Sophienlust Box 17 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
konnte und die kleinen Körper nicht allzu rasch in Verwesung übergingen unter der Wärmeglocke.
»Das arme Küken ist jetzt ganz allein«, schluchzte Bastian unvermittelt auf. »Hat es nicht Sehnsucht nach den anderen?«
»Natürlich hat es Sehnsucht, du dummer Bengel«, schalt Helmut Koster. »Jetzt kannst du mal sehen, was du angerichtet hast. Warum bloß? Die armen kleinen Tierchen haben dir doch nichts getan. Aber sie brauchten die Wärme.«
»Ich … ich wollte es eben, weil ich wütend war«, stotterte Bastian unter Tränen. »Zu mir ist doch auch keiner lieb. Mein Vati schickt mich nach Sophienlust, weil er verreisen will, und meine Mutti hat mich vergessen. Meinen Hund hat man mir auch weggenommen.«
Denise, die von der offenen Tür aus dem Gespräch zwischen dem Tierpfleger und dem Jungen gelauscht hatte, wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
»Ihm fehlt Liebe«, raunte sie Andrea zu. »Trotzdem muss er diese Kur nun durchstehen. Er soll mit Helmut Koster eine Grube schaufeln, damit die Küken ein Grab erhalten. Oder bist du anderer Meinung?«
»Nein, nein, Mutti, du hast bestimmt Recht. Außerdem wird es Bastian erleichtern, wenn er jetzt etwas tun kann, um die Sache aus der Welt zu schaffen. Solange er die toten Küken dort herumliegen sieht, wird ihn das quälen.«
Helmut Koster suchte eine große und eine kleine Schippe heraus. Ohne Widerspruch machte sich Bastian dann gemeinsam mit dem Tierpfleger an die betrübliche Arbeit.
Als die kleine Grube wieder geschlossen war, fragte Bastian: »Was macht das übrige Küken jetzt? Wer spielt nun mit ihm?«
»Ich weiß es nicht, Bastian«, antwortete Helmut Koster. »Jedenfalls werde ich mir große Mühe geben, es unter der Wärmeglocke großzuziehen, damit es so schnell wie möglich zu den anderen Hühnern in den Stall kann. Was hast du dir bloß gedacht, als du den Strom abgeschaltet hast?« Er schüttelte den Kopf. »Ausgerechnet heute Nacht hatten wir den ersten Frost. Sonst wäre es vielleicht gar nicht so schlimm ausgegangen.«
»Das … das konnte ich nicht wissen«, wagte Bastian sich zu verteidigen.
»Nein, das nicht. Aber wer hat dir gesagt, dass du die Wärmeglocke ausschalten sollst?«
Darauf fand Bastian beim besten Willen keine Antwort. Er verzog sich grußlos.
Denise wartete schon auf ihn. »Kakao und Kuchen gibt es heute natürlich nicht«, sagte sie ernst. »Wir fahren jetzt zurück. Leider werden wir den anderen nicht verheimlichen können, was du getan hast.«
»Sag’s ihnen lieber nicht, Tante Isi«, bat Bastian scheu.
»Dazu ist es bereits zu spät. Eins von den Kindern hat zugehört, als Frau Rennert mit mir telefonierte. Leider wurde dabei auch erwähnt, dass nur du derjenige gewesen sein konntest, der den Strom ausgeschaltet hat.«
»Dann sag’ ihnen doch, dass es nicht stimmt. Ich … tu’s bestimmt nicht wieder, Tante Isi«, verlegte sich Bastian aufs Handeln.
»Aber ich kann die Kinder doch nicht belügen, Bastian. Wenn du den Mut hattest, die Küken umzubringen, dann musst du nun auch zusehen, wie du mit den Folgen fertig wirst. Du solltest den anderen Kindern besser zu beweisen versuchen, dass du es nicht so böse gemeint hast, wie es jetzt aussieht.«
Mutlos setzte sich Bastian neben Tante Isi ins Auto und fuhr mit ihr nach Sophienlust zurück.
Leider erwies es sich zunächst als gänzlich unmöglich, mit den Sophienluster Kindern über die Sache mit den Küken zu reden. Es stand für sie fest, dass Bastian sehr böse sei. Kein Kind wollte mehr sein Freund sein.
