Intention. Lynne McTaggartЧитать онлайн книгу.
TEIL I
Wie unsere Gedanken die materielle Welt beeinflussen
Ein Mensch ist Teil des Ganzen, das wir „Universum“ nennen; ein von Zeit und Raum begrenzter Teil. Er erfährt sich selbst, seine Gedanken und Gefühle als vom Rest getrennt – eine Art optischer Täuschung seines Bewusstseins.
ALBERT EINSTEIN
KAPITEL 1
Die Materie – das Einfache, das schwer zu fassen ist
Nur wenige Orte in dieser Galaxie sind so kalt wie die mit verflüssigtem Helium funktionierende Kältemaschine in Tom Rosenbaums Labor. Die Temperaturen in dieser Maschine – einer zimmergroßen ringförmigen Anlage mit zahlreichen Zylindern – können bis wenige tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt, also – 273° Celsius, sinken. Das ist 3000 Mal kälter als die entferntesten Weltraumregionen. Zwei Tage lang zirkulieren flüssiger Stickstoff und flüssiges Helium in der Kältemaschine und dann lassen drei Pumpen, die ständig gasförmiges Helium verdichten, die Temperatur auf die unterste Stufe sinken. Ohne irgendeine Art von Wärme bewegen sich die Atome in der Materie nur noch im Schneckentempo. Bei diesen Kältegraden käme das Universum völlig zum Stillstand – die wissenschaftliche Version einer gefrorenen Hölle.
Der absolute Nullpunkt ist eine der Lieblingstemperaturen des Physikers Tom Rosenbaum. Mit seinen 47 Jahren gehörte der angesehene Physikprofessor an der University of Chicago und frühere Leiter des James Franck Institute zur Avantgarde der Experimentalphysiker, die gerne die Grenzen zur Unordnung in der Physik der kondensierten Materie untersuchte; dieses Fachgebiet untersucht die Eigenschaften von Flüssigkeiten und Festkörpern, nachdem die ihnen zugrunde liegende Ordnung gestört wurde.1 Wenn man in der Physik wissen will, wie etwas sich verhält, macht man es ihm am besten „ungemütlich“ und schaut, was passiert. Und Unordnung stiftet man gewöhnlich, indem man es erwärmt oder einem Magnetfeld aussetzt, um festzustellen, wie es reagiert, wenn es „gestört“ wird, und um zu ermitteln, welche Spinposition – oder magnetische Ausrichtung – die Atome annehmen.
Die meisten von seinen Kollegen in der Physik der kondensierten Materie interessierten sich weiterhin für symmetrische Systeme wie etwa kristalline Feststoffe, deren Atome gleichmäßig angeordnet sind (wie Eier in einem Karton); Rosenbaum jedoch zog es zu den seltsamen Systemen, die an sich ungeordnet waren – die die konventionelleren Quantenphysiker als „Schmutz“ abtaten. Im Schmutz, so glaubte Rosenbaum, lägen die unerforschten Geheimnisse des Quantenuniversums, ein unerforschtes Gebiet, das er gern bereiste. Er liebte die Herausforderungen, vor die ihn Spingläser stellen, erstaunliche Mischformen von Kristallen mit magnetischen Eigenschaften, sich – physikalisch gesehen – langsam bewegende Flüssigkeiten. Im Gegensatz zu einem Kristall, dessen Atome vollkommen gleich ausgerichtet sind, sind die Atome eines Spinglases unberechenbar und unregelmäßig gefroren.
Mittels der extremen Kälte konnte Rosenbaum die Atome dieser eigenwilligen Verbindungen so verlangsamen, dass er sie minutiös beobachten und ihre quantenmechanische Natur „herauskitzeln“ konnte. Bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt, wenn ihre Atome fast stillstehen, nehmen sie neue Verbundeigenschaften an. Rosenbaum war fasziniert von der neuen Entdeckung, dass Systeme, die bei Raumtemperatur ungeordnet waren, einen „konformistischen“ Zug zeigen, sobald sie heruntergekühlt werden. Auf einmal beginnen diese individualistischen Atome an einem Strang zu ziehen.
Wenn man untersucht, wie sich Moleküle als Gruppe unter verschiedenen Bedingungen verhalten, erfährt man dabei viel über die Beschaffenheit der Materie. Für meine eigene Entdeckungsreise erschien mir Rosenbaums Labor der geeignetste Ausgangspunkt. Dort, bei den niedrigsten Temperaturen, wo alles in Zeitlupe abläuft, könnte sich die wahre Natur der Grundbausteine des Universums offenbaren. Ich suchte Belege für Möglichkeiten, wie die Bestandteile unseres materiellen Universums, die wir für so völlig verstanden halten, grundlegend verändert werden können. Auch fragte ich mich, ob man zeigen könne, dass Quantenverhalten (wie der Beobachtereffekt) auch außerhalb der subatomaren Welt, also in der Alltagswelt vorkommt. Rosenbaums Entdeckung in seiner Kältemaschine könnte entscheidende Hinweise liefern, wie jeder Gegenstand oder Organismus in der materiellen Welt – den die klassische Physik als unabänderliche Tatsache betrachtet, als endgültige Ansammlung, die sich nur durch die brachiale Gewalt Newton’scher Physik verändern lässt – durch die Energie eines Gedankens beeinflusst und letztlich geändert werden kann.
