Fürstenkrone 11 – Adelsroman. Viola LarsenЧитать онлайн книгу.
um nicht unversehens von der Straße abzukommen.
Fürst Wolfhart erwartet den Arzt schon ungeduldig.
»Hoffentlich haben Sie mir heute etwas Gutes mitzuteilen, Doktor!«, empfängt er den alten Herrn. »Diese Untätigkeit macht mich langsam, aber sicher verrückt.«
»Schneepsychose!«, antwortet der Doktor heiter. »Das kennt man schon! Nie werden meine Patienten hier zu Lande ungeduldiger als dann, wenn der erste Schnee fällt.«
Sorgfältig befreit er die Hand des Schlossherrn von den Bandagen und untersucht die Wunde eingehend, und seine vergnügte Miene wird noch vergnügter.
»Ich glaube, wir haben es geschafft, Durchlaucht! Ich bin außerordentlich zufrieden. Sie dürfen die Hand natürlich noch nicht überanstrengen. Sie müssen sich immer noch schonen. Aber die Wunde hat sich prächtig geschlossen, und der Eiterherd ist ausgeheilt. Noch einige Tage Schonung, und Sie können sich hinter das Steuer Ihres Wagens setzen und in die Welt zurückkehren.«
»Danke!«, sagt Fürst Wolfhart. »Vielen Dank, Herr Doktor.«
Der Arzt verabschiedet sich, aber als er dann durch die Halle zum Hauptportal eilt, hält ihn Fräulein Tabea zurück.
»Wenn Sie doch schon einmal hier sind, Herr Doktor«, bittet sie, »dann könnten Sie auch gleich nach unserem Sönke sehen. Er gefällt mir gar nicht. Seit Langem klagt er über seine Gicht, aber jetzt hat er auch noch hohes Fieber. Vielleicht hört er auf Sie eher als auf mich.«
Tatsächlich liegt der alte Gärtner mit hochrotem Kopf in seiner Kammer und hat die rot-weiß karierte Bettdecke bis über den Kopf gezogen, weil ihn bitterer Frost schüttelt.
Unschwer stellt der Arzt eine nahende Lungenentzündung fest. Er erteilt seine Weisungen und verspricht, am kommenden Tag wieder nach Sönke zu sehen.
Nachdem der Arzt das Schloss verlassen hat, eilt Fräulein Tabea noch einmal in die Kammer des alten Gärtners. Und während sie ihm das Bett aufschüttelt und die Kissen richtet, sagt sie: »Das kommt nur davon, weil Sie trotz Ihrer scheußlichen Gicht freitags immer im Falkenverschlag übernachtet haben. Da muss sich ja auch der gesündeste Mensch den Tod holen.«
»Quatsch!«, krächzt Sönke frostklappernd. »Ich muss heute Nacht wieder im Falkenverschlag schlafen, oder wollen Sie, dass es einen Skandal gibt?«
Fräulein Tabea zuckt zusammen. Sie hat völlig vergessen, dass heute Freitag ist. Dann aber entgegnet sie: »Sie bleiben im Bett, und damit basta!
Keine Menschenseele kann von Ihnen verlangen, dass Sie sich mit Ihrem Fieber eine Nacht lang in den eisigen Falkenverschlag legen. Seine Durchlaucht ist ja im Hause, und ich hoffe, dass die Gespenster vor ihm Respekt haben und sich ruhig verhalten.«
Der alte Sönke wirft ihr einen sonderbaren Blick zu und sagt nichts mehr.
Unterdessen telefoniert Fürst Wolfhart mit seiner Konzertagentur. Es ist ein langes und inhaltsreiches Gespräch, das er führt, denn die Agentur teilt ihm die Terminvorschläge für eine neue Tournee mit, die ihn zunächst nach Paris und dann nach London, nach Stockholm und Oslo führen soll. Höflich wird er um seine Programmvorschläge gebeten.
»Aber bombardieren Sie mich nun, wo ich endlich Telefon habe, nicht mit Gesprächen«, ruft er lachend, »sonst lasse ich den Anschluss sperren! Ich werde das Programm in aller Ruhe ausarbeiten und Sie verständigen. Wie steht es mit den Proben?«
»Wir halten es wie üblich«, klingt es über den Draht zu ihm zurück. »Sie übernehmen, wenn es Ihnen recht ist, die letzten Proben mit dem Orchester.«
Fürst Wolfhart erklärt sich einverstanden. Als er den Hörer auf die Gabel zurücklegt, denkt er abermals daran, wie schön es wäre, wenn Sabrina ihn als Solistin auf dieser Tournee begleiten würde.
Sein Herz pocht langsam und schwer, als er sich ausmalt, wie er dem zarten, weltfremden jungen Geschöpf behutsam die Schönheiten der Welt erschließen könnte, und erregt beginnt er in der Halle auf und ab zu wandern.
