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Die Tugend des Egoismus. Ayn RandЧитать онлайн книгу.

Die Tugend des Egoismus - Ayn Rand


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hinauskommt, wird gegenüber einem jungen Mann, der immense Anstrengungen auf sich nimmt und sein persönliches Ziel erreicht, als moralisch überlegen angesehen. Ein Diktator wird als moralisch angesehen, da die unaussprechlichen Gräueltaten, die er begeht, nicht ihm selbst zugutekommen sollten, sondern „dem Volk“.

      Beachten Sie, was dieses moralische Nutznießer-Kriterium einem Menschen antut. Als Erstes lernt er, dass Moral sein Feind ist und er durch sie nichts zu gewinnen hat. Er kann nur verlieren. Selbstverursachter Verlust, selbstverursachter Schmerz und das graue, lähmende Leichentuch einer unbegreiflichen Pflicht sind alles, was er erwarten kann. Er mag hoffen, dass andere sich selbst gelegentlich zu seinen Gunsten opfern, so wie er sich zähneknirschend für sie opfert. Doch er weiß, dass diese Beziehung gegenseitige Verachtung und nicht Freude bringen wird und dass ihr Streben nach Werten moralisch gesehen einem Austausch von ungewollten Weihnachtsgeschenken gleicht, die keiner von beiden sich selber kaufen darf. Nur wenn er eine selbstopfernde Tat begeht, hat er eine moralische Bedeutung; ansonsten hat die Moral ihm als Richtlinie für die wichtigen Bereiche seines Lebens nichts zu sagen; es ist ja nur sein eigenes, persönliches, privates, „egoistisches“ Leben und als solches wird es als böse oder bestenfalls als amoralisch angesehen.

      Da die Natur dem Menschen das Überleben nicht automatisch schenkt, da der Mensch sein Leben durch eigene Anstrengung erhalten muss, bedeutet diese Lehre, dass die Beschäftigung mit den eigenen Interessen böse ist, dass der Wunsch zu Leben böse ist – dass das Leben an sich böse ist. Keine Lehre kann noch bösartiger sein.

      Und doch ist genau dies die Bedeutung des Altruismus, die in solchen Beispielen wie der Gleichsetzung eines Industriellen mit einem Räuber implizit ist. Es gibt einen fundamentalen moralischen Unterschied zwischen einem Mann, der sein Interesse in Produktivität sieht, und einem, der es in Raub sieht. Das Böse eines Räubers liegt nicht in der Tatsache, dass er seine Interessen verfolgt, sondern darin, was er für sein Interesse hält; nicht in der Tatsache, dass er nach seinen Werten strebt, sondern welchen Wert er wählt; nicht in der Tatsache, dass er leben will, sondern in der Tatsache, dass er auf einer unmenschlichen Stufe leben will (siehe 1. „Die objektivistische Ethik).

      Falls es stimmt, dass ich mit „Egoismus“ nicht das meine, was üblicherweise damit gemeint ist, dann ist dies eine der schlimmsten Anklagen gegen den Altruismus: Nämlich dass der Altruismus den Begriff eines selbstbewussten, eigenverantwortlichen Menschen nicht zulässt – eines Menschen, der sein Leben durch seine eigene Anstrengung unterhält und weder sich noch andere opfert. Das Menschenbild des Altruismus kennt nur Opfertiere und deren Profiteure, nur Opfer und Schmarotzer – er lässt die Idee einer wohlwollenden Koexistenz der Menschen nicht zu, und er lässt die Idee von Gerechtigkeit nicht zu.

      Falls Sie sich fragen, welche Gründe hinter der hässlichen Mischung aus Zynismus und Schuld stecken, in der die meisten Menschen ihr Leben verbringen, so sind dies die Gründe: Zynismus, weil sie die altruistische Moral weder praktizieren noch akzeptieren – Schuld, weil sie es nicht wagen, sie abzulehnen.

      Um gegen ein so vernichtendes Übel anzukämpfen, muss man gegen seine Grundprämisse ankämpfen. Um sowohl den Menschen als auch die Moral zu retten, muss man zuerst den Begriff „Egoismus“ retten.

      Der erste Schritt besteht darin, das Recht des Menschen auf eine moralische Existenz durchzusetzen – und das bedeutet: Anzuerkennen, dass er zur Anleitung und Erfüllung seines Lebens einen Moralkodex braucht.

      Einen kurzen Umriss über das Wesen und die Stichhaltigkeit einer rationalen Moral finden Sie in meinem folgenden Vortrag „Die objektivistische Ethik“. Die Gründe, warum der Mensch einen Moralkodex braucht, werden Ihnen sagen, dass der Zweck der Moral darin besteht, die genauen Werte und Interessen des Menschen zu definieren, dass Beschäftigung mit den eigenen Interessen der Kern einer moralischen Existenz ist und dass der Mensch der Nutznießer seiner eigenen moralischen Handlungen sein muss.

