Mami Staffel 13 – Familienroman. Lisa SimonЧитать онлайн книгу.
ihres Wissens noch nie englische Rose genannt worden, aber Verliebte hatten ihre eigene Sprache. Es gefiel ihr.
Genüßlich leckte sie sich die Finger ab, nachdem sie das letzte Stückchen Brötchen aufgegessen hatte. Der süße Honig hinterließ einen Hauch von Bitterkeit in ihrem Mund.
Torsten wollte sie umarmen, aber Julia schob ihn energisch zur Seite.
»Jetzt muß ich erst telefonieren. Dann komme ich zurück und…«
»Und?« fragte er lächelnd.
»Wir werden sehen. Wo ist das Telefon?«
»Nimm das hier. Ich gehe ins Bad und dusche.«
Wie rücksichtsvoll, sie allein zu lassen. Julia war sicher, daß es nicht nötig war. Ihre Mutter würde sie wahrscheinlich auslachen, weil sie überhaupt anrief, statt ihr Glück noch so lange zu genießen, wie die Zeit reichte.
Sie wählte die Nummer, ein Lächeln im Gesicht. Es war alles so traumhaft schön… Wenn doch die Kinder nur keine Schwierigkeiten machen würden…
»Bernsdorf.«
Sie hörte sofort an der Stimme ihrer Mutter, daß etwas ganz und gar nicht in Ordnung war.
»Mama? Was ist passiert?« fragte sie angstvoll.
»Oh, Julia… es tut mir so leid…«
»Mama! Bitte, sag es mir«, keuchte Julia in wilder Panik. So hatte ihre Mutter noch nie geklungen, nicht einmal, als ihr Vater einen schweren Infarkt gehabt hatte, an dem er dann schließlich auch gestorben war.
»Nele… Sie hatte einen Unfall.«
»Einen Unfall? Aber… das kann doch nicht sein. Sie ist doch bei… Thomas.«
»Ja, aber sie ist gestern abend weggegangen. Wir wissen noch nicht warum, vermutlich weil Thomas sie kurz… allein lassen mußte.«
Die bittere Wahrheit würde Julia schon früh genug erfahren. Angelika Bernsdorf hatte entschieden, es so auszudrücken.
»Aber… das verstehe ich nicht. Er kann sie doch nicht allein gelassen haben… Und Nele ist doch vernünftig… Ich meine, sie ist doch kein kleines Kind mehr…«
»Julia, bitte, du mußt in die Städtische Klinik fahren. Nele liegt noch im Koma. Aber sie wird bestimmt wieder…«
»Im… Koma?« hauchte Julia und umkrampfte den Hörer mit solcher Kraft, daß ihre Knöchel weiß hervortraten.
»Ja. Sie hat eine Gehirnerschütterung. Da kann das vorkommen.«
Julia drehte sich alles vor Augen. Es durfte nicht wahr sein, sie wollte das nicht. Nicht nach so einer glücklichen Nacht, einem so schönen Morgen. Alles war ein Irrtum. Es handelte sich nicht um Nele. Nele lag bei Thomas wohlbehütet im Gästezimmer und wachte vielleicht gerade auf.
»Kind, bitte. Ich weiß genau, was du jetzt durchmachst. Aber du darfst jetzt nicht die Nerven verlieren. Nele wird bestimmt wieder gesund. Ich fahre später zu ihr, aber jetzt mußt du erst einmal hin. Die Ärzte wollen mit dir sprechen.«
»Und… Thomas?«
»Er war die ganze Nacht da. Er hat vorhin angerufen, es gibt keine Veränderungen. Das kann auch ein gutes Zeichen sein…«
Der letzte Satz machte mehr als deutlich, wie ernst es wirklich stand. Julia hörte und begriff ihn übergenau. Es war, als hätte ihre Mutter die Worte direkt in ihr Hirn gemeißelt.
»Ich… fahre dann gleich. Und… Patrick?«
»Oh, mit ihm ist alles in Ordnung. Ich habe ihm gesagt, daß Nele einen Unfall hatte, aber er hat es ziemlich ruhig aufgenommen. Jetzt spielt er im Wohnzimmer.«
»Ich komme dann später…«
»Julia, laß dir Zeit. Soviel, wie du brauchst, hörst du? Ich kümmere mich um Patrick.«
»Ja… ja, danke.«
Wie betäubt legte Julia den Hörer auf. Sie konnte sich nicht bewegen, nicht aufstehen, nicht schreien, nicht weinen. Alles war einfach so unfaßbar grausam, so gemein… so…
»Julia? Mein Gott, Julia, was ist passiert?«
Sie merkte gar nicht, daß Torsten ihr den Arm um die Schultern legen wollte.