Henrik, der sich anfangs viel Mühe mit Bastian gegeben hatte, war besonders erbost. »Er gehört gar nicht zu uns nach Sophienlust, Mutti«, beklagte er sich noch am Abend, als er längst in Schoeneich in seinem Bett lag und Denise mit ihm beten wollte. »Ich bin nicht mehr sein Freund. Niemand will mehr sein Freund sein, und Nick gibt ihm auch keine Reitstunden mehr. Vielleicht käme Bastian auf die Idee, die Ponys mit der Peitsche zu schlagen oder so. Kannst du nicht seinem Vater einen Brief schreiben, dass er Bastian so schnell wie möglich abholen soll?«
»Das geht leider nicht, denn sein Vater ist auf einer Weltreise.«
»Und seine Mutti, ist die tot?«
»Nein, aber sie kann auch nicht kommen.«
»Eine blöde Familie. Du, Bastian soll kein Bäumchen im Märchenwald erhalten. Wer Küken tot macht, gehört nicht zu uns.«
Denise nahm ihren Jüngsten fest in die Arme. »Bastian ist wahrscheinlich bloß unglücklich, Henrik. Ich weiß, dass das für dich schwer zu verstehen ist. Aber wir müssen ihn trotzdem lieb haben und ihm zeigen, dass wir uns Mühe mit ihm geben. Gleich morgen werde ich ihm von unserem Märchenwald erzählen und von unserem schönen Brauch, dort jedes Sophienluster Kind einen Baum pflanzen zu lassen, an dem ein Schildchen mit seinem Namen befestigt wird. Vielleicht freut Bastian das ein bisschen.«
»Er braucht sich nicht zu freuen. Die Küken haben sich auch nicht gefreut, als sie sterben mussten, Mutti«, schluchzte Henrik auf.
»Ja, du hast Recht. Es ist schwer zu begreifen, mein kleiner Junge. Trotzdem müssen wir immer wieder versuchen, Liebe zu geben. Es ist die Idee von Sophienlust.«
»Das verstehe ich nicht, Mutti. Am liebsten hätten wir Bastian heute alle gemeinsam verhauen. Aber Nick hat’s verboten.«
»Da hatte Nick ganz Recht, Henrik«, meinte Denise erschrocken. »So viele gegen einen, das wäre wirklich nicht fair gewesen. Doch jetzt wollen wir beten. Morgen ist wieder ein Tag, mein Sohn.«
Henrik faltete die Hände.
»… und hilf uns, dass wir Bastian verstehen lernen, damit wir ihn lieb gewinnen und er unser Freund werden kann. Amen«, schloss Denise ernst, nachdem ihr Sohn gebetet hatte.
Mit großen Augen schaute Henrik sie an. »Du meinst es also ganz ernst, wenn du sogar deswegen betest, Mutti?«
»Ja, Bastian ist ein unglückliches Kind. Doch in Sophienlust ist es unsere Aufgabe, unglückliche Kinder glücklich zu machen.«
Henrik rollte sich zusammen. »Vielleicht verstehe ich es, wenn ich so groß bin wie Nick, Mutti«, murmelte er, schon halb im Schlaf.
Denise küsste ihn noch einmal. »Ja, Henrik, dann wirst du es sicher verstehen«, flüsterte sie und verließ auf Zehenspitzen das Zimmer ihres Jüngsten.
»Bastian macht uns große Sorgen«, sagte sie später vor dem flackernden Kaminfeuer zu Alexander.
»Ich wünschte, ich hätte diesen Jungen nicht nach Sophienlust gebracht. Aber wie hätte ich ahnen können, dass aus seinem Vater ein so unsympathischer Zeitgenosse geworden ist und dementsprechend aus dem Sprössling ein so kompliziertes Kind?«
»Ach, weißt du, Alexander, vielleicht sollte es so sein«, erwiderte Denise und schmiegte sich in die Arme ihres geliebten Ehegefährten. »Bastian vermisst die Liebe. Deshalb ist er so aufsässig und beinahe boshaft geworden. Schuld daran ist sein Vater und möglicherweise auch seine Mutter. Letzteres kann ich nicht beurteilen. Ich kenne ja die Verhältnisse nicht. Auf jeden Fall müssen wir versuchen, dem armen kleinen Bastian zu helfen.«
Alexander küsste seine Frau. »Ach, Isi, wann wirst du jemals in einem Kind etwas Böses oder auch nur Abfälliges erblicken? Du schaust in jede Kinderseele wie in einen goldenen Topf hinein.«
»Bisher habe ich aber immer Recht behalten, Alexander. Oder willst du das etwa abstreiten?«
»Hm, nein. Aber Bastian ist wohl eine Ausnahme. So etwas wie die Geschichte mit den Küken ist doch einmalig bei uns. Oder willst du das abstreiten?«
»Jedes unserer Kinderschicksale war einmalig, Alexander. Ich gebe die Hoffnung nicht auf, und ich bin froh, dass Bastians Vater so lange wegbleiben will. Das gibt uns wenigstens eine Chance. Der Hund ist übrigens inzwischen schon ganz normal geworden. Er kläfft jetzt genauso laut wie Severin und schmatzt mit den anderen Hunden