Fürstenkinder Staffel 1 – Adelsroman. Helga TorstenЧитать онлайн книгу.
lehnte sich einen Augenblick gegen eine Wand.
Der Kommilitone – es war schon lange her, daß er so zu ihr gesprochen hatte.
Das war damals noch, als die Eltern lebten. Papa, der große, international berühmte, aber auch höchst eigenwillige Dirigent Joachim Rasmussen. Und Mama. Ach, die zierlich mädchenhafte Mama, die einer bekannten französischen Professorenfamilie entstammte und die keinen sehnlicheren Wunsch gehabt hatte, als daß die einzige Tochter auch einmal Ärztin würde.
»Mache ich, Mama!« Jasmine hatte nach dem Abitur zu diesem Vorschlag genickt. »Kinderärztin. Das schaffe ich gewiß. Aber – das Tanzen – ja das brauche ich doch nicht aufzugeben?«
»Das will ich mir ausgebeten haben!« Das war Papas Stimme. Er schien bei diesen Worten gleichsam mit dem Taktstock zu klopfen. Er war es gewesen, der die noch ganz winzige, graziöse kleine Tochter, noch ehe sie lesen und schreiben konnte, zur Ballettschule gebracht hatte. Sie besaß ein Talent, das man ausbilden mußte, ganz gleich, welchen Berufsweg sie einmal einschlagen würde.
»Man läßt nichts verkümmern«, behauptete er. »Es wäre die größte Sünde.«
Und nun war heute die erste Möglichkeit zum Auftreten gekommen. Die große Möglichkeit. Denn in Kindermärchen einiger kleiner Bühnen war Jasmine schon aufgetreten.
Aber das Katzenballett an der großen Oper – ja, das war eine Chance, eine große Chance! Ich tanze in der ersten Reihe als größte Katze, als Katzenprinz sozusagen.
Ja, als Katerprinz.
In diesem Augenblick krachte es dröhnend hinter dem Mädchen, das in dieser Sturmnacht hier in einem alten Lagerschuppen verzweifelt nach den Kindern suchte.
Dumpf drohend begannen einige umgestürzte Fässer zu rollen.
Jasmine sprang noch rechtzeitig zur Seite. Die kleine Lampe in ihrer Hand flackerte wie ein Irrlicht, suchte sich selbst einen Weg, beleuchtet eine Ecke, aus der plötzlich das Miauen eines Katers an Jasmines Ohr klang.
Katzenballett… Katerprinz…
Waren das Träume?
Aber der große, wunderschöne graue Kater mit den schneeweißen Hängebacken unter den steil aufgerichteten Schnurrhaaren war Wirklichkeit, greifbare Wirklichkeit!
Na, um dich geht’s doch! Du bist doch wohl der Gesuchte!«
Jasmine hob jetzt die Lampe und leuchtete die ganze Ecke aus.
In diesem Schuppenwinkel hatte sich nicht nur der wie ein verzauberter Prinz aussehende Kater geflüchtet, sondern in ihm hockten auch zwei Kinder, eng aneinandergedrängt. Zerzaust fielen dem Jungen dunkle Haare in seine Stirn. Im Schein des Lichtes schimmerten daneben die seidenweichen Locken eines kleinen Mädchens.
»Da seid ihr ja«, sagte Jasmine erleichtert und stand nun ganz dicht vor der kleinen Gruppe. Sie zweifelte nicht daran, daß sie die Kinder gefunden hatte, die der Fahrer Waschkewitz suchte.
»Und was tut ihr hier?« fragte sie und gab ihrer Stimme einen ernsten Ton.
Schließlich gehörten die Kinder in diesen Sturmstunden nicht in diesen Lagerschuppen, der sich weit außerhalb des Hafengeländes befand.
»Julius«, versuchte jetzt der Junge zu erklären.
»Ja, Julius!« echote das blondlockige Mädchen, das eine Puppe fest an sich drückte.
»Julius wollte nicht mehr im Wagen bleiben und warten. Waschkewitz war auch so lange weg.«
Christoph, der sich niemals anders als Stoffel hatte nennen hören, rechtfertigte sich. Jasmine sah, daß er groß und kräftig gebaut war und sich ein wenig linkisch gab, im Gegensatz zu der sehr graziösen kleinen Schwester, die sich jetzt ganz eng an Jasmine drängte.
