Weihnachtserzählungen. Charles DickensЧитать онлайн книгу.
seine dünnen Lippen blau, ja sie brach hämisch in seiner schnarrenden Stimme durch. Rauhreif lag auf seinem Haupt, seinen Augenbrauen und seinem Stoppelkinn. Er trug seine Eisluft überall mit sich herum, durchkältete damit selbst in den Hundstagen sein Kontor und ließ es auch am Christfest um keinen Grad auftauen.
Äußere Hitze oder Kälte berührten Scrooge wenig. Keine Hitze konnte ihn erwärmen, kein Winterwetter ihn erkälten. Kein Wind war schneidender als er, kein Schneefall unbarmherziger, kein Platzregen unaufhaltsamer. Schlimmes Wetter wußte nicht, wie ihm beikommen. Der heftigste Regen, Schnee, Hagel und Schloßen konnten sich nur in einer Hinsicht eines Vorteils über ihn rühmen: sie zeigten sich oft sehr freigebig, er nie.
Niemand hielt ihn je auf der Straße an, um ihn mit freudigem Blick zu fragen: »Lieber Scrooge, wie geht es Ihnen? Wann werden Sie mich besuchen?« Kein Bettler bat ihn um eine Kleinigkeit, kein Kind fragte ihn, wieviel Uhr es sei, kein Mann oder Weib erkundigte sich je im Leben bei Scrooge nach dem Weg zu diesem oder jenem Ort. Selbst die Blindenhunde schienen ihn zu kennen, denn sobald sie ihn kommen sahen, zogen sie lieber ihre Herren in Torwege und Höfe hinein und wedelten mit dem Schwanz, als wollten sie sagen: Blinder Mann, kein Auge ist immer noch besser als ein böses!
Aber was kümmerte das Scrooge? Gerade so hatte er’s gern. Die volkreichen Pfade des Lebens zu meiden und jedem menschlichen Mitgefühl warnend zuzurufen, es solle fernbleiben, das war für ihn, wie man so sagt, ein »gefundenes Fressen«.
Einmal – von allen schönen Tagen im Jahr gerade am Heiligen Abend – saß der alte Scrooge geschäftig in seiner Schreibstube. Das Wetter draußen war schneidend kalt, unfreundlich und obendrein neblig, und er konnte hören, wie im Hof draußen die Leute keuchend auf und ab gingen, mit den Händen gegen die Brust schlugen und mit den Füßen auf die Pflastersteine stampften, um sich zu erwärmen. Die Glocken der City hatten eben erst drei Uhr geschlagen, aber es war schon ganz dunkel – es war den ganzen Tag über nicht hell gewesen –, und die Lichter flackerten hinter den Fenstern der benachbarten Kontore wie rote Schmutzflecken auf der zum Greifen dicken braunen Luft. Der Nebel drang durch jede Ritze und jedes Schlüsselloch und war draußen so dicht, daß die Häuser gegenüber wie ein Spuk wirkten, obwohl der Hof zu den besonders schmalen gehörte. Wenn man sah, wie sich die trübe Wolke langsam senkte und alles verdüsterte, so hätte man glauben können, Mutter Natur wohne nebenan und braue jetzt eben in großem Stil.
Die Tür zu Scrooges Kontor stand offen, damit er ein Auge auf seinen Schreiber haben könne, der in einer jämmerlich engen Zelle nebenan, einer Art Schacht, Briefe kopierte. Bei Scrooge brannte nur ein kümmerliches Feuer, aber das des Schreibers war noch viel kleiner, so daß es wie eine einzige Kohle aussah. Doch konnte er nicht nachlegen, denn die Kohlenkiste stand in Scrooges eigener Stube, und jedesmal, wenn der Schreiber mit der Schaufel hereinkam, kündigte ihm sein Herr an, daß sie sich wohl bald trennen müßten. Dann zog der Schreiber sein weißes Halstuch in die Höhe und versuchte, sich an der Kerze zu erwärmen; da er jedoch nur über wenig Einbildungskraft verfügte, mißlang ihm stets dieser Versuch.
»Fröhliche Weihnachten, Oheim! Gott segne Sie!« rief eine muntere Stimme. Sie gehörte Scrooges Neffen, der so rasch auf ihn zukam, daß dies das erste Zeichen seiner Anwesenheit war.
»Pah!« rief Scrooge, »Possen!«
Sein Neffe hatte sich durch das rasche Gehen in Nebel und Frost so erhitzt, daß er förmlich glühte; sein Gesicht war hübsch in seiner Röte, seine Augen glänzten, und sein Atem dampfte noch.
»Wie, Oheim, Weihnachten ein Possen?« rief Scrooges Neffe; »das ist doch sicherlich nicht Ihr Ernst?«
»Ganz mein Ernst«, versetzte Scrooge. »Fröhliche Weihnachten! Was für ein Recht hast du, fröhlich zu sein? Was für einen Grund hast du, zufrieden zu sein? Du bist doch arm genug.«
»Ei, Oheim!« versetzte der Neffe munter, »was für ein Recht haben Sie, verdrossen zu sein? Was für einen Grund haben Sie, mürrisch zu sein? Sie sind doch reich genug!«
Da Scrooge in der Eile keine bessere Antwort zur Hand hatte, gab er wiederum ein »Pah!« zurück und ließ »Possen!« darauf folgen.
»Nicht ärgern, Oheim!« rief der Neffe.
»Was soll ich denn tun«, entgegnete der Oheim, »solange ich in einer solchen Welt voll Narren lebe? Fröhliche Weihnachten! Zum Henker mit den fröhlichen Weihnachten! Was ist Weihnachten denn schon anderes als eine Zeit, da man ohne Geld in der Tasche Rechnungen bezahlen soll? Eine Zeit, da man sich um ein Jahr älter und um keine Stunde reicher fühlt? Eine Zeit, da du in deinen Büchern Bilanz machen mußt und jeden Posten in allen zwölf Monaten des Jahres als Soll zu spüren bekommst? Wenn es nach mir ginge«, setzte er entrüstet hinzu, »müßte jeder Dummkopf, der mit ›Fröhliche Weihnachten‹ im Munde herumläuft, mit seinem eigenen Pudding gekocht und mit einem Stechpalmenzweig durchs Herz begraben werden. Ja, das sollte er!«
»Oheim!« hielt ihm der Neffe vor.
»Neffe!« erwiderte der Oheim böse, »feiere Weihnachten auf deine Weise und laß mich’s auf meine feiern.«
»So feiern Sie’s!« wiederholte der Neffe. »Aber Sie tun’s ja doch nicht.«
»Das überlaß nur mir!« meinte der Alte. »Wohl bekomm’s dir! Es hat dir stets viel Gutes gebracht!«
»Es gibt viele Dinge, kann ich wohl sagen, aus denen ich Nutzen hätte ziehen können und doch nicht gezogen habe«, versetzte der Neffe; »Weihnachten gehört auch dazu. Aber ich habe die Weihnachtszeit, wenn sie herankam, ganz abgesehen – soweit das bei einem Wesensbestandteil möglich ist – von der Verehrung, die wir ihrem geheiligten Namen und Ursprung schulden, sicherlich stets als gute Zeit angesehen, als eine menschenfreundliche, angenehme Zeit voll Wohlwollen und Vergebung, als die einzige Zeit im Kalenderjahr, die ich kenne, in der Männer und Frauen gleichmäßig bereit scheinen, ihre verschlossenen Herzen frei zu öffnen und an ärmere Menschen zu denken, als ob sie wirklich Reisegefährten zum Grab hin wären und nicht Geschöpfe anderer Art mit anderer Wegrichtung. Und deshalb, Oheim, glaube ich, obwohl mir die Weihnachtszeit nie einen Schatz von Gold oder Silber in die Tasche gebracht hat, daß sie mir Gutes getan hat und Gutes tun wird, und sage: Gott segne sie!«
Der Schreiber im Kasten nebenan gab unwillkürlich seinen Beifall zu erkennen. Da ihm aber sogleich das Ungehörige seines Betragens bewußt wurde, schürte er rasch das Feuer und erstickte dabei den letzten schwachen Funken für immer.
»Noch ein Ton von Euch«, knurrte Scrooge, »und Ihr könnt Weihnachten damit feiern, daß Ihr Euren Posten los seid!« Und wieder zu seinem Neffen gewandt, fügte er hinzu: »Du bist ja ein unwiderstehlicher Redner; ich wundere mich, daß du nicht ins Parlament eintrittst.«
»Zürnen Sie nicht, Oheim! Bitte, speisen Sie morgen bei uns.«
Scrooge sagte, ihn solle eher … ja, so sagte er. Er sprach den Satz in seiner ganzen Länge zu Ende: erst wolle er dieses letzte erlebt haben.
»Aber warum nur«, rief Scrooges Neffe. »Warum?«
»Warum hast du geheiratet?« fragte Scrooge.
»Weil ich liebte.«
»Weil du liebtest!« brummte Scrooge, als ob dies das einzige sei, was ihm noch lächerlicher vorkomme als fröhliche Weihnachten. »Guten Abend!«
»Nein, Oheim! Sie haben mich ja auch nie besucht, ehe sich das zutrug. Warum geben Sie es als Grund dafür an, daß Sie jetzt nicht kommen?«
»Guten Abend!« rief Scrooge.
»Ich brauche nichts von Ihnen; ich fordere nichts von Ihnen, warum können wir nicht gute Freunde sein?«
»Guten Abend!« rief Scrooge.
»Es tut mir von Herzen leid, Sie so hartnäckig zu finden. Wir haben nie einen Zwist gehabt, zu dem ich Veranlassung gegeben hätte. Aber ich habe dem Weihnachtsfest zu Ehren diesen Versuch unternommen und will an meiner Weihnachtsstimmung auch festhalten. Darum: fröhliche Weihnachten, Oheim!«
»Guten Abend!« rief Scrooge.
»Und ein glückliches