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Zuhause wartet schon dein Henker. Franziska SteinhauerЧитать онлайн книгу.

Zuhause wartet schon dein Henker - Franziska Steinhauer


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      »Er wollte uns die Überraschung nicht verderben? Was ist das denn für ein Witzbold?« Lundquist ärgerte sich. Es handelte sich offenbar um Mord – und ein solches Delikt war seiner Meinung nach nicht quizshowtauglich. »Wie weit ist es denn noch?«

      »Das Navi meint, wir seien noch auf dem richtigen Weg, gerade an Ucklum vorbei, und würden in 20 Minuten unser Ziel erreichen.« Lars schüttelte den Kopf. »Aber bei dem Tempo wird es gleich die Dauer der Fahrt neu berechnen.«

      Lundquist lehnte den Kopf an die Nackenstütze. Dachte über die naheliegende Frage nach, aus welchem Grund jemand einen Pfarrer ermorden sollte. Löste man in Pfarrersfamilien Konflikte nicht eher gewaltfrei?

      Lars schien die Gedankengänge seines Freundes zu erahnen. »Tja, richtig Pech. Der göttliche Beistand bei der Sache lag wohl beim Angreifer.«

      »In Deutschland gab es vor Jahren einen Mordfall. Opfer war die Frau eines Pfarrers. Und tatsächlich wurde der Ehemann als Täter verhaftet und später verurteilt. Er hatte eine Geliebte – trote des Berufs sind sie Menschen wie jeder andere auch. Und nur weil man Pfarrer ist, muss man nicht automatisch ein guter Mensch sein, fürchte ich. Ein Klischee. Manchmal nützlich – manchmal lästig.« Lundquist erinnerte sich ungern an die Zeit, in der seine Mutter versucht hatte, der Enkelin einzureden, alle Stiefmütter seien garstig wie im Märchen. Magda, seine zweite Frau, hatte lange beweisen müssen, dass sie nicht in dieses Bild passte.

      »Mord an einem Pfarrer!«, murmelte er und schüttelte den Kopf.

      Eine halbe Stunde später standen die beiden Ermittler aus Göteborg im Garten der Familie Mommsen und starrten auf das, was der Kollege vor Ort nicht hatte in Worte fassen wollen oder können.

      Pfarrer Arne Mommsen war gekreuzigt worden.

      Seinen Körper hatte man kopfunter auf ein schweres, stabiles Holzkreuz geschnürt.

      Die Konstruktion lag auf dem Boden – vielleicht war sie zu schwer gewesen, um aufgerichtet werden zu können. Über Kreuz und Anwesen entlud sich ein heftiges Unwetter, das den Nachmittag schwarz verfärbte. Blitze zuckten über den Himmel, Donner ließ den Boden beben.

      Lundquist schüttelte sich. »Verräter werden kopfunter gekreuzigt.«

      Inzwischen war er vollständig durchnässt, das Wasser lief am Nacken entlang den Rücken hinunter, sammelte sich am Hosenbund, stand in seinen Schuhen. Knyst versuchte die Ärmel der Jacke weiter über die Hände zu ziehen. Offensichtlich fror er ebenfalls.

      »Ja«, antwortete er. »Ist, als wolle man uns mit der Nase darauf stoßen.«

      »Familie?«, erkundigte sich Lundquist bei dem Kollegen, der sie gerufen hatte.

      »Ja. Seine Frau steht schon die ganze Zeit da oben am Fenster und stiert bewegungslos auf ihn runter. Bestimmt war das ein furchtbarer Schock für sie. Da kriegt man direkt Gänsehaut. Huh!« Der junge Mann strich sich kräftig über die Oberarme, als könne er das Grauen damit vertreiben, deutete mit dem Kopf in Richtung Haus. »Sie haben drei Kinder: Olaf, Esther und Astrid.«

      »Sind alle zuhause?«

      »Nein. Olaf hat noch geschlafen, als ich hier ankam. Esther ist auf dem Heimweg vom Training und Astrid nicht erreichbar. Wir haben versucht, beide anzurufen, doch es gab offensichtlich keine Verbindung. Vielleicht liegt das am Gewitter.«

      »Wissen wir, wie er den Nachmittag verbracht hat?«, wollte Knyst wissen und hoffte, Pfarrer Mommsen habe den Nachmittag genutzt, um in seinem Arbeitszimmer an der nächsten Predigt zu arbeiten.

      »Ja, tatsächlich können wir das ziemlich genau rekonstruieren. Gerade heute war seine – wie er das nannte – große Tour. Man kann sich in der Kirche in eine Liste eintragen, wenn sein Besuch gewünscht wird. Er ist dann bei allen vorbeigefahren, die seinen Rat nötig hatten. Manch einer möchte nicht in der Öffentlichkeit über Probleme sprechen, nicht wahr? Auge in Auge im persönlichen Gespräch im eigenen Wohnzimmer fällt es vielen leichter, sich zu öffnen«, wusste Björn Halmstad, der Kollege der lokalen Polizeistation.

