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In seinem mörderischen Element. GerwaltЧитать онлайн книгу.

In seinem mörderischen Element - Gerwalt


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er sie nicht etwa direkt angesprochen, zumindest nicht über den Kauf der Landkarte hinausgehend. Aber er hatte nach und nach alles über sie in Erfahrung gebracht, was in seiner Macht lag herauszufinden: Wo Susanne wohnte, wie sie lebte, was sie in ihrer Freizeit unternahm. Was ihre Vorlieben und Abneigungen waren, beispielsweise dass sie regelmäßig Sport trieb; sie war Mountainbikerin, wenn auch keine herausragende. Natürlich interessierte sie sich für Heimatkunde, bei ihrer Arbeitsstelle war das schließlich kein Wunder, und sie war Mitglied in einer regionalen Trachtengruppe; er hatte dann tatsächlich einmal eine diesbezügliche Veranstaltung besucht, um sie in der vollen Tracht zu sehen.

      Der nächste Schritt im Zyklus, der konkrete Teil der Annäherung an die Schönheit nach einer weiteren, eingehenden Prüfung und positiver Entscheidung, ist naturgemäß eine große und aufregende Steigerung.

      Er lässt sich hier so viel Zeit, als ihm nur immer möglich ist, ohne das Gesamtwerk zu gefährden. Er kostet dann alles aus, auch und gerade das Körperliche, das Intime, die sexuelle Lust.

      Wenn es dann irgendwann soweit ist, gibt es früher oder später das unweigerliche Finale, den AUGENBLICK. Hier bietet er alles auf, was in seiner Macht steht, sein ganzes kompositorisches Können, sein Wissen, seine Ortskenntnis, sein Stilempfinden.

      So wie jetzt gerade. Er hat seinen Feldstuhl am Rande der Gertelsbacher Wasserfälle aufgestellt. Es ist Nacht, es ist Winter, und der Weg zu dem etwas abseits liegenden Naturdenkmal ist vereist und gefährlich. Mit einer Störung ist also nicht zu rechnen. Die Wasserfälle sind eine längere Strecke von riesigen, übereinander getürmten Felsblöcken, über die ein Wasserlauf, nicht größer als ein Bach, zu Tal fließt. An mehreren Stellen stürzt das Wasser in Kaskaden einige Meter hinab und sammelt sich in kleineren Felsbecken, den so genannten Gumpen.

      Er hat eine Kaskade ausgewählt, die nicht direkt in das Becken stürzt, sondern zuerst gegen eine Steinplatte prasselt. Bis auf die Stelle, wo das Wasser direkt auftrifft, ist der Fels mit einer Eisschicht überzogen, welche im Schein der beiden Fackeln funkelt und glitzert.

      Mitten im eiskalten Wasserstrahl steht Susanne und stirbt gerade. Ihre Arme sind waagrecht ausgebreitet, an eine Stange gefesselt, welche auf ihren Schultern liegt und deren Enden er vorhin an den Felswänden fest gedübelt hat. Damit Susannes nackter Körper die gewünschte Kreuzform beibehält, hat er ihr die Fußknöchel und Knie eng zusammengeschnürt. Er sieht die gefesselte Frau aufmerksam an. Ihre Haut wirkt inmitten des herunterströmenden Wassers sehr hell. Das nasse Haar hängt bis zu den Ansätzen ihrer Brüste herunter. Letztere sind halbrund, nicht sehr groß und haben auffallend dunkle Warzen. Susanne ist zwar schlank, doch kräftig genug, dem harten Leben im Schwarzwald Genüge tun zu können, ihre Familie lebt schließlich schon seit Generationen dort. Ihr Becken ist breit, das gekräuselte Vlies an ihrem Schritt schimmert dunkel im herunter rinnenden Wasser. Sie hätte heiraten können, Kinder gebären, ein erfülltes Leben führen, doch jetzt stirbt sie.

      Anfänglich hat sich Susanne trotz der eingeschränkten Bewegungsfreiheit gewunden, dann immerhin noch sichtbar gezittert, aber jetzt steht sie ganz still. Die Kälte verrichtet ihren barmherzigen Dienst. Der Strick, welcher Susannes Knöchel umschlingt, ist bereits mit einer dünnen Eisschicht bedeckt, die sich fast unmerklich auch über ihre Schienbeine auszubreiten scheint.

      Wieder seufzt der Mann.

      Der ultimative Moment der Schönheit ist jener, in dem sie unwiederbringlich zerstört wird.

      *****

      NAOMI GERBER stand vor dem Spiegel und betrachtete sich kritisch. Sie war Anfang dreißig, arbeitete als Journalistin für eine Stuttgarter Tageszeitung, und vor etwa einem halben Jahr hatte sie die Kleidergröße 42 wohl endgültig hinter sich gelassen. Seither schaute sie öfters in den Spiegel, wie sie sagte, um Schlimmeres zu verhindern.

      Naomi seufzte, dann griff sie mit den Handflächen unter ihre Brüste und hob sie prüfend etwas an. Sie drehte sich ein paar Grad zur Seite, betrachtete kritisch das Spiegelbild ihres Halbprofils und lächelte probehalber.

      Es geht so, dachte sie. Wirklich zufrieden war sie nicht mit dem, was sie sah.

      Ihre Schenkel waren eine Spur oder inzwischen leider auch schon mehr als eine Spur zu voll. Ihr Bauch wölbte sich wahrnehmbar, was man möglicherweise gerade noch als sinnliche Kurve deklarieren konnte, und ihr Hintern … nun ja. Der war zwar straff, aber durchaus als prall zu bezeichnen. Doch gelobt sei der Schöpfer: Über der problematischen Kurve ihres Bauches rundeten sich zwei gut proportionierte Brüste in D-Größe, die ganz offensichtlich von der Problemzone unter ihnen abzulenken wussten.

      Naomi nahm die Haarbürste in die Hand und kämmte sich, immer noch vor dem großen Spiegel stehend.

      Mein Gott, warum mache ich mir eigentlich Gedanken um mein Aussehen?, dachte sie frustriert. Für die Männer, die gerade im Angebot sind, lohnt es sich nicht wirklich, Verrenkungen zu machen.

      So beendete sie also ihre morgendliche Musterung und zog sich an, ein weites Top, welches von ihren Brüsten so weit nach vorne ausgebeult wurde, dass man den Bauch nicht sehen konnte, und enge Jeans. Nach Naomis Beobachtung war das die für sie vorteilhafteste Kombination, von einem eng anliegenden Kleid vielleicht abgesehen, aber das würde sie niemals anziehen, wenn sie in die Redaktion ging. Und die praktischen Treckinghosen mit den vielen Taschen trug sie nur in der Freizeit.

      Naomis nicht sehr gemütliche Wohnung lag in Wangen, einem östlichen Stadtteil von Stuttgart, die Redaktion hingegen leider in Stuttgart-West, also auf der entgegengesetzten Seite der Stadt. So machte sie sich seufzend auf, das allmorgendliche Verkehrschaos zu meistern. Ihr alter Ford Ka war schon längst jenseits von Gut und Böse, sie selbst hatte im dichten Verkehr also nicht allzu viel zu verlieren, aber sie wunderte sich täglich, mit welcher verbissenen und unerschrockenen Sturheit der Auto fahrende Schwabe es sich nicht nehmen ließ, mit der aufpolierten E-Klasse auf seinem zumindest gefühlten Recht nach Vorfahrt zu beharren …

      Sie benötigte heute fast eine Stunde, bis sie die Stadt durchquert hatte, wegen einiger Baustellen dauerte die Fahrt noch länger als gewöhnlich, und ihre Laune war auf dem Nullpunkt, als sie die Redaktion schließlich erreichte.

      Ich sollte endlich eine richtig böse Kolumne über den schwäbischen Autofahrer mit Hut schreiben, dachte sie gallig, aber sie wusste, dass die Zeitung so etwas niemals abdrucken würde …

      Wie jeden Tag ging sie durch den Flur in das Gemeinschaftsbüro und setzte sich an ihren Schreibtisch, ein ziemlich altes Modell, noch aus Blech. Sie schaltete den Computer ein und breitete, während er sich aufbaute, die Post auf der Tischplatte aus, um sie nach Dringlichkeit zu ordnen. Dann, mit einem Mal, hielt sie ein und hob den Blick.

      Jesus, dachte sie, habe ich das hier wirklich gewollt?

      Gerd Wolter von der Sportredaktion saß ihr schräg gegenüber und nickte ihr zu. Gerd war ein Fossil, er hatte allerhöchstens noch fünf Jahre, bevor er in den Ruhestand gehen würde. An seinem dicken Fell prallte alles ab, was sich in der Redaktion täglich entlud.

      Michael Hammerbacher, der das Wirtschaftsressort betreute, war ebenfalls bereits da, sah aber – farblos wie immer – konzentriert auf seinen Schirm und schien seine Umgebung nicht wahrzunehmen. Naomi hatte in den ganzen drei Jahren, in denen sie schon bei der Zeitung arbeitete, kaum mehr als ein paar Sätze mit ihm gesprochen.

      Karl Marquard vom Politikressort war krank gemeldet, eine Magen- und Darmgeschichte. Vielleicht war Michael auch so wortkarg, weil er Karl nun vertreten musste.

      Timo Hesselbach, der »Star-Reporter«, wie ihn Naomi insgeheim nannte, glänzte ebenfalls durch Abwesenheit. Timo war schon der Kronprinz gewesen, als Naomi ihre Stelle angetreten hatte, und im Lauf der Jahre hatte er diese Stellung noch weiter ausgebaut. Etwas jünger als sie, war Timo immer in lässigem Chic gekleidet, und er entsprach dem Bild des eifrigen, tüchtigen Enthüllungsjournalisten so sehr, dass Naomi sich wunderte, wie der zynische, erfahrene Chefredakteur Gunnar Kempf ihm diese Rolle so offensichtlich kritiklos abnehmen konnte. Timo würde erst kurz vor Beginn der Redaktionskonferenz erscheinen, wieder ganz offensichtlich gefesselt von irgendwelchen


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