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Die Faxen Dicke. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.

Die Faxen Dicke - Reiner Hänsch


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Sonnenöl, hahaha, das haben wir ganz vergessen, mit an den Strand zu nehmen. Wie lustig. Wir haben ja alles vergessen oder gar nicht erst mitgenommen, weil wir ja nur mal eben so gucken wollten, wie’s am Strand so ist.

      Und so ist es: Pädder und ich trinken gemütlich unsere Biere, und die schwarze Wolke, die vor einer Stunde noch weit hinten und ganz ungefährlich über einer anderen kleinen Nebeninsel schwebte, nähert sich mit jetzt schon messbarer Geschwindigkeit. Die Sonne verschwindet beleidigt und die ersten Ausläufer der Wolke sondern schon mal drohend einige noch vorsichtige Tropfen ab, was aber die meisten der anderen gerade noch lässig faulenzenden Strandbewohner veranlasst, augenblicklich aufzuspringen, ihre Habseligkeiten in panischer Eile zusammenzuraffen und den Strand ohne ein Wort des Grußes fluchtartig zu verlassen.

      „Waichaier“, sagt Pädder und wir nehmen beide noch einen ordentlichen Schluck Singha.

      Habe ich schon fünf Bier getrunken?

      Plötzlich steht Steffi vor uns, hat noch ganz verschlafene Augen und irgendwas an ihr erinnert mich an eine fast verglühte Raumkapsel beim Eintritt in die Erdatmosphäre. Es dampft regelrecht, wenn die dicken Regentropfen auf ihre Lobster-like-gerötete Haut platschen, und ich meine auch, es zischen zu hören. Pädder sieht sie mit offenem Mund an.

      „Tach zusammen!“, sagt Steffi und: „Is was?“

      „Das ist Pädder“, sage ich, ohne die Augen von ihr zu nehmen, mit einem Wink auf meinen neuen, Zigarren rauchenden Freund, aber der interessiert Steffi nicht sonderlich. „Pädder kommt aus Att’ndorn. Kannssu das glaub’n?“

      „Wo ist Max?“, fragt sie stattdessen besorgt, ich deute nur stumm, kraft- und fassungslos in Richtung Mauer, und er kommt auch just in diesem Moment angerannt und flucht.

      „Scheiß Regen, schon wieder!“, sagt er, als er uns erreicht, sich zu uns unter das kleine Holzdach gesellt und sich wieder in seinen Game Boy vertieft. Er nimmt um sich herum wenig bis nichts wahr.

      „Ihr trinkt Bier?“, fragt Steffi, als hätte sie kein, oder zumindest nicht genügend Verständnis für unsere kleine private Feier aus Anlass des ersten Urlaubstages hier vor der Holzhütte der Paradies-Filiale. Wir sehen uns unsicher und schuldbewusst an und Pädder sagt: „Singha! Chanz lecker. Wolln se au ains?“ Dann steht er auf und verbeugt sich leicht und ziemlich altmodisch zu Steffi hin.

      „Pädder.“

      Auf den fragenden Blick von Steffi hin verbessert er seine nachlässige Aussprache: „Peetäär.“

      „Aha“, meint Steffi nur, verrät aber ihren eigenen Namen noch nicht.

      Da zuckt ein Blitz in Weltuntergangsgröße über den bereits verdunkelten Strand, und es donnert, dass uns all unsere Sünden einfallen. Ich nehme schnell noch einen letzten Schluck Singha, verabschiede mich von Pädder, der jetzt auch seine Baracke aufsuchen will, und dann rennen wir durch das Unwetter zurück zur Straße, die man gar nicht mehr findet, weil sie sich inzwischen in einen riesigen See verwandelt hat, dessen brodelndes, braunes Wasser uns fast bis zur Hüfte geht. Wir durchschwimmen ihn todesmutig und flüchten völlig durchnässt und erschöpft in die Sicherheit unserer Superior-Hillside-Urlaubsbude.

