Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola LarsenЧитать онлайн книгу.
murmelte er nachgebend.
Sie atmete sichtlich auf.
Das Gastzimmer war wirklich sehr gemütlich. Sein Koffer war bereits ausgepackt, Blumen standen auf dem kleinen Tisch, und einige ausgesuchte Bücher lagen zum Lesen bereit.
»Sehr aufmerksam von dir«, bemerkte er, und fast war er nahe daran, sich zu schämen, dass er sie nie gemocht hatte.
»Na siehst du«, schmeichelte sie. »Ich lasse dich ein Stündchen allein. Wir speisen dann unten im Esszimmer.«
»Wohnt ihr hier schon lange? Hat mein Vater dieses Palais erworben?«, fragte er, als sie schon an der Tür war.
»Seit einem Jahr etwa haben wir uns jeweils einige Monate hier aufgehalten. Dein Vater konnte es günstig erwerben. Natürlich musste eine Menge Geld hineingesteckt werden. Es war arg vernachlässigt.«
Sie winkte ihm noch kurz zu, und ehe er weitere Fragen an sie richten konnte, war sie hinausgeschlüpft.
Er brauchte nicht lange, um sich von den Strapazen der Reise zu erholen. Eine seltsame innere Unruhe hatte ihn erfasst. Wieso hatte sein Vater dieses Palais gekauft, da er doch Schloss Tihany und das etwa sieben Kilometer von diesem entfernte Jagdschloss Erlau besaß? Die Erhaltung von drei Schlössern musste doch riesige Summen verschlingen.
Graf Sandor verließ sein Gastzimmer. Er schlenderte die Gänge entlang, durchmaß eine langgestreckte Zimmerflucht und stellte immer wieder mit Betroffenheit fest, dass wertvolle Gemälde, kostbare Porzellane und Teppiche aus Schloss Tihany jetzt dieses Haus hier schmückten.
Die Gräfin erwartete ihn im Esszimmer, das mit dunklen Mahagonimöbeln ausgestattet war.
Auf seine Bitte hin erzählte sie ihm von den letzten Stunden seines Vaters.
»Die Trauerfeier wird doch sicher in Tihany stattfinden, nicht wahr?«, fragte Graf Sandor.
Seine Stiefmutter schüttelte den Kopf und sagte: »Nein! Sie findet hier statt. Wir haben hier eine Menge guter Freunde. Die kleine Kapelle in Tihany würde die Trauergemeinde nicht fassen. Erst die Urne wird im Erbbegräbnis von Tihany beigesetzt. Dein Vater wollte es so, und ich werde seinen letzten Wunsch getreulich erfüllen. Verstehst du das?«
»Ja, natürlich«, murmelte er tonlos.
»Tihany wird dir allein gehören, Sandor. Das weißt du doch, nicht wahr? Da aus meiner Ehe mit deinem Vater leider keine Kinder entsprossen sind, fällt Tihany an dich.«
Graf Sandor verfärbte sich.
»Daran habe ich nie mehr gedacht. Ich nahm an, dass du dort leben würdest und dass es dir auch so lange gehört.«
»Nein! An diesem Erbfolgerecht konnte niemand etwas ändern.«
»Das tut mir leid«, sagte er hastig, »ich habe auf keinen Fall die Absicht, dich dort zu verdrängen.«
Gräfin Coletta lachte leise auf.
»Habe keine Angst, ich werde nicht dort leben. Ich habe hier mein Palais, das mir dein Vater zum Geschenk gemacht hat. Es gefällt mir. Für mich wäre die Einsamkeit in Tihany jetzt besonders bedrückend. Hier habe ich Menschen um mich, die mich in meinem großen Schmerz aufrichten. Ich werde dich öfter besuchen kommen, wenn du magst.«
»Du bist jederzeit willkommen«, sagte er offen.
»Wie lieb von dir.« Sie fuhr zart über seine Hand. »Ich bedaure sehr, dass wir all die Jahre so wenig voneinander gehört haben. Aber du warst ein großer Trotzkopf, Sandor. Dein Vater war einfach noch zu jung, um allein zu bleiben. Du bist jetzt älter geworden und wirst das nötige Verständnis dafür aufbringen.«
»Ja, natürlich«, sagte er knapp.
Sie lächelte ihn gewinnend an.