»Du«, das Kind schluckte ein paarmal, »weißt du, wie wir hier herauskommen?«
Jasmine legte den Arm um das Kind und zog es zärtlich an sich.
»Natürlich weiß ich das, Schätzchen. Ganz einfach durch die Tür, durch die wir schließlich alle gekommen sind.«
Das klang beruhigend.
»Wie kommst du hierher?« erkundigte sich Stoffel sehr nüchtern.
»Na, man sucht euch. Und ich traf gerade euren Fahrer.«
»Waschkewitz!« Nun weinte die kleine Vronli laut auf.
»Ja, Waschkewitz!« bestätigte Jasmine, die nun wußte, wie der verzweifelte Mann in der grauen Livree hieß, der seines Herrn Kinder verzweifelt suchte.
»Gut, daß wir Julius wiedergefunden haben«, erklärte jetzt Stoffel. »Denk mal, der lief einfach weg und war verschwunden!«
»Und ihr seid auch weggelaufen!« ergänzte Jasmine. »Und wenn ich eure Mutter wäre, würde ich euch die Hosen strammziehen.«
»Hahaha!« Nun lachte der kleine Bursche plötzlich. »Als ob du eine Mutter wärest. Du bist doch auch nur ein Mädchen, ein kleines Mädchen«,
betonte er und reckte sich hoch auf.
Ich habe einige Semester Medizinstudium hinter mir, ich tanze in der großen Oper den Katerprinzen in der ersten Reihe, wollte Jasmine sagen.
Aber es war wohl nicht der Augenblick, jetzt den Kindern zu beweisen, daß sie nicht ihresgleichen, sondern schon erwachsen war. »Los, kommt!« sagte sie nur. »Eure Mama wird schon wissen, was sie zu tun hat.«
»Sie lebt nicht mehr«, erklärte Stoffel nüchtern und ließ den schnurrenden Kater Julius auf seine Schulter springen.
»Na, dann der Papa!«
»Der weiß sicher nicht einmal, daß wir weg sind«, sagte Vronli mit einem traurigen Gesichtchen.
»Na, was sagst du nun? schienen die Blicke beider Kinder Jasmine zu fragen.
Die aber ließ sich in kein Streitgespräch ein.
Es galt allein, aus dieser Hölle herauszukommen.
»Los, schnell!« schrie sie, denn der Sturm war nun zum Orkan geworden.
Der winzige Lichtkegel der Taschenlampe zeigte den Weg zu der Tür. Sie war durch den Orkan so fest zugedrückt, daß es Jasmine fast unmöglich schien, sie aufzustoßen, um dann den Weg ins Freie zu gewinnen.
Gefangen – gefangen wie in einer Mausefalle! dachte das Mädchen, das sich mit aller Kraft gegen die Tür stemmte.
»Stark bist du wohl nicht«, behauptete Stoffel.
»Und du auch nicht!« verwies ihn Jasmine. Denn sie sah, daß nun auch der Junge sich vergeblich gegen das Holz stemmte.
»Was tun wir?« Vronlis Stimmchen wimmerte.
Ja, was tun?
Noch ehe Jasmine aber einen Gedanken fassen konnte, öffnete sich die Tür plötzlich wie von selbst. Doch sie gab keinen Weg ins Freie preis, sondern durch ihre Öffnung flutete Wasser, immer höher steigendes Wasser.
Lieber Gott – der Strom!
Jasmine faltete unwillkürlich die Hände.
Dann aber leuchtete sie mit dem blassen Schein ihrer Lampe die Halle aus. Fässer, hochgetürmte Säcke, teilweise gelagert wie eine Treppe. Man konnte gut hinaufsteigen bis unters Dach. Und das Dach hatte oben eine Öffnung, eine Luke.
»Dort hinauf!« befahl Jasmine. Sie versetzte Julius, dem Kater, dem sie diese mißliche Lange verdankte, einen unsanften Tritt.
»Bist du nicht tierfreundlich?« erkundigte sich Stoffel kritisch und runzelte die hohe Kinderstirn.
»Nein, gar nicht«, hätte Jasmine in diesem Augenblick am liebsten gesagt, obgleich es nicht der Wahrheit entsprach. Aber diesen Kater, der jetzt beinahe gravitätisch neben ihnen über Säcke und Fässer stieg, haßte sie beinahe. Denn die Situation war keineswegs