Sophienlust - Die nächste Generation Staffel 1 – Familienroman. Karina KaiserЧитать онлайн книгу.
noch einen Onkel und eine Tante. Das ist einfach toll. Es ist auch nicht schlimm, dass wir eigentlich gar nicht miteinander verwandt sind. Ihr werdet für mich immer meine richtige Tante und mein richtiger Onkel sein.«
Linda schloss das kleine Mädchen liebevoll in die Arme. Über den Kopf des Kindes hinweg traf sich ihr Blick mit dem von Daniel. Romina hatte keine Ahnung, dass sie sich irrte und dass sie ihre leiblichen Verwandten um sich hatte. Irgendwann in der nächsten Zeit sollte sie das erfahren. Vorher wollten Linda und Daniel aber noch herausfinden, ob sich Barbaras und Thorstens Einstellung zu ihrer Enkelin noch immer nicht geändert hatte. Vielleicht hatten sie inzwischen nachgedacht und festgestellt, dass es überhaupt keinen Grund gabt, das Kind abzulehnen. Natürlich würden sie niemals nach Sophienlust fahren, sich als Großeltern vorstellen und Romina fragen, ob sie mitkommen und in Zukunft bei ihnen leben wollte. Dazu waren die beiden dann doch viel zu verbohrt.
Möglicherweise würden sie jedoch damit einverstanden sein, dass Romina über Onkel und Tante in den Schoß der Familie zurückkehrte. Ob Linda es wagen konnte, offen mit ihren Eltern über das kleine Mädchen zu sprechen, würde sich in den nächsten Tagen zeigen.
Daniel und Linda planten einen Besuch bei Thorsten und Barbara. Bei dieser Gelegenheit konnten sie deren Einstellung ganz vorsichtig und diskret prüfen. Mit der Möglichkeit, dass Romina sich weigern könnte, zu Onkel und Tante zu ziehen, rechneten Linda und Daniel nicht. Die Kleine lebte zwar gerne in Sophienlust und war dort auch bestens aufgehoben. Aber man merkte ihr deutlich an, dass sie eine richtige Familie doch sehr vermisste.
*
Als sie zwei Tage später mit Linda und Daniel Ellinger am Kaffeetisch saßen, zeigte Barbara sich doch ein wenig neugierig. Mit einem verlegenen Lächeln schaute sie Tochter und Schwiegersohn abwechselnd an.
»Wie weit seid ihr denn mit eurem Adoptionsgedanken?«, wollte sie wissen. »Habt ihr den Antrag schon gestellt?«
»Es geht alles seinen Gang«, antwortete Linda ausweichend. »Eigentlich haben wir sogar schon ein bestimmtes Kind im Auge. Dieses Kind ist allerdings kein Baby mehr. Es kann schon laufen und sprechen, malt wundervolle Bilder und geht sogar schon zur Schule, allerdings noch nicht sehr lange. Das Mädchen besucht die erste Klasse.«
»Sechsjährige sind noch lange nicht erwachsen«, meinte Thorsten mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Die kann man noch gut formen. Mich interessiert mehr, warum das Kind zur Adoption freisteht. Was ist mit den Eltern passiert?«
»Das können wir euch leider nicht sagen«, bemerkte Linda rasch und hatte damit nicht einmal gelogen. Sie hätte unmöglich erklären können, dass die Eltern dieses Kindes bei einem Wohnwagenbrand auf einer Kirmes umgekommen waren. Dann hätten ihre Eltern sofort gewusst, was gespielt wurde. »Uns wurde versichert, dass die Eltern definitiv nicht mehr existieren«, erklärte Linda.