      Da alle Werte des Menschen durch seine eigenen Handlungen erlangt und/oder bewahrt werden müssen, wird es zwangsläufig zu einer Ungerechtigkeit führen, wenn der Handelnde nicht auch der Nutznießer ist: Einige Menschen werden anderen geopfert, nämlich die Handelnden den Nicht-Handelnden, die Moralischen den Unmoralischen. Dies ist durch nichts zu rechtfertigen und niemand hat es je gerechtfertigt.

      Die Wahl des Nutznießers moralischer Werte ist lediglich ein vorgreifendes oder einleitendes Thema im Bereich der Moral. Sie ist weder Ersatz für Moral noch ein Wertkriterium, wie es im Altruismus der Fall ist. Auch ist die Wahl des Nutznießers kein moralischer Grundsatz: Sie muss von den fundamentalen Prämissen eines Moralsystems abgeleitet und durch sie belegt werden.

      Die objektivistische Ethik besagt, dass der Handelnde immer der Nutznießer seiner Handlung sein muss und dass der Mensch nach seinem rationalen Eigeninteresse handeln muss. Sein Recht darauf wird aber aus seiner menschlichen Natur und aus der Funktion moralischer Werte im menschlichen Leben abgeleitet und ist deswegen nur im Zusammenhang eines rationalen, objektiv bewiesenen und gültigen Kodexes moralischer Prinzipien anwendbar, welche sein wirkliches Eigeninteresse definieren und bestimmen. Es ist keine Lizenz „zu tun, was einem beliebt“ und ist weder anwendbar auf das altruistische Bild eines „egoistischen“ Untiers noch auf einen Menschen, der von irrationalen Gefühlen, Trieben, Wünschen oder Launen motiviert wird.

      Dies nur als Warnung an jene „Nietzscheanischen Egoisten“, die in Wirklichkeit ein Produkt der altruistischen Moral sind und die andere Seite der altruistischen Medaille darstellen: Sie glauben, dass jede Handlung gut ist, wenn sie für das eigene Wohl bestimmt ist. So wie die Befriedigung der irrationalen Wünsche anderer kein Kriterium für moralischen Wert ist, so ist es auch die Befriedigung der eigenen irrationalen Wünsche nicht. Moral ist kein Wettbewerb von Launen. (siehe Nathaniel Brandens Artikel „Falscher Individualismus“ (Kapitel 18) und „Ist nicht jeder egoistisch?“ (Kapitel 5)).

      Einen ähnlichen Fehler begeht der Mensch, der erklärt: „Da der Mensch von seinem eigenen unabhängigen Urteilsvermögen geleitet werden muss, ist jede Handlung, zu der ich mich entscheide, moralisch, wenn ich mich dazu entscheide“. Das eigene unabhängige Urteilsvermögen ist das Mittel, mit dem man seine Handlungen wählen muss, doch es ist weder ein moralisches Kriterium noch ein moralischer Beweis: Nur Bezugnahme auf ein beweisbares Prinzip kann die eigenen Entscheidungen validieren.

      So wie der Mensch nicht durch willkürliche Entscheidungen überleben kann, sondern er die Prinzipien, die sein Überleben möglich machen, entdecken und praktizieren muss, so kann das Eigeninteresse des Menschen nicht von blinden Trieben oder wahllosen Launen bestimmt werden; es muss durch rationale Prinzipien entdeckt und erlangt werden. Darum ist die objektivistische Ethik die Moral des rationalen Eigennutzes – bzw. des rationalen Egoismus.

      Da Egoismus „Beschäftigung mit den eigenen Interessen“ ist, benutzt die objektivistische Ethik diesen Begriff in seinem exakten und reinsten Sinn. Diesen Begriff darf man weder zugunsten von Menschenfeinden, noch zugunsten der gedankenlosen Missverständnisse, Verzerrungen, Vorurteile und Ängste von Ignoranten und Irrationalen aufgeben. Der Angriff auf „Egoismus“ ist ein Angriff auf die Selbstachtung des Menschen; eins aufzugeben heißt, das andere aufzugeben.

      Nun ein Wort über das Material in diesem Buch. Mit der Ausnahme des Vortrags über Ethik besteht es aus Aufsätzen, die im „Objektivistischen Rundbrief“, einer von Nathaniel Branden und mir selbst verfassten und herausgegebenen Zeitschrift, erschienen sind. Der „Rundbrief“ beschäftigt sich mit der Anwendung der objektivistischen Philosophie auf aktuelle Themen und Probleme der heutigen Kultur – genauer gesagt mit jener intellektuellen Stufe, die zwischen philosophischer Abstraktion und dem Journalistisch-Gegenständlichen des Alltags liegt. Der Zweck des „Rundbriefes“ besteht darin, seine Leser mit einem stimmigen philosophischen Bezugsrahmen zu versorgen.

      Diese Sammlung ist keine systematische Abhandlung über Ethik, sondern eine Reihe von Aufsätzen über jene Themen der Ethik, die Klarstellung benötigten oder welche durch den Einfluss des Altruismus am meisten pervertiert wurden. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass die Titel einiger Aufsätze in Form einer Frage gestellt sind. Diese kommen aus unserer


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