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Rotzverdammi!. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.

Rotzverdammi! - Reiner Hänsch


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und weiche seinem Bieratem geschickt aus.

      „Och, lass den Onkel ma wech. Nur Helmut!“ Und schon wieder gibt es einen derben Schlag auf die Schulter, dass mir der Schmerz voll hoch in die Beule fährt. Ehe ich mich wehren kann, habe ich einen Schnaps in der linken Hand und rechts ein Bier.

      „Hau wech, die Scheiße!“, fordert Helmut mich auf und fügt dann aber ehrenhafterweise noch mit ernster Miene und Grabesstimme hinzu: „Auf unsere Hilde!“

      Als er spürt, dass ich zögere und vielleicht sogar mit dem Gedanken spiele, abzulehnen, sagt er, ohne irgendein Verständnis für mein Verhalten zu entwickeln: „Na los, wat is’ denn? Willze nich auf deine Mutter trinken?“

      So, jetzt reicht’s mir aber! Und ich werde laut. Muss jetzt sein!

      „Ruhe hier, Rotzverdammi noch mal!“, brülle ich durch den Saal und Onkel Helmut weicht erschrocken einen Schritt zurück. „Seid ihr denn alle noch ganz klar? Das ist hier ’ne Beerdigung und keins von euren üblichen Besäufnissen! Setzt euch mal schnell alle wieder hin, bedient euch bei den Bütterkes, nehmt euch was vom Blechkuchen, trinkt Kaffee und trauert gefälligst um eure Hilde Flottmann, verdammte Scheiße!“

      Na gut, das Ende ist mir ein wenig entglitten, aber es stimmt doch! So eine Mordsstimmung auf der Beerdigung meiner Mutter. Das gibt’s doch gar nicht!

      Es ist tatsächlich augenblicklich Ruhe im Saal und ich kann also beruhigt wieder vom Stuhl heruntersteigen, den ich mir ganz spontan für meine kleine Ansprache ausgesucht hatte. Im Hintergrund fällt mir ein breitschultriger Mann mit Pferdeschwanz und Sonnenbrille auf, den ich auch schon mal irgendwo gesehen habe. Sonnenbrille drinnen!

      „So“, sage ich trotzig zu Onkel Dieter, „geht doch nicht, Mensch!“

      Zum Feiern ’ne Gelegenheit,

      die find'st du überall.

      Musst nich’ drum verlegen sein

      im Sauerland – normal.

      Eine leicht peinliche Stille beherrscht von nun an den Raum, die Temperatur ist ein wenig gesunken und ich habe das Gefühl, die Trauergäste kommen jetzt auch ganz gut ohne mich klar. Ich muss jedenfalls wieder raus hier. Tut mir leid für Günni, der mir im Vorraum heftig schwitzend fast ein Bierfass in die Kniekehlen rollt. Dem habe ich jetzt wohl den Umsatz versaut. Naja, stirbt ja sicher bald der nächste.

      Und dann geht mein Handy. Ach du meine Güte, ich habe Sylvia völlig vergessen. Hätte ja mal anrufen müssen. Im Hintergrund erhebt sich schon wieder ein mächtiges Gemurmel, aus dem sicherlich bald wieder der Soundtrack eines gemütlichen Beisammenseins und dann vielleicht sogar wieder der einer Wahnsinnsfeier wird. Ich habe das so im Gefühl.

      „Jaaa?“ rufe ich, immer noch etwas wütend, in das Gerät.

      „Wie, ,JAAA‘?“, keift es da aus dem kleinen, handlichen, elektronischen Dingsda zurück. „Hardy, bist du das?“

      „JA. Und du auch? Ich meine, bist du das auch da? Äh … Sylvia?“

      „Hardy, was ist denn los mit dir? Was macht ihr da? Bist du nicht auf der Beerdigung? Sprich mit mir!“

      „Mmh, jo, alles klar so weit … wir sind jetzt hier am Kaffeetrinken. Wie zur Bestätigung geht gerade ein spitzer Lacher steil in die Luft und die Meute lässt sich zu einem noch leicht verhaltenen Gröler hinreißen.

      „Kaffeetrinken?“

      „Ja, das macht man so nach einer Beerdigung, alter Brauch, weiße? Sylvia?“

      Dann kommt Bernd wieder an mir vorbei.

      „Sylvia, ich ruf’ dich gleich noch mal an … ich muss nur mal kurz eben …“

      Tüt-tüt. Schon aufgelegt. Mist. Tja, wat willze machen?

      „Bernd, hör mal!“, winke ich meinen Bruder ran.