      »Es existiert also eine Liste? Mit Uhrzeiten?«

      »Ja. Eine Liste mit Namen schon, Uhrzeiten sind leider nicht vermerkt. Er hatte sie bei sich. Wir versuchen gerade, sie zu trocknen.«

      »Auf das Kreuz gebunden, hm – das erfolgte doch wahrscheinlich nach seinem Tod?« Lundquist begann von einem Fuß auf den anderen zu treten.

      »Arne Mommsen war nicht der Typ, der sich einfach so auf ein Holzkreuz zurren lässt! Da hätte es schon einen Kerl wie deinen Kollegen gebraucht – riesig und stark wie ein Bär. Einem wie dir oder mir wäre das nie und nimmer möglich gewesen. Oder es hätten sich mehrere zusammentun müssen, dann hätten wir es hier mit einem gemeinschaftlich begangenen Mord zu tun.«

      Lars grinste. Unwillkürlich spannte er den Körper, erschien noch größer, als er ohnehin schon war. Stolz spürte er, wie seine Muskulatur ohne Verzögerung ansprach. Erfolg des jahrelangen Trainings.

      Björn sah auf den Toten hinunter und setzte hinzu: »Und das möchte ich mir eigentlich lieber nicht vorstellen! Er war der Seelsorger der Gemeinde! Der Rechtsmediziner wird sicher gleich hier sein. Wir haben ihn natürlich ebenfalls sofort verständigt, als wir …« Er seufzte. »Bei dem Wetter muss man ein bisschen Geduld haben.«

      »Jemand hatte eindeutig eine sehr hohe offene Rechnung mit ihm zu begleichen. Und der Himmel meint es auch nicht gut mit ihm. Ich denke, wir gehen hinein und sprechen mit der Witwe. Vielleicht ahnt sie ja, wer ihrem Mann so sehr den Tod gewünscht hat. Und – wir brauchen die Liste so schnell wie möglich!«

      Gerade als sie durch den dichten Regenvorhang zum Haus stapfen wollten, rollte der Wagen des Rechtsmediziners vor.

      Im oberen Stockwerk des Hauses schaltete jemand das Licht aus. Der schmale Schatten hinter der Scheibe war nur noch zu ahnen.

      Stand ganz still.

      Ohne jede Bewegung.

      Offensichtlich starrte die Frau noch immer auf den Leichnam hinunter.

      »Guten Abend! Mein Name ist Erik Hardberg. Wo ist der Tote?«, erkundigte sich eine jugendliche Stimme hinter ihnen.

      Lundquist wandte sich widerstrebend vom Fenster ab und deutete vage nach links.

      Der Pfarrer war nicht zu verfehlen.

      »Aha! Eine Art Kreuzigung!«, rief der forensische Pathologe erstaunt aus. »Toll! Ist mal was Neues, hatte ich tatsächlich noch nie!«

      Sven Lundquist trat neben ihn. »Ja, wir waren auch ziemlich verblüfft. Wir müssen unbedingt von dir wissen, ob er schon tot war, als er auf die Konstruktion gebunden wurde – und woran er gestorben ist …«

      »… und wann. Ich weiß!«

      Der junge, blasse Mann umfasste mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand sein blondes Ziegenbärtchen unterhalb der blauen Perle, die es wie einen Zopf zusammenhielt, und zog es glatt. Immer wieder. Fuhr sich durch die Fönfrisur, die zwischen Auto und Tatort bereits nass und formlos geworden war. »Gut. Fangen wir also an.« Mit geübten Bewegungen schob er eine Stirnlampe zurecht, schaltete sie ein. Gab dem Kollegen von der Polizei ein Zeichen, drückte ihm eine zusammengerollte Plane in die Hand und bedeutete ihnen, sie über dem Opfer auszuspannen.

      »So ist es schon besser!«, lobte er dann. »Hattet ihr keine dabei?«

      »Nein. Unsere ist letzte Woche bei einem Einsatz verloren gegangen und die neue wurde noch nicht geliefert«, antwortete Björn zerknirscht.

      »Nicht so schlimm. Er hat sicher schon lange im Regen gelegen, bevor er gefunden wurde, oder?«

      »Das wissen wir ja nicht. Sollst nicht du rausfinden, wann er gestorben ist?«, gab der Polizist patzig zurück.

      »Richtig. Mein Job.« Erik Hardberg kniete sich neben dem Kreuz in den Schlamm. Widmete sich zuerst den Fesseln an den Handgelenken. Betrachtete sie durch eine Lupe. Bewegte sie vorsichtig, hob sie an, lugte darunter, wobei er den Bereich mit der Stirnlampe


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