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Der Golem. Gustav MeyrinkЧитать онлайн книгу.

Der Golem - Gustav Meyrink


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Beispiel ist Millionär – fast ein Drittel der Judenstadt ist sein Besitz. Wissen Sie es denn nicht, Herr Pernath?!«

      Mir blieb förmlich der Atem im Mund stecken. »Aaron Wassertrum! Der Trödler Aaron Wassertrum Millionär?!«

      »Oh, ich kenne ihn genau«, fuhr Charousek verbissen fort und als hätte er nur darauf gewartet, daß ich ihn frage. »Ich kannte auch seinen Sohn, den Dr. Wassory. Haben Sie nie von ihm gehört? Von Dr. Wassory, dem – berühmten – Augenarzt? – Vor einem Jahr noch hat die ganze Stadt begeistert von ihm gesprochen – von dem großen – – Gelehrten. Niemand wußte damals, daß er seinen Namen abgelegt und früher Wassertrum geheißen. – Er spielte sich gerne auf den weltabgewandten Mann der Wissenschaft hinaus, und wenn einmal auf Herkunft die Rede kam, warf er bescheiden und tiefbewegt so mit halben Worten hin, daß sein Vater noch aus dem Getto stamme – sich aus den niedrigsten Anfängen heraus unter Kummer aller Art und unsäglichen Sorgen empor ans Licht habe arbeiten müssen. Ja! Unter Kummer und Sorgen!

      Unter wessen Kummer und unsäglichen Sorgen aber und mit welchen Mitteln, das hat er nicht dazu gesagt!

      Ich aber weiß, was es mit dem Getto für eine Bewandtnis hat!« Charousek faßte meinen Arm und schüttelte ihn heftig.

      »Meister Pernath, ich bin so arm, daß ich es selbst kaum mehr begreife; ich muß halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin – bin doch ein gebildeter Mensch!«

      Er riß seinen Überzieher auf, und ich sah zu meinem Entsetzen, daß er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel über der nackten Haut trug.

      »Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmächtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte und noch heute ahnt keiner, daß ich, ich der eigentliche Urheber war.

      Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. – Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebäude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hätten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoßes bedurfte, abzuwenden.

      Wissen Sie, so – so wie man Schach spielt.

      Gerade so wie man Schach spielt.

      Und niemand weiß, daß ich es war!

      Den Trödler Aaron Wassertrum, den läßt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, daß einer, den er nicht kennt, der immer in seiner Nähe ist und den er doch nicht fassen kann – ein anderer als Dr. Savioli –, die Hand im Spiele gehabt haben müsse.

      Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermögen, so faßt er es doch nicht, daß es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen.«

      Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.

      »Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!

      Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. – Diesmal wird es ein Königsläufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wüßte.

      Wer sich mit mir in ein solches Königsläufergambit einläßt, der hängt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fäden – an Fäden, die ich zupfe – hören Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist’s dahin.«

      Der Student redete wie im Fieber. Ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.

      »Was haben Ihnen Wassertrum und sein Sohn denn getan, daß Sie so voll Haß sind?«

      Charousek wehrte heftig ab:

      »Lassen wir das – fragen Sie lieber, was Dr. Wassory den Hals gebrochen hat! – Oder wünschen Sie, daß wir ein andres Mal darüber sprechen? – Der Regen hat nachgelassen. Vielleicht wollen Sie nach Hause gehen?«

      Er senkte seine Stimme, wie jemand, der plötzlich ganz ruhig wird. Ich schüttelte den Kopf.

      »Haben Sie jemals gehört, wie man heutzutage den grünen Star heilt? – Nicht? – So muß ich Ihnen das deutlich machen, damit Sie alles genau verstehen, Meister Pernath!

      Hören Sie zu: Der ›grüne Star‹ also ist eine bösartige Erkrankung des Augeninnern, die mit Erblinden endet, und es gibt nur ein Mittel, dem Fortschreiten des Übels Einhalt zu tun, nämlich die sogenannte Iridektomie, die darin besteht, daß man aus der Regenbogenhaut des Auges ein keilförmiges Stückchen herauszwickt.

      Die unvermeidlichen Folgen davon sind wohl greuliche Blendungserscheinungen, die fürs ganze Leben bleiben; der Prozeß des Erblindens jedoch ist meistens auf gehalten.

      Mit der Diagnose des grünen Stars hat es aber eine eigene Bewandtnis.

      Es gibt nämlich Zeiten, besonders bei Beginn der Krankheit, wo die deutlichsten Symptome scheinbar ganz zurücktreten, und in solchen Fällen darf ein Arzt, obwohl er keine Spur einer Krankheit finden kann, dennoch niemals mit Bestimmtheit sagen, daß sein Vorgänger, der andrer Meinung gewesen, sich notwendigerweise geirrt haben müsse.

      Hat aber einmal die erwähnte Iridektomie, die sich natürlich genauso an einem gesunden Auge wie an einem kranken ausführen läßt, stattgefunden, so kann man unmöglich mehr feststellen, ob früher wirklich grüner Star vorgelegen hat oder nicht.

      Und auf diese und noch andere Umstände hatte Dr. Wassory einen scheußlichen Plan aufgebaut.

      Unzählige Male – besonders an Frauen – konstatierte er grünen Star, wo harmlose Sehstörungen vorlagen, nur um zu einer Operation zu kommen, die ihm keine Mühe machte und viel Geld eintrug.

      Da endlich hatte er vollkommen Wehrlose in der Hand; da gehörte zum Ausplündern auch keine Spur von Mut mehr!

      Sehen Sie, Meister Pernath, da war das degenerierte Raubtier in jene Lebensbedingungen versetzt, wo es auch ohne Waffe und Kraft sein Opfer zerfleischen konnte. Ohne etwas aufs Spiel zu setzen! – Begreifen Sie?! Ohne das geringste wagen zu müssen!

      Durch eine Menge fauler Veröffentlichungen in Fachblättern hatte sich Dr. Wassory in den Ruf eines hervorragenden Spezialisten zu setzen verstanden und sogar seinen Kollegen, die viel zu arglos und anständig waren, um ihn zu durchschauen, Sand in die Augen zu streuen gewußt.

      Ein Strom von Patienten, die alle bei ihm Hilfe suchten, war die natürliche Folge.

      Kam nun jemand mit geringfügigen Sehstörungen zu ihm und ließ sich untersuchen, so ging Dr. Wassory sofort mit tückischer Planmäßigkeit zu Werke.

      Zuerst stellte er das übliche Krankenverhör an, notierte aber geschickt immer nur, um für alle Fälle gedeckt zu sein, jene Antworten, die eine Deutung auf grünen Star zuließen. Und vorsichtig sondierte er, ob nicht schon eine frühere Diagnose vorläge.

      Gesprächsweise ließ er einfließen, daß ein dringender Ruf aus dem Auslande behufs wichtiger wissenschaftlicher Maßnahmen an ihn ergangen sei und er daher schon morgen verreisen müsse.

      Bei der Augenspiegelung mit elektrischen Lichtstrahlen, die er sodann vornahm, bereitete er dem Kranken absichtlich so viel Schmerzen wie möglich. Alles mit Vorbedacht!

      Wenn das Verhör vorüber und die übliche Frage des Patienten, ob Grund zur Befürchtung vorhanden sei, erfolgt war, da tat Wassory seinen ersten Schachzug.

      Er setzte sich dem Kranken gegenüber, ließ eine Minute verstreichen und sprach dann gemessen und mit sonorer Stimme den Satz:

      »Erblindung beider Augen ist bereits in der allernächsten Zeit wohl unvermeidlich!«

      Die


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