      „Ja“, sagt Bernd, „hass ja recht. So geht dat nich’. Aber so sin' die immer. Beerdigung’n, Hochzeit’n, Geburtstage … is’ alles eins. Da kannze nix machen!“

      Ja. Ja?

      Genutzt hat meine kleine Rede scheinbar allerdings nicht viel, denn es geht schon wieder lustig rund bei der feiergeilen Trauergemeinde. Doch erst mal zu den anderen wichtigen Sachen.

      „Hör mal, Bernie, ich muss unbedingt mein Auto aus dem Graben ziehen. Ich muss heute noch nach Düsseldorf zurück!“

      Bernie runzelt seine Stirn, auf der einige glänzende Schweißperlen stehen.

      „Was is’ denn getz mit dei’m Auto?“

      „Na, ich hatte da doch so ’n scheiß Unfall, Bernie. Die Karre is’ im Graben und muss da jetzt raus. Unbedingt.“

      „Tja, ich will ma kucken, wat sich machen lässt.“ Und dann ist er schon wieder weg.

      Ja.

      Da klingelt das Handy wieder. Ich räuspere mich kurz und bereite mich auf ein paar ernstzunehmende Worte zu meiner Verteidigung vor.

      „Sylvie, pass auf, es is’ nur, weil …“

      „Ich bin’s. Arno.“

      Oh, der Herr Schwiegerpapa. Vielleicht. Doppelte Vorsicht ist also geboten.

      „Hallo, Arno, was gibt’s?“ Die Stimmung erfährt gerade wieder einen neuen kleinen Höhepunkt. Sind die schon bei der Polonaise?

      „Was ist denn da los bei euch? Ich denke, das ist ’ne Beerdigung?“, sagt er. Und ich sehe förmlich, wie er hinter seinem mächtigen gläsernen Schreibtisch steht und seinen grauen Kopf voller Haare schüttelt. Arno ist so der Typ Dressman für die etwas ältere Generation, sieht nicht so schlecht aus für sein Alter, hat aber leider ein etwas zu kantiges, vorspringendes Kinn, was für mich immer seine Sturkopfigkeit symbolisiert.

      „Ja, so sind die Beerdigungen eben hier. Sehr … herzlich. Meine Mutter war eben sehr beliebt, weißt du?“

      „Tja, nun … du hast sicher von Sven gehört, was hier los ist. Also, bitte, sieh zu, dass du dich so schnell wie möglich da von dieser … Feierlichkeit loseisen kannst und dann mach mir noch schneller eine neue Kampagne für Atzenberger. Der geht zur Konkurrenz. Und du weißt, was das heißt. Wir, du, ich, die Agentur, wir sind alle geliefert. Wir brauchen diesen dämlichen Atzenberger und seine Millionen.“ Dann macht er eine kleine Pause, die durch einen heftigen Lacher aus der Kneipe gefüllt wird. „Hörst du mich, Hardy?“

      „Ja, ja, alles klar. Morgen früh geht’s los“, versichere ich ihm lässig und füge überflüssigerweise noch ein leider etwas unsicheres „Läuft schon“ hinzu.

      „Hardy, ich meine es ernst. Sehr ernst. Wenn du nicht morgen früh um neun Uhr im Besprechungszimmer bist, dann war’s das. Verstehst du mich?“

      „Ja, ja.“

      Und dann legt er auf.

      Dann war’s das? Habe ich das wirklich verstanden? Was meint er damit? Atzenberger? Mich? Alles?

      Ach … bis morgen.

      Wie spät ist es denn jetzt eigentlich? Ich blicke leicht ängstlich auf das Display meines Handys. Und das sagt mir sehr deutlich, digital genau und sogar ein wenig vorwurfsvoll, wie ich meine: vier! Es ist schon vier! Mach was, Fetzer! Ach, du meine Güte! Jetzt muss aber wirklich was passieren, denke ich. Wer zieht mir jetzt die Karre aus dem Dreck? Ich weiß ja gar nicht, ob das arme Auto überhaupt noch fährt. Aber eins steht fest, ich muss zurück nach Düsseldorf. Unbedingt. Hatte ich vielleicht gerade noch gedacht, ich könne vielleicht auch morgen noch zurück, dann hat sich das mit Arnos Anruf jetzt weitgehend erledigt.

      Und dann sehe ich sie.

      Sie steht vor einem parkenden … BMW, sucht anscheinend ihren Schlüssel oder irgendwas in einer riesigen, schön verzierten, ledernen Handtasche und sieht umwerfend dabei aus.

      Von hinten.

      Henni???


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