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Reisch un berümp!. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.

Reisch un berümp! - Reiner Hänsch


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egal. Eltern sind so. Die Gitarre muss also auf jeden Fall geheim bleiben.

      Und wenn Mama Sabine erfährt, was für ein gefährliches Leben ich in Wirklichkeit führe, dass ich tagtäglich gegen brutale Räubergangs mein trauriges Leben verteidigen muss, dann bricht sie mir hier auf den Stufen vor dem Haus zusammen. Das ist alles nichts für Mütter.

      Mein Vater würde nur fragen: „Wer war dat?“, „Prüjelei?“, „Haste jeheult?“, Wehr disch!“ und „Musste eben besser aufpassen!“ oder so was. Naja, so sind Väter eben. Manchmal ganz problemlos und manchmal … naja.

      Ich sage also eigentlich nichts.

      „Wo is’ denn dat Pflaster her?“, fragt Mama Sabine mit aufgerissenen Augen.

      „Ach, das … äh … hatte ich noch … und die … die Schramme hab’ ich mir … also … ich bin gestürzt, ausgerutscht … Hundehaufen, riesengroß … und zack … ist nicht weiter schlimm. Die Brille ist übrigens auch kaputt“, setze ich fröhlich hinzu - alles immer noch direkt vor der Haustür unseres kleinen, fast farblosen Hauses stehend, das Opa uns mal vererbt hat und endlich mal wieder gestrichen werden müsste.

      Es ist so ein kleines, enges Siedlungshäuschen mit Spitzdach, Vorgarten, Hecke und Waschbetonplatten vor der Tür. Klein und spitz wie ein Vogelhaus und wie Millionen andere. Gar nicht aber auch ein bisschen was Besonderes. Aber dafür habe ich ja den Namen.

      Man kommt rein und links geht sofort die enge Bergsteigertreppe nach oben in drei weitere Winzkammern mit schrägen Wänden. Eine davon ist mein Vogelnest. Und unten quetscht man sich durch den schmalen Flur vorbei an Vogelklo und Vogelküche zum Vogelwohnzimmer. Das ist der größte Raum im Haus, der aber durch eine wuchtige, fette Polstergarnitur mit Blumenmuster und eine mordsmäßig gewaltige, braune Eichenschrankwand verstellt wird. Der restliche noch freie Platz ist durch Blumenhocker, Beistelltischchen und eine Glasvitrine verbaut. Wie wir es geschafft haben, in dieses Gedränge jetzt auch noch ein Klavier zu stellen, ist mir eigentlich immer noch ein Rätsel. Aber es steht da und wartet darauf, dass ich spiele.

      „Na, komm erstmal rein, Junge“, sagt Mama Sabine dann endlich. Danke.

      Also gehe ich durch die seit Ewigkeiten quietschende Haustür, die mein Vater einfach nicht ölt, ins Haus. Er müsste die schwere Tür dazu aushängen, Öl drauf und wieder einhängen. Das wäre alles. Aber Papa Dieter mag körperliche Arbeit nicht besonders und lässt die Tür lieber quietschen. Er ist leider zurzeit arbeitslos und jobbt nur gelegentlich mal bei ’Saftig und Grün’, so ’ner Gartenbaufirma, obwohl er eigentlich tschechischer Zeichner ist.

      Nein, war’n Witz, er ist technischer Zeichner! Aber zurzeit scheint einfach technisch nicht viel zu zeichnen zu sein.

      Und meine Mama Sabine hat einen Teilzeitjob als Kassiererin im Schnappes-Supermarkt, obwohl sie eigentlich Dekorateurin gelernt hat. Kassiererin ist auch nicht grad’ ’n Traumberuf. Den ganzen Tag „Wat kosten die Gürkschen?“ und „Kasse 12, Frau Heisterkamp!“ und so was zu hören.

      Aber was anderes ist eben zur Zeit nicht drin.

      „Wer war dat?“, fragt Papa Dieter. Er sitzt wie der Obergeier vom Vogelhaus am Tisch, hat wie immer den Niederrhein-Kurier vor der Nase und blickt nur einmal kurz auf.

      „Er is’ jefallen, der Arme“, antwortet ihm Mama Sabine und ihre Stimme bekommt einen Klang, als würde sie von einem Dreijährigen reden, der ganz böse Aua-Aua hat.

      „Oder waret ’ne Prüjelei?“ Dieter lässt nicht locker, als scheint er etwas zu ahnen und schielt noch mal ganz kurz an der Zeitung vorbei zu mir rüber.

      „Nee, nee, bin ausgerutscht! Hundekacke!“ Dabei kann ich ihn allerdings nicht direkt ansehen. Lügen liegt mir nicht so richtig.

      „Diese verschissenen Köter überall! Na, musste eben besser aufpassen“, sagt er, „auch mal nach unten kuck’n!“ und widmet sich wieder seiner Zeitung.

      Das scheint ihm wohl letztlich doch wichtiger zu sein als Schwerverletzte in seiner Familie.

      Mama Sabine funkelt ihn böse an, stöhnt und verdreht die Augen nach ganz oben, sagt aber nichts. Die beiden verstehen sich schon eine ganze Weile nicht mehr so richtig.

      Es gibt oft Streit. Eines meiner weiteren Probleme. Heute gibt es zwar keinen Streit, weil Mama Sabine sich schwer zusammennimmt, aber die Stimmung ist erst mal im Eimer und wir essen schweigend, bis ich dann so schnell wie’s geht nach oben verschwinde.

      Oben in meinem Zimmer lege ich erst mal Sodom Terror auf. Und zwar richtig laut.

      Dieter hat mir diese CD zwar vor längerer Zeit weggenommen, als er das fiese Cover gesehen hat, weil er natürlich den schlechten Einfluss dieser „verjammelten, brutalen, stinkenden und lärmenden Bande“ so weit wie möglich von mir fernhalten will, aber ich habe sie natürlich längst wieder.

      Ich meine … gut … auf dem Cover sieht man vier Typen, also Sodom Terror, wie sie mit Äxten und riesigen Vorschlaghämmern eine große, weiße Luxuslimousine zerdeppern und dabei offensichtlich auch noch einen Mordsspaß haben. Naja, ich sag mal, vielleicht ist diese Limousine ja Schrott, vielleicht schon ganz durchgerostet, was man von außen gar nicht so sieht, und sie tun dem Besitzer lediglich einen Gefallen damit, sie zu zerlegen. Vielleicht ist es auch ihre eigene Limousine, die sie nicht mehr mögen, weil sie günstig ein anderes Auto bekommen können, oder die Karre hat ihnen vielleicht sogar die Vorfahrt genommen. Es muss auf jeden Fall einen Grund geben, warum sie das machen. Ganz so üble Kerle sind Sodom Terror nicht.

      „Mach’ dat verdammte Jedröhne aus!“, brüllt Papa Dieter die Treppe rauf.

      „Warzen abmähen!“, schreit der Sänger nach unten und mit dieser Botschaft ist die Welt für mich erst mal wieder in Ordnung.

      Am nächsten Tag repariere ich nach der Schule mein Rad - heute morgen bin ich mit Papa Dieters Rad gefahren - bringe meine Brille zu Optiker Heimann und als ich den Laden verlasse - ohne Brille und leider etwas kurzsichtig - riecht es sehr verdächtig ganz in meiner Nähe. Ich schnüffle fast blind in der Luft herum und in die Richtung, aus der der Geruch zu kommen scheint. Eindeutig Schweiß.

      „Ronny?“, rufe ich in die Richtung, aus der der Geruch kommt.

      „Isch bin dat nisch!“, tönt es aus der Nische zwischen Optiker Heimanns und Walter Knoches Laden.

      So ein Blödmann!

      Ich knibble mit den Augen angestrengt dort hin. Etwas unscharf und schemenhaft sehe ich ihn: Ronny Rexona. Alleine. Das wäre meine Chance jetzt.

      „Ronny, du Stinktier, gib mir sofort meine Kohle wieder“, brülle ich ihn an und gehe mit großen Schritten auf den groben Kerl zu. Er scheint sogar so was wie Respekt zu haben und weicht langsam zurück.

      „Hau ab!“, sagt er und versucht mir auszuweichen. Als er merkt, dass das nicht funktioniert, weil ich mich ganz breit mache und ihm mit den Armen den Fluchtweg versperre, blickt er sich nach hinten zur Mauer um, stößt sich mit einem Fuß ab, und plötzlich schießt der massige Kerl wie eine Sprungfeder nach vorne und überrennt mich einfach. Und dann eiert er schnell über den Dorfplatz davon. An seinen Stinkfüßen glänzen neue goldene Sneakers.

      „Wat für ’ne Kohle?“, ruft er noch und lacht dreckig. „Hab mir wat Schönes jekauft dafür!“

      Leider kann ich ihn dann auch schon nicht mehr sehen, weil ich ja keine Brille mehr habe. Nur die Sneakers glänzen noch trübe in der Ferne.

      Mistkerl! Dann ist die Kohle wohl einfach weg.

      Wütend drehe ich mich zu Walter Knoche’s Laden um. Als ich gerade die Klinke drücken will, höre ich drinnen jemanden Gitarre spielen. Richtig gut.

      „Griaß di“, sagt Walter Knoche etwas erschrocken und legt die Gitarre zur Seite. „Hab’s noch amol probiert“, meint er verlegen und bietet mir einen knarzenden Stuhl an.

      „Sie sind ja echt gut, Herr Knoche.“„Ach, ja, lang nimmer g’spielt. Kannst ja auch amol spiel’n, wenn’st willst“,


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