Erst nach einer langen Weile bleibt er an einem der hohen Fenster stehen und blickt nach draußen, wo der unaufhaltsam niederfallende Schnee Moor und Heide in ein immer dicker werdendes weißes Gewand einhüllt.
Sabrina, hämmert sein Herz. Sabrina!
Als wenn seine sehnsuchtsvollen Gedanken sie gerufen hätten, taucht Sabrina auf ihren Skiern aus dem wirbelnden Flockentreiben auf. Ein eleganter, knapp sitzender Skidress lässt ihre schmale, grazile Gestalt noch schlanker und jugendlicher erscheinen. Kurz vor der verschneiten Freitreppe bleibt sie stehen, stützt sich auf die Skistöcke und neigt lauschend das Köpfchen ein wenig. Unter der verwegenen Norwegerkappe drängen sich die hellbraunen Locken hervor, eine feine Haarsträhne weht in ihre klare Stirn und ist sofort vom Schnee weiß überpudert.
Fürst Wolfhart lächelt unbewusst. Es ist ein Lächeln tiefster Zärtlichkeit. Seine dunklen Augen leuchten auf, und seine sonst so harten Züge wirken in diesem Moment gelöst und glücklich.
Aber dann wendet er sich brüsk vom Fenster ab, und sein Antlitz verschließt sich wieder. Narr!, schilt er sich. Unverbesserlicher, törichter Narr, hast du immer noch nicht gelernt zu verzichten? Ist dir alles Erleben nicht Mahnung genug? Alter Tor! Du bist ein Mann von sechsunddreißig Jahren, und Sabrina ist fast noch ein Kind! Du hast niemals das Recht, dieses junge, reine und zauberhafte Geschöpf an dein verbittertes und durch die Vergangenheit belastetes Leben zu ketten!
Mit hastigen Schritten geht er in sein Gemach hinüber und schreibt noch in der gleichen Stunde einen ausführlichen Brief an seine Konzertagentur, in dem er seine Programmvorschläge unterbreitet, in deren Folge und Stückwahl von einer Violinsolistin nicht die Rede ist. Außerdem teilt er mit, dass er Anfang der kommenden Woche bei der Agentur eintreffen werde, um entgegen den üblichen Gepflogenheiten sämtliche Orchesterproben von Anfang an selbst zu leiten.
Dieser Brief kann jedoch nicht gleich zur Post befördert werden, weil der Knecht durch die ständig anwachsenden Schneemassen erst einen Weg vom Schloss zur Fahrstraße bahnen muss. So verschiebt Fürst Wolfhart die Beförderung auf den nächsten Tag und schickt sich an, den Speisesaal aufzusuchen, in dem inzwischen die Mittagstafel gedeckt ist.
Dort geschieht es, dass Sabrina, die den Skidress mit einem hübschen Hauskleid vertauscht hat, dem erstaunten Schlossherrn eröffnet, dass der Schnee verschiedene Stimmen habe.
»Ja, Wolfhart«, versichert sie eifrig, »ich habe es ganz genau gehört. Der Schnee hat wirklich verschiedene Stimmen! Zuerst klang seine Stimme zornig, weil der Wind ihn jagte, dann sangen die Flocken gleichmäßig, müde und monoton, um mit ihrem Lied schließlich in eine weiche, süße Melodie überzugehen.« Sie deutet mit einer raschen Geste zum Fenster und fragt atemlos vor Erregung: »Soll ich versuchen, die Schneemelodie festzuhalten?«
»Aber erst nach getaner Arbeit«, genehmigt Fürst Wolfhart lachend, »wenn du sämtliche für heute vorgesehenen Übungen zu meiner Zufriedenheit gespielt hast.«
Nach Tisch geht Sabrina in den Musikraum, um eine theoretische Aufgabe zu lösen und dann mit den Übungen zu beginnen.
Das Abendbrot nimmt Sabrina wieder gemeinsam mit Fürst Wolfhart im Speisezimmer ein. Als der Schlossherr sich danach aber in seine persönlichen Räume zurückzieht, um verschiedene Partituren zu lesen, schlüpft sie wieder ins Musikzimmer zurück, um endlich – endlich ihre bisher nur mit dem Herzen erlauschte Schneemelodie in wirkliche Töne zu übertragen.
Im Musikzimmer ist es still, und in dieser tiefen, köstlichen Stille ist es herrlich, schöpferisch zu arbeiten, während die Kerzen in ihren silbernen Leuchtern ein unwirklich goldenes Licht verströmen.
Zum ersten Mal gelingt es Sabrina, ihre Melodienträume tatsächlich aufs Papier zu bannen. Immer wieder probt sie, summt, spielt und lauscht, malt schwarze Notenköpfe zwischen die engen Linien des Notenpapiers, streicht durch und verbessert. Sie ahnt nicht, dass Fürst Wolfhart ihre Arbeit aufmerksam durch den Spalt seiner leise geöffneten Tür belauscht und dass seine dunklen Augen stolz und zärtlich aufleuchten, als er mit geübtem Ohr erkennt, wie es