»Na gut.« Thorsten zog die Schultern hoch. »Ob die Eltern nun verstorben sind oder auf ihr Kind ganz offiziell verzichtet haben, spielt eigentlich keine Rolle. Für euch ist nur wichtig, dass man euch euer Kind niemals streitig machen kann, und das scheint hier ja der Fall zu sein.«
»Nein, es wird für immer unser Kind sein, wenn alles klappt«, versicherte Daniel. »Aber es wird noch ein Weilchen dauern.«
»Jedenfalls freue ich mich, dass ihr das Kind nicht ablehnt, weil es schon ein bisschen größer ist«, bemerkte Linda. »Von Jennys Tochter wolltet ihr überhaupt nichts wissen, und die ist ungefähr im selben Alter.«
»Das kannst du doch nicht vergleichen«, fuhr Thorsten auf. »Das Kind deiner Schwester stammt von einem Windhund, einem italienischen Schausteller, der es zu nichts weiter gebracht hat als zu irgendeinem Tingeltangel auf einem Kirmesplatz. Sein Kind hat seine Erbanlagen.«
»Es ist auch Jennys Kind«, gab Daniel zu bedenken. »Sie hat ihrer Tochter bestimmt auch eine Menge vererbt.«
»Ja, wahrscheinlich ihre Unzuverlässigkeit.« Thorsten verzog unwillig das Gesicht. »Jenny hatte so gute Chancen. Ihr Abitur ist absolute Spitzenklasse gewesen. Damit hätte sie jeden Studiengang wählen und ihren Abschluss mit Bravour meistern können. Nachdem sie immer recht vernünftig gewesen war, ist plötzlich ihr wahrer Charakter durchgebrochen, und sie ist mit diesem windigen Schausteller durchgebrannt. Jenny ist eine große Enttäuschung für uns gewesen. Sie hatte in Wirklichkeit keine guten Eigenschaften. Wie soll sie ihrer Tochter dann welche vererbt haben?«
Linda glaubte, für ihre Schwester eine Lanze brechen zu müssen! »Jenny hat sich verliebt, Papa. Das musst du doch verstehen. Sie hat plötzlich den Mann gefunden, mit dem sie ihr ganzes Leben teilen wollte. Wer und was er war, spielte dabei keine Rolle. Und irgendwie hat es dann ja auch funktioniert. Die beiden haben sich nicht wieder getrennt. Sie hatten sogar ein Kind miteinander, ein Kind, das sie aufrichtig geliebt haben und das wahrscheinlich gut erzogen worden ist.«
»Du hast keine Ahnung, Linda. Im Gegensatz zu dir habe ich Erfahrungen mit diesen Leuten gemacht, die von einem Jahrmarkt zum anderen reisen. Ich war selbst noch ein Schuljunge, als eine Grünfläche neben dem Haus meiner Eltern für solche Jahrmärkte freigegeben wurde. Die Schausteller, die dort ihre Geschäfte aufgebaut haben, sind keine idealen Nachbarin gewesen. Sie waren laut, ungebildet und rücksichtslos«, echauffierte sich Thorsten. »Ihre Kinder rannten überall schreiend und grölend umher, kannten kein Benehmen und zeigten sich sogar ihren eigenen Eltern gegenüber ausgesprochen unverschämt.«
»Vielleicht habt ihr damals einen unglücklichen Einzelfall erlebt«, mutmaßte Daniel. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle Schausteller rücksichtslos und ihre Kinder unverschämt sind. Schausteller reisen zwar viel, sind aber ausgezeichnete Geschäftsleute und gehen einem völlig normalen Beruf nach. Sie achten sicher auch auf die Erziehung und Bildung ihrer Kinder.«
Thorsten winkte ab. »Ihr habt beide total falsche Vorstellungen. Ich weiß, welche Erfahrungen ich gemacht habe, und dass sich ein ganz bestimmter Menschenschlag niemals ändern wird. Außerdem haben wir es nicht nötig, gegenseitige Überzeugungsarbeit leisten zu wollen. Das Kind, das Jenny und dieser italienische Taugenichts in die Welt gesetzt haben, geht uns nichts an. Wir wollen es nicht sehen und nichts von ihm hören. Unser Haus bleibt ihm für immer verschlossen. Diese … diese … Ramona existiert für uns überhaupt nicht.«
»Romina«, verbesserte Barbara ihren Mann, der die Korrektur jedoch nicht zur Kenntnis nahm. Er wollte dieses Thema unbedingt beenden.
Linda war natürlich aufgefallen, dass sich ihre Mutter im Gegensatz zum Vater sehr gut an den richtigen Namen des Kindes erinnern konnte. Mit einem Hauch von Hoffnung startete sie deshalb noch einen Versuch: »Bist du auch Papas Meinung? Macht es dir ebenfalls gar nichts aus, euer einziges leibliches Enkelkind für alle Zeit aus eurem Leben und aus euren Gedanken zu verbannen?«
Barbara vermied es, ihrer Tochter direkt in die Augen zu blicken. Sie schaute aus dem Fenster auf den kleinen Wasserfall, der in einen geschmackvoll angelegten Goldfischteich mündete.
»Jenny hat uns sehr enttäuscht, über ihren tragischen Tod sind wir trotzdem zutiefst bestürzt. So hätte das alles nicht enden dürfen. Aber es ist eben sowie es ist. Dabei wollen wir es belassen und das Kapitel abschließen. Es ist vermutlich wirklich besser, wenn Jennys Kind nicht zu unserem Leben gehört.«
»Es gibt kein Kind und damit Ende der Debatte«, ließ Thorsten sich vernehmen und machte damit deutlich klar, dass er nie wieder auf Romina angesprochen werden wollte.
»Ihr beide werdet demnächst ein Kind haben, wahrscheinlich eine reizende kleine Tochter. Sie wird uns als Enkelkind willkommen sein. Ich möchte kein Wort mehr über diese Ramona hören.«
Barbara öffnete den Mund und holte Luft. Dann aber schlossen sich ihre Lippen sofort wieder. Sie wagte nicht einmal mehr, ihren Mann zu berichtigen und den korrekten Namen der Enkelin zu nennen.
Daniel und Linda sahen ein, dass sie auf verlorenem Posten standen. Bei Barbara hätten sie möglicherweise noch etwas erreichen können. Sie wäre vielleicht bereit gewesen, sich einsichtig zu zeigen und ihrer Enkelin ihr Herz zu öffnen. Aber sie stand im Schatten ihres Mannes, und bei ihm war jede Hoffnung vergeblich.
Was