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Rotzverdammi!. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.

Rotzverdammi! - Reiner Hänsch


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dicken Backen genommen, die im Übrigen aussieht wie seine Frau, sagt er.“

      „Aber er hat sie doch selbst ausgessucht.“

      „Ja, weiß ich doch. Wahrscheinlich, weil sie wie seine Frau aussieht, aber seiner Frau passt das jetzt wohl nicht und die macht ihm die Hölle heiß. Keine Ahnung. Hardy, du weißt doch, wie das in dieser beschissenen Branche läuft …“

      Ja, das weiß ich wirklich.

      „Hardy, wir haben bis Mitte nächster Woche Zeit, was völlig Neues aus dem Boden zu stampfen. Ka-tas-tro-phe!“

      „Ja, spinnt denn der Atzenberger? Die Kampagne ist einmalig. Maßgeschneidert für seinen … Scheißladen. Das muss er doch sehen!“

      Ich kann es nicht glauben. Dieser fette und viel zu reiche Wurstfabrikant weiß doch nicht, was gut ist. Wenn diese Typen mit ihren Millionen winken, dann müssen wir, die armen Reklamefritzen, springen und hechelnd nach den Scheinen schnappen. Oh, ist das erbärmlich.

      Ich hasse diesen Job. Aber die schönen Millionen dieses ignoranten Wurstheinis könnte die Agentur verdammt gut gebrauchen. In letzter Zeit sind doch ein paar Kunden, aus welchen Gründen auch immer, zur Konkurrenz übergelaufen. Vielleicht nur, um mal zu sehen, wie es da so ist. Aber sie sind nun mal weg. Da käme ein neuer dicker Fisch gerade richtig. Und für mich wäre es ein wichtiger Pluspunkt auf der Arno-Liste für die Agentur-Nachfolge.

      Wo ich doch am Dienstag schon diese Fernsehdiskussion versaut habe. Als Bernd mich nämlich anrief vor drei Tagen, um mir zu sagen, dass Mutter tot ist, da saß nicht Sauerland-Heinz-Norbert, sondern Große-Werbewelt-Hardy gerade in der Garderobe des TV-Senders N 8, um sich für seinen Auftritt in der Talkshow „Aufeinander – Los!“ schminken und herrichten zu lassen. Oder eben „zurechtmachen“, wie Mutter ja immer sagte, wenn es sonntags zu Omma ging. Und meistens ist der Gunge dann mit seinem weißen Sonntagshemd direkt in die nächste Schlammpfütze gefallen. Und dann gab’s Senge. Also Haue.

      Und da sagte Bernie dann die entscheidenden Worte Schlachanfall, Sirene, Blaulicht, Notarzt, Hirn ohne Blut und tot und so weiter und es war mit mir vorbei. Kaum, dass ich richtig verstanden hatte, was er da gesagt hatte, saß ich auch schon auf einem der roten Sessel in einer Runde von Blutsaugern, die mich heute alle fertig machen wollten. Aufeinander – Los!, eben. Das wollten sie immer. Einen fertig machen. Ist ja der Sinn der Sendung. Die Moderatorin nickte mir noch mal freundlich reserviert und überaus hinterhältig zu und dann starrten alle auf das Licht, das im selben Moment rot aufleuchtete. Die Spiele waren eröffnet.

      Und die Löwen fielen sofort über mich her. Die haben meine augenblickliche Schwäche sofort ausgenutzt. Ich versuchte irgendwie, die Diskussion, von der ich, ehrlich gesagt, gar nicht richtig mitbekam, um was sie sich eigentlich drehte, auch mal auf das Thema Schlaganfallfrüherkennung zu bringen, aber das schien keinen wirklich zu intessieren. Ich habe dann irgendwann aufgegeben. Mein Hirn war minutenlang ohne Blut. Tja, da war ich leider völlig von der Rolle und bin dann einfach nach Hause gegangen. Mitten in der Diskussion.

      Und jetzt also der Atzenberger. Kaum ist man mal einen Tag weg, dann so was! Naja, Sven kann ja nichts dafür.

      „Hardy“, sagt Sven eindringlich, „bist du noch da?“

      „Ja, ja.“

      „Also, pass auf, egal jetzt. Ich soll dir sagen, du musst sofort zurückkommen und anfangen zu arbeiten. Arno springt schon im Rechteck. Wir brauchen dich, Hardy Fetzer. Arno sagt, wenn Atzenberger abspringt, sind wir geliefert! Naja, wahrscheinlich übertreibt er etwas. ,Ohne seine Wurst kann die Agentur dichtmachen!‘, hat er heute durch den Gang gebrüllt.“ Sven atmet tief aus. „Also, du siehst, es ist ernst. Arno ist auf hundertachtzig! Will unbedingt mit dir reden.“

      Arno, mein Fast-Schwiegervater und unser aller großer Vorsitzender.