»Ich… Nele… sie hatte einen Unfall. Ich muß…«
»Verdammt!« fluchte er unterdrückt.
Julia sah ihn an wie einen Fremden.
»Julia, zieh dich an. Ich bringe dich zu ihr.«
»Nein. Nein, das will ich nicht«, gab sie fast feindlich zurück.
»Julia? Warum sagst du das so…«
»Ich will es nicht. Ich bin ihre Mutter. Es… geht dich nichts an.«
Torsten wandte den Blick ab. Julia war zu durcheinander, um den Schmerz in seinen Augen wahrzunehmen. Sie konnte sich nicht von Torsten in die Klinik bringen lassen. Nele mochte ihn nicht, wollte nicht, daß er für ihre Mutter überhaupt existierte. Wenn sie sich von Torsten umsorgen ließe, käme es einem Verrat an ihrer Tochter gleich.
Sie erhob sich mühsam vom Bett. Die Decke rutschte herunter. Hastig griff sie danach, als bedeutete jetzt ihre Nacktheit etwas anderes als vorher.
Sie schwankte ins Badezimmer, wusch sich hastig und hatte keinen Blick für ihr Bild in dem großen Spiegel. Mit fahrigen Bewegungen streifte sie ihre Kleidung über. Das Kleid wirkte heute morgen natürlich ganz fehl am Platze, zumal auf einer Intensivstation…
»O Gott, Nele… meine Nele«, schluchzte sie trocken auf.
Die Tränen wollten noch nicht kommen.
»Ich muß gehen.«
»Ich habe dir ein Taxi gerufen. Wenn ich dir helfen kann, laß es mich wissen.«
Torstens Stimme klang ganz ruhig. Julia preßte die Lippen zusammen. Sie fand keine Worte für ihn, weil sie das Gefühl hatte, schon gar nicht mehr hier sein zu dürfen. Als könne Nele es spüren, daß sie hintergangen worden war.
»Julia, hast du mich verstanden?«
»Ja, natürlich. Danke…«
Sie rannte die Treppe hinunter, so schnell es eben ging. Torsten folgte ihr nicht. Er blieb oben stehen und sah ihr nach. Er war klug genug, um zu wissen, daß er die Frau, die er liebte, lange nicht wiedersehen würde.
Julia hatte ihn schon vergessen, als sie die Tür zum Taxi öffnete.
Neles Zustand hatte sich stabilisiert, wie sie kurze Zeit später in der Klinik vom verantwortlichen Arzt erfuhr. Er erklärte ihr lang und umständlich, was alles festgestellt worden war. Julia begriff davon nur, daß man noch nicht sagen konnte, ob Nele bleibende Schäden zurückbehalten würde, wenn sie nach der schweren Gehirnerschütterung aus dem Koma erwachte.
»Wann das sein wird, wissen wir nicht, es kann theoretisch in fünf Minuten oder in fünf Wochen passieren. Das ist nie einschätzbar. Sie sollten viel mit ihr sprechen. Es ist nicht so tief, wie es anfangs aussah.«
Julia hatte schon über Kinder im Koma gelesen, aber natürlich niemals geahnt, daß sie dieses Wissen eines Tages brauchen würde.
»Ich weiß, daß das ein schwerer Schock für Sie ist, Frau Bogner. Wollen wir jetzt zu Nele gehen?«
»Ja.«
Julia brauchte seine Unterstützung, weil ihre Beine wackelten, als gehörten sie nicht zu ihrem Körper. Immer wieder streifte sie ein besorgter Blick des Arztes. Sie wünschte, daß er nicht so voller Mitleid wäre. Er wußte ja nicht, welch schlechte Mutter sie war.
»Nele…«, flüsterte sie erschüttert, als sie ihre Tochter so still und blaß im Bett liegen sah.
»Sie können ihre Hand halten oder sie streicheln, aber nur da, wo keine Verletzungen