Nach dem zweiten Gesetz der Thermodynamik können alle materiellen Prozesse im Universum nur von einem Zustand höherer in einen Zustand niedrigerer Energie übergehen. Wir werfen einen Stein ins Wasser und die Wellen, die er auslöst, hören irgendwann auf. Eine Tasse heißer Kaffee kann nur kalt werden, wenn man ihn lange genug stehen lässt. Gegenstände gehen unweigerlich kaputt; alles bewegt sich nur in eine einzige Richtung, von der Ordnung zur Unordnung.
Doch das muss nicht zwangsläufig so sein, glaubte Rosenbaum. Neuere Entdeckungen über ungeordnete Systeme legen nahe, dass bestimmte Materialien unter bestimmten Bedingungen den Entropiegesetzen widersprechen könnten und zusammenkommen, statt auseinanderzufallen. Konnte die Materie auch die umgekehrte Richtung einschlagen, von der Unordnung zu größerer Ordnung?
Zehn Jahre lang hatten sich Rosenbaum und seine Studenten am James Franck Institute das in Bezug auf ein kleines Stück Lithium-Holmium-Fluor-Salz gefragt. In Rosenbaums Kältemaschine lag ein perfekter Splitter eines rosafarbigen Kristalls, nicht größer als eine Bleistiftspitze, in zwei Anordnungen von Kupferspulen eingehüllt. Im Laufe der Jahre und nach vielen Experimenten mit Spingläsern hatte Rosenbaum diese faszinierenden kleinen Exemplare sehr lieb gewonnen, sie gehören zu den Substanzen mit dem stärksten natürlichen Magnetismus auf der Erde. Diese Eigenschaft bot die besten Voraussetzungen, um Unordnung zu untersuchen – doch erst, wenn er den Kristall absolut unkenntlich gemacht hatte.
Als Erstes hatte er sein Labor, das die Kristalle züchtete, angewiesen, Holmium mit Fluor und Lithium, dem ersten Metall im Periodensystem, zu verbinden. Das daraus resultierende Lithium-Holmium-Fluor-Salz „spielte mit“ und war vorhersagbar – eine höchst geordnete Substanz, deren Atome alle nach Norden zeigten, wie ein Meer mikroskopisch kleiner Kompasse. Rosenbaum hatte dann die ursprüngliche Salzzusammensetzung zerstört, indem er die Labormitarbeiter einzelne Holmiumatome nacheinander herauslösen und durch Yttrium ersetzen ließ – ein silbernes Metall ohne eine solche natürliche Magnetwirkung. Das betrieben sie so lange, bis ein eigentümlicher Hybrid einer Verbindung herauskam, ein Salz mit der Bezeichnung Lithium-Holmium-Yttrium-Tetrafluorid.
Dadurch, dass Rosenbaum praktisch die Atome mit magnetischen Eigenschaften aus der Verbindung herausgelöst hatte, hatte er schließlich eine Spinglas-Anarchie herbeigeführt – die Atome dieses Frankensteinmonstrums zeigten, wohin sie wollten. Eine wesentliche Eigenschaft von Elementen wie Holmium manipulieren und so ungeniert bizarre neue Verbindungen herstellen zu können, das war ein wenig so, wie die Kontrolle über die Materie selbst zu haben. Mit diesen neuen Spinglas-Verbindungen konnte Rosenbaum praktisch die Eigenschaften der Verbindung nach Belieben variieren; er konnte Atome dazu bringen, sich nach einem bestimmten Muster auszurichten oder in einem zufälligen Muster zu erstarren.
Doch seine Allmacht hatte auch Grenzen. Rosenbaums Holmiumverbindungen gehorchten in gewisser Hinsicht, in anderer jedoch nicht. Er konnte sie zum Beispiel nicht dazu bringen, sich an die Temperaturgesetze zu halten. Ganz egal, wie kalt Rosenbaum seine Kältemaschine einstellte, die Atome widersetzten sich jeglicher geordneten Orientierung, wie eine Armee, die sich weigert, im Gleichschritt zu marschieren. Wenn Rosenbaum mit seinen Spingläsern Gott spielte, so waren die Kristalle Adam, der sich hartnäckig weigerte, Gottes oberstem Gesetz zu gehorchen.
Eine junge Studentin namens Sayantani Ghosh, eine seiner „Stardoktorandinnen“, teilte Rosenbaums Neