Alle Zeitfenster auf Kippe. Fritz EckengaЧитать онлайн книгу.
von Westfalia 1921 am häufigsten gestellt wird. Am zweithäufigsten wird gefragt, ob jemand »noch ein Pils« will, am dritthäufigsten, ob »zuhause alles gesund« ist.
Keine der Fragen ist an jemanden direkt gerichtet. Sie werden in den ganz tiefen Raum gestellt, weil da immer was frei ist. Niemand aus der Mannschaft erwartet eine schnelle, keiner eine überraschende Antwort. Man kennt sich, die Fragen und die Antworten schließlich schon sehr lange. Seit über 25 Jahren spielt man in der »Alten Herren«. Einige waren davor schon zusammen in der 1. Mannschaft von Westfalia. Die »Erste«, so wird manchmal behauptet, sei in jener Zeit »sehr erfolgreich, Abstieg nie ein Thema« gewesen. Die Wahrheit ist, dass ein Abstieg gar nicht möglich war. Tiefer als Kreisklasse C geht ja nicht.
Irgendwann tauchen aus der Tiefe des Raumes dann die Antworten auf. Sie lauten »damals«, »ja sicher« und »jou«.
Hochleistungsexperten links wie rechts
Es ist ein großes Glück, dass es in diesem Land so ausgezeichnete Experten gibt. Hätten wir nicht diese blitzgescheiten Sachverständigen, die uns Mittelschlichten immer die wahnsinnig komplizierten Sachen erklären, rumpelten die meisten von uns ziemlich dösig durchs Dasein. Es ist unmöglich, lediglich mit Hilfe des gewöhnlichen Menschenverstandes eine schlüssige Antwort auf die Frage zu bekommen, warum die Glühbirne verboten werden musste, aber Guido Westerwelle Außenminister sein darf.
Ein schlaffes Kreisklassengehirn ist eben nicht in der Lage, Hochleistungsdenksport zu treiben. Das volle Potential auch unter extremer Belastung abzurufen, ist nur in Ausnahmeköpfen möglich. Der speziell trainierte Cerebrumklumpen des Experten dringt in diese ganz tiefen Räume vor. Spitzenintelligenz denkt auch noch da, wo es richtig weh tut. Sie kann die Qual in Lust verwandeln, den Gedanken loslassen und zum Beispiel nachweisen, dass ein Truppenabzug aus Afghanistan notwendig mit der Entsendung zusätzlicher Soldaten beginnen muss.
In Zeiten des ungebremsten Katastrophenwachstums steigt der Bedarf an Fachleuten. Terrorismus, Kernschmelze, zwei Zentimeter Neuschneekatastrophe – für jedes Problem muss es einen geben, der alles darüber weiß und der alles erklären kann. Und tatsächlich: Es ist nur einer! Die breite Bevölkerung sitzt auf dem Tribünensofa und staunt: Moment mal, der Sprengstoff-Experte in dieser Terror-Talkshow, hat der nicht gestern noch erklärt, warum in Grönland die Eisbären abtauen? Und ist das nicht derselbe Typ, der letzte Woche noch für japanische Brennstäbe zuständig war? Bei irgendeiner Annewill oder irgendeinem Frankplasberg sitzt der doch immer auf dem Schoß rum, dieser, na sag’ mal schnell, dieser Peter Scholl-Latour oder Hans-Olaf Henkel oder wie dieser Experte heißt.
Sportsfreunde kennen das vom Fußball. Da gibt es auch nur einen Experten, der über alles Bescheid weiß. Heute dies und morgen das. Das Franz. Der Kaiser.
Franz Beckenbauer ist der Peter Scholl-Latour des Deutschen Fußballs. Ja, es gibt zusätzlich auch noch Mehmet Scholl. Aber den gibt es nur, weil es zusätzlich zu Peter Scholl-Latour auch noch Hans-Olaf Henkel gibt. Im Grunde genommen sind das die vier deutschen Experten für alles. Die kann man nach dem Rotationsprinzip bedenkenlos durchwechseln. Wenn Scholl-Latour also demnächst Länderspiele-, und Franz Beckenbauer Selbstmordattentate in Bagdad analysiert, sollte sich niemand weitergehende Gedanken machen. Beide sind Hochleistungsexperten. Sie können selbstverständlich beides. Und zwar links wie rechts.
Im Herbstnebel
Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen war, aber bei mir kam in den nebligen Tagen mal wieder so Einiges zusammen. Reformationstag, Allerheiligen, Halloween. Haben sich bei Ihnen die Gespenster verzogen? Oder spukt es noch? Im rechten Glauben ausgebildeten Katholiken wird ja um diesen Dreh rum immer die ewige Welt der Heiligen sichtbar. Hat bei mir noch nie geklappt, aber ich komme ja auch aus einfachen Verhältnissen. Wir hatten ja nichts. Nur den kleinen Katechismus und den auch nur vorübergehend.
Als ich am Halloween-Wochenende dem ersten Gespenst die Tür geöffnet hatte, dachte ich dann aber mal ganz kurz, diesmal hätte es geklappt. Ach du Schreck. Was war das denn? Komisches Gespenst. Der Sohn vom Nachbarn? Oder hatte Schäuble jetzt auch so einen spitzen Hut? Süßes oder Saures! Schokoriegel oder Steuererklärung? Ich entschied mich für Schokoriegel und wünschte auch weiterhin einen erfolgreichen Abend. Dann ging ich in mich rein und interviewte den Schweinehund: Ist Alkohol eine Lösung? Soll ich Schnaps trinken oder besser wieder ins Bett gehen? Ist es eigentlich noch dunkel oder schon? Zeitumstellung. Verflucht, auch das noch. Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen war, aber bei mir ging das so in einer Tour.
Und dann denkt man immer, man hätte einen Vorsprung durch Erfahrung. Weil man ja alles schon mindestens einmal erlebt hat. Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir ist es so: Wenn es im November so neblig wird, so schummrig, so mit ganz schwachen Kontrasten, dann frage ich mich oft: Hey, wo hast du denn jetzt wieder diese Altersweisheit liegenlassen? Und dann suche ich und suche ich – und irgendwann merke ich dann, dass ich doch nur wieder die Begriffe verwechselt habe. Es heißt natürlich nicht Altersweisheit, es heißt Altersweitsichtigkeit. Mit anderen Worten: Ich bin nicht auf der Suche nach der verlorenen Vernunft. Was mir fehlt, ist die Lesebrille.
Man kann natürlich auch Radio hören. Bei mir ist es aber so: Wenn ich zu lange ohne Lesebrille Radio höre, dann konzentriere ich mich so stark aufs Sehen, dass mir das Hören auch noch vergeht. Ja sicher, das kann manchmal auch ein Segen sein. Es gibt ja diese Nachrichtentage, da wäre man sehr froh, wenn einen das Schicksal in frühester Kindheit in einen großen Topf mit Ohropax geworfen hätte. Zum Beispiel, wenn sie Brüderle schon morgens um sieben Uhr im Originalton senden. Dann will ich verstehen, was gesagt wird. Brüderle aber war schon vor den frühen Vögeln auf, hat mindestens ein Weinfest eröffnet und spricht auch so. Anders bei Merkel. »Wir sind auf einem guten Weg.« Ich verstehe jedes Wort, aber ich stelle mir das Gesicht dazu vor und weiß: Sie lügt, sie lügt.
Ich weiß ja nicht, wie es bei Ihnen ist, aber bei mir spukt es immer noch. Vorhin hat es wieder an der Tür geklopft. Ein Mann in einer gelben Uniform hat mir ein Paket gebracht. Ich bin verunsichert. In den Nachrichten war in den letzten Tagen des öfteren von Paketen die Rede. Immer in einem unguten Zusammenhang. Terrorismus und so. Das war vor einiger Zeit noch ganz anders. Da wurden dauernd Rettungspakete verschickt. Bei mir ist aber nie eins angekommen. Bei Ihnen?
Weihnachtlicher Beitrag zur Integrationsdebatte
Huch! Nanu! Du dickes Ei!
Ramadan ist grad vorbei.
Jetzt kommt schon bald der Weihnachtsmann
und ich hab’ noch mein Kopftuch an.
Viermal reimen wir noch was …
Wenn Ostwind bläst, wenn Lippe reißt,
wenn Zahn in kalte Kippe beißt,
wenn Spatz aus Wehen Streugut pickt,
dann ist der erste Vers geglückt.
Wenn Polenlaster Mastgans bringt,
wenn’s in den Fenstern puffrot blinkt,
wenn’s in den Klingelbeuteln kracht,
dann ist der zweite Vers vollbracht.
Wenn Mutti Mandelplätzchen backt,
wenn Fiffi an den Schneemann kackt,
wenn Vatis Schlips nach Glühwein schmeckt,
dann ist auch Strophe drei perfekt.
Doch wenn der vierte Vers beginnt,
bekommt der Ratz in Rom ein Kind
und kaum ertönt des Papas Schrei,
da ist der Scheiß auch schon vorbei.
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