»Ich vermute, du wirst auch nicht immer auf Tihany leben wollen und es höchstens zu deiner Sommerresidenz machen. Oder hast du die Absicht, deinen Beruf in Kanada aufzugeben.«
»Ich weiß nicht«, gestand er. »Der Tod meines Vaters kam so überraschend für mich, dass ich bisher keine Zeit fand, über meine Zukunft nachzudenken.«
»Das braucht auch seine Zeit. Überstürze nichts. Und wenn du Rat suchst, lieber Sandor, so stehe ich ganz zu deiner Verfügung. Ich bin zwar nur ein paar Jährchen älter als du, aber eine Frau sieht manchmal weiter als ein Mann.«
Wieder fuhr sie sanft liebkosend über seinen Handrücken.
*
Die nächsten beiden Tage vergingen für Graf Sandor wie ein unangenehmer Traum. Er empfand wohl echte Trauer um den Vater, aber diese Gefühle hielten nicht allzu lange an, denn er hatte seinen Vater Jahre hindurch nicht gesehen und zu wenig Liebe von ihm erfahren.
Die Trauerfeier war für seine Begriffe viel zu pompös. Manchmal hatte er während der Zeremonie das Gefühl, als ginge es seiner schönen Stiefmutter nur darum, eine allseits bewunderte Rolle zu spielen. Sie stand neben ihm und stützte sich auf seinen Arm, als müsse sie jeden Moment befürchten umzufallen.
Sie bat ihn nach der Feier inständig, doch noch ein bis zwei Tage bei ihr zu bleiben, und er willigte notgedrungen ein, obwohl es ihn mit Macht nach Tihany zog.
Sie war rührend um ihn bemüht und versuchte, ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, sodass er im Stillen Abbitte leistete, dass er sie bisher so ungerecht behandelt hatte.
Graf Sandor hatte etwa hundert Kilometer zu fahren, bis er den kleinen Ort Neuburg erreichte, der etwa vier Kilometer von Schloss Tihany entfernt lag und die einzige Bahnstation weit und breit war.
Als er in der prallen Mittagssonne ausstieg und den Bahnhof verließ, bedauerte er, keinen Wagen vom Schloss bestellt zu haben, der ihn hier abholte.
Er hatte seine Stiefmutter gebeten, mit ihm zu fahren, damit sie Gesellschaft habe, aber Gräfin Colette hatte abgelehnt. »Ich würde in Tihany zu sehr an alles erinnert werden«, hatte sie erklärt und tief aufgeseufzt. Und er hatte sofort Verständnis für ihre Haltung gezeigt.
Seinen Koffer gab er bei der Gepäckaufbewahrung ab. Dann trat er auf die Straße und bog kurz hinter dem letzten Haus in einen schmalen Feldweg ein.
Der Ort hatte sich verändert. Neue Häuser waren gebaut worden, einige neue Plätze entstanden, die ein Brunnen und Blumenrabatten zierten.
Aber der Feldweg war noch derselbe. Er führte zwischen Wiesen und Äckern hindurch, die ab und zu von einer kleinen Waldung unterbrochen wurden.
Das Herz ging dem jungen Grafen auf, denn all dies gehörte zu seiner Heimat, war ihm vertraut von Kindheit an. Die zehn Jahre seiner Abwesenheit kamen ihm heute wie ein Tag vor. Als sei es gestern gewesen, blieb er stehen, blickte über die Tannenschonung hinweg und glaubte das rote Ziegeldach des Mitteltraktes von Tihany zu sehen.
Er seufzte auf und beschleunigte seine Schritte, bis er heftig atmend vor der hohen Mauer stand, die den Park von Tihany umsäumte. Er musste noch etwa hundert Schritt gehen, bis er das hohe Eisentor erreicht hatte.
Die freudige Erwartung, die ihn die ganze Zeit erfüllt hatte, wich jedoch jäh namenlosen Entsetzen.
Der Park war nicht mehr sorgsam gepflegt wie einst, sondern verwildert, die Rasenflächen nicht geschoren, keine Blumen blühten in bunter Fülle, und das riesige Wasserbecken lag still und öde vor ihm.
Graf Sandor stand einige Minuten wie vom Blitz getroffen. Dann öffnete er die schwere Eichentür und betrat den Park. Niemand war zu erblicken.
Langsam schritt er durch die breite Anfahrtsallee auf das riesige Schloss zu, aus dem alles Leben gewichen schien. Kein Fenster war geöffnet, das große Eingangsportal war fest geschlossen.
Erst stand er unschlüssig vor der breiten Freitreppe und sah zum Portal hinauf. Dann lief er die Stufen hinauf und setzte die Messingklingel in Bewegung. Sein Herz pochte wie rasend, während er auf jedes Geräusch achtete. Aber es näherten sich keine Schritte, kein Fenster wurde geöffnet. Es blieb totenstill.
Graf