      Erst da wird die ganze Katastrophe des spontanen, auf mein Drängen so ganz ohne Planung und Vorbereitung begonnenen Urlaubsvormittages sichtbar. Max zittert am ganzen Körper, er friert und ihm ist schlecht, außerdem bellt er noch immer wie ein Seehund und hat Temperatur. Steffi schickt ihn sofort ins Bett, wühlt jetzt schon wieder wütend in ihrer Apothekentasche und scheint auch irgend was Fieses gefunden zu haben, das sie ihm unter heftiger Gegenwehr eintrichtert, während sie mir giftige Blicke und ganz üble Schwingungen sendet.

      Sie selbst bekommt ihren schweren Schock erst etwas später, als sie sich im halbblinden Spiegel unserer Hütte selbst kaum wiedererkennt. Ich kann meine vorsorgliche Blockade der Toilette leider nicht mehr aufrechterhalten und es so leider auch nicht mehr verhindern, dass sie ins Bad kommt und sich spiegeln will.

      „HA!“ Ihr Schrei übertönt sogar das erbarmungslose Prasseln des Dschungelregens.

      „WIE SEHE ICH DENN AUS?“, brüllt sie, und Max wird wieder wach und bellt.

      Ich wusste ja schon, wie sie aussieht. Ihr Gesicht ist schon leicht geschwollen und so shrimpsrot und heiß, dass es praktisch kocht. Es haben sich zwar noch keine Brandblasen gebildet, aber in der nächsten Viertelstunde in der erbarmungslosen Hitze des traumhaften Chaweng Beach wären sie sicherlich erschienen. Ich bin schuld.

      Ich wäre verantwortlich gewesen für die leibliche Unversehrtheit meiner Familie. Ich hätte Steffi in den Schatten zerren oder einem der Liegeninhaber den Sonnenschirm entreißen müssen, um ihn über meiner armen Frau aufzustellen, oder ich hätte sie wenigstens aufwecken müssen. Unseren armen Sohn hätte ich schon heute Morgen in ein Hospital bringen müssen, auch ohne Frühstück, die besten Ärzte der Insel zu einer Begutachtung seines Zustandes und einer Besprechung über die wirksamste Heilmethode der Seehundkrankheit zusammenrufen müssen und ihn, mit den besten Medikamenten versorgt, in einer Privatklinik unterbringen oder ihn mit dem ADAC-Hubschrauber nach Deutschland ausfliegen lassen müssen.

      Aber nein, ich trinke lieber Bier mit neuen Freunden und freue mich des Lebens. Ich gebe mich einer so trügerischen, flüchtigen Freude hin und setze damit unser aller Leben aufs Spiel. Max, erst elf Jahre mit bleibenden Lungenschäden, Steffi für immer entstellt.

      Diesmal wühle ich selbst unaufgefordert in der Apothekentasche und finde nach einer Weile auch die Brandsalbe, die ich ihr schweigend und schwer bereuend hinhalte.

      Sie würde nie wieder einen Schritt vor die Tür setzen, sagt sie und legt sich ebenfalls vorsichtig, um die verbrannte Haut nicht zu reizen, ins Bett. Sie sagt kein Wort mehr, dreht sich zur Wand und stöhnt. Max schläft wieder ein und Steffi etwa eine halbe Stunde später. Meine Familie ist vernichtet. Es riecht nach verbranntem Fleisch und mir ist schlecht. Der Rest des Tages fällt einfach aus.

      Bis jetzt ist der Urlaub voll daneben.

      Von der Nachbarterrasse höre ich Pädder Lotze mit seinem Handy schimpfen. Ich bekomme nur Wortfetzen wie „Tuppes“, „Döskopp“ und sogar „Heiopeis“ mit. Scheint sich wohl um was Ernstes zu handeln.

      Irgendwann überfällt auch mich eine bleierne Müdigkeit. Ich falle in einen unruhigen Schlaf und träume von einer gewaltigen Minibar voller Singha-Bier, zu der ich aber den Schlüssel verloren habe, weil alle Taschen meiner Tausend-Taschen-Hose riesige Löcher haben, durch die ich in einen dunklen, schwarzen Abgrund sehen kann, aus dem mich eine eklige Schlange anzischt und „Well done“ sagt. Und ich habe total vergessen, im Sauerland anzurufen.

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