      „Ja, nun mal langsam, Sven. Weiß ich ja alles. Atzenberger mit seiner scheiß Wurst könnte uns alle am Ka..., am Leben halten. Kriegen wir schon hin“, versuche ich ihn und vor allem mich selbst zu beruhigen. „Jetzt muss ich hier erst mal fertig machen. Ich melde mich morgen. Ich geh jetzt zum ,Fell versaufen‘.“

      „Was?“

      „Naja, zum … äh … Kaffeetrinken, du weißt schon.“

      Ich höre nichts mehr in der Leitung.

      „Sven?“

      „Jaja, bin noch da. Okay.“ Er wirkt irgendwie nachdenklich.

      „Also, dann erst morgen früh, oder?“

      „Ja, sicher, Sven. Früher geht doch nicht. Was denkst du denn? Und außerdem, mein Auto … ach, erklär’ ich dir später alles. Ich komme, so schnell, wie’s geht.“

      „Hau rein!“, sagt er noch und dann drücke ich ihn weg.

      Morgen ist Samstag, aber das spielt natürlich überhaupt keine Rolle, wenn man in der Werbung arbeitet, müssen Sie wissen. Wochenende ist was für Verlierer, höre ich Michael Douglas in einer Düsseldorfer Billig-Version von ,Wallstreet‘ dazu sagen.

      Meine Güte, ist das ein verdammter Mist. Dieser Atzenberger! Dabei hatte ich den doch so schön in der Tasche. Ja, meistens sind es die Frauen der Chefs, die einem dann doch noch einen fetten Strich durch die Rechnung machen. „Och, ich weiß nicht, Liebling, irgendwie sieht das doch alles ganz blöd aus! Sag das mal dieser Agentur. Die sollen das anders machen! Irgendwie anders. Du bist doch der Chef! Du hast doch das Geld.“

      Rotzverdammi! Es sind immer die Frauen, die einen verrückt machen.

      Die Sonne scheint jetzt, als wäre es nie anders gewesen. Ist doch schön im Sauerland – und für einen Moment sind Düsseldorf und alle Atzenbergers dieser Welt dann doch so herrlich weit weg.

      Inzwischen bin ich, noch immer reichlich durchgeweicht, an der Tankstelle vorbeigetrieft, wo wir früher immer mit unseren Mofas rumgelungert haben und die braven Schwattmecker, so gut es ging, angepöbelt haben oder sie wenigstens einfach nur durch unsere unverschämte Anwesenheit provoziert haben. Wie mir scheint, hat sich da nicht viel geändert. Ein paar Jugendliche mit aufgemotzten Mofas sind da, an derselben Stelle, und kurz davor, mich anzupöbeln. Das spüre ich. Weiß der Teufel, warum sie pöbeln wollen. Aber das wussten wir ja früher auch nicht. Doch weil ich sie durchaus kampfbereit ansehe und wahrscheinlich sowieso wie nach einer soeben vielleicht sogar siegreich überstandenen Schlägerei aussehe, kommt nichts und sie drehen sich nur erschrocken wieder um und rauchen großspurig ihre Zigaretten. Und einer lässt seinen lächerlichen Mofa-Motor aufheulen. Provinz-Rocker. Kleinstadt-Hachos!

      Die kleine Stadt muss schlafen geh’n,

      die Bürgersteige hoch.

      Die Kneipe schließt, wer kann noch steh’n?

      Bei manchen geht es noch.

      Ansonsten wirkt der kleine Ort jetzt fast wie ausgestorben und meine platschenden Schritte hallen durch die leere Hauptstraße. Ich weiche noch nicht einmal den Pfützen aus.

      Wahrscheinlich sind jetzt alle bei Pollmanns.

      Und auch, wenn sich hier in hundert Jahren nichts großartig ändern wird, ein paar Dinge sind dann doch passiert. Hier war doch immer Paul Curry’s Frittenbude, fällt mir ein. Die erste Frittenbude der Welt – unserer kleinen Welt. Esskulturrevolution! Salzige Kartoffelstäbchen in spitzen Pergament-Tüten, die man zum Schluss aufreißen musste, um gierig an die letzten Stäbchen zu kommen, die immer schon ganz hart waren, aber trotzdem lecker. Fünfzig Pfennige. Mit Mayo sechzig. Die alte Post ist längst keine alte Post mehr ist, sondern ein griechischer Gemüseladen mit allen Herrlichkeiten mediterranen Grünzeugs und daneben sehe ich eine Art Büro, über dessen Eingang ein Schild mit der nicht ganz eindeutigen Aufschrift „Taxi Ali und Reparatur“ hängt.

      Die Dinge ändern sich.

      Ja, und hier hat Henni gewohnt. Hier, in diesem immer noch gelben Haus im Hermann-Löns-Weg, von dem aber inzwischen die Farbe großflächig abblättert. Henni Heggemann. Können Sie nicht kennen. Ich aber schon. Sie war meine Henni vor langer, langer Zeit, müssen


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