eine Flasche auf den Tisch, drei Gläser und einen Kuchen.

      Die beiden Frauen und der Mann mit den glänzenden Knöpfen stoßen an, trinken mehrere Mal, und der Mann umarmt bald die Köchin, bald die Wärterin. Dann beginnen sie alle drei leise zu singen.

      Grischa streckt die Hände nach dem Kuchen und man gibt ihm ein Stückchen. Er isst und sieht zu, wie die Wärterin trinkt … Er möchte auch trinken.

      »Gib! Gib!«, bittet er die Wärterin.

      Die Köchin gibt ihm aus ihrem Glase zu nippen. Die Augen treten ihm heraus, er verzieht das Gesicht, hustet und wehrt sich noch lange mit den Armen, während die Köchin ihn betrachtet und lacht.

      Nach Hause zurückgekehrt, beginnt Grischa der Mutter, den Wänden und dem Bett zu erzählen, wo er gewesen sei und was er gesehen habe. Er erzählt nicht so sehr mit der Zunge, als mit dem Gesicht und den Händen. Er zeigt, wie die Sonne leuchtet, wie die Pferde laufen, wie der schreckliche Ofen aussieht und wie die Köchin trinkt …

      Am Abend kann er nicht einschlafen. Die Soldaten mit den Birkenquasten, die großen Katzen, die Pferde, das Glasstückchen, der Trog mit den Apfelsinen, die glänzenden Knöpfe – alles das drängt sich zusammen und lastet ihm auf dem Gehirn. Er wälzt sich von einer Seite auf die andere, schwatzt und kann seiner Erregung nicht Herr werden, bis er endlich zu weinen anfängt.

      »Du fieberst ja!«, sagt die Mama, ihm die flache Hand auf die Stirn legend. »Woher kann denn das kommen?«

      »Der Ofen!«, weint Grischa. »Geh weg von hier, Ofen!«

      »Er hat wohl zu viel gegessen …«, meint die Mama.

      Und Grischa, bewältigt von den Eindrücken des neuen Lebens, das er eben kennen gelernt, erhält von der Mama einen Löffel Rizinusöl.

       Zu Hause

      »Man ist von den Grigorjews dagewesen, um irgendein Buch zu holen, und ich sagte, Sie seien nicht zu Hause. Der Briefträger brachte die Zeitungen und zwei Briefe. Übrigens möchte ich Sie, Jewgenij Petrowitsch, auf Serjoscha aufmerksam machen. Heute und vorgestern sah ich ihn rauchen. Als ich ihm Vorwürfe machte, hielt er sich, wie immer, die Ohren zu und begann laut zu singen, um meine Stimme zu übertönen.«

      Jewgenij Petrowitsch Bykowskij, Staatsanwalt am Kreisgericht, der soeben aus einer Verhandlung heimgekommen war und sich in seinem Kabinett die Handschuhe auszog, blickte die Gouvernante, die ihm dieses meldete, an und lachte.

      »Serjoscha raucht …«, sagte er achselzuckend. »Wie mag wohl dieser Knirps mit einer Zigarette im Munde aussehen. Wie alt ist er denn jetzt?«

      »Sieben Jahre. Ihnen erscheint es unwichtig, doch in seinem Alter ist das Rauchen eine schlechte und schädliche Angewohnheit, schlechte Angewohnheiten soll man aber gleich am Anfang bekämpfen.«

      »Sehr richtig. Und wo nimmt er den Tabak her?«

      »Aus Ihrem Schreibtisch.«

      »So? In diesem Falle schicken Sie ihn mir einmal her.«

      Als die Gouvernante gegangen war, setzte sich Bykowskij in den Sessel vor dem Schreibtisch, schloss die Augen und versank in seine Gedanken. Er stellte sich seinen Serjoscha mit einer riesengroßen, ellenlangen Zigarette im Munde, in ganze Wolken von Tabakrauch gehüllt vor, und diese Karikatur ließ ihn lächeln; zugleich hatte aber das ernste, besorgte Gesicht der Gouvernante in ihm Erinnerungen an die längst vergangene, halb vergessene Zeit wachgerufen, wo das Rauchen in der Schule und im Kinderzimmer den Pädagogen und den Eltern ein eigentümliches, nicht ganz verständliches Grauen einflößte. Es war ein richtiges Grauen. Man züchtigte die Kinder erbarmungslos mit Ruten, relegierte sie von den Schulen und verdarb ihnen das ganze Leben, obwohl keiner der Pädagogen und Väter zu sagen wusste, warum eigentlich das Rauchen so verbrecherisch und schädlich sei. Selbst sehr kluge Menschen unterließen es nicht, gegen ein Laster anzukämpfen, das sie im Grunde gar nicht verstanden. Jewgenij Petrowitsch erinnerte sich seines Gymnasiumdirektors, eines sehr gebildeten und gutmütigen alten Herrn, der beim Anblick eines rauchenden Gymnasiasten immer so furchtbar erschrak, dass er erbleichte, sofort eine außerordentliche Sitzung des Lehrerkollegiums einberief und den Schuldigen zur Dimission verurteilte. Das ist wohl ein Gesetz der menschlichen Gemeinschaft: je unverständlicher ein Übel ist, umso hartnäckiger und roher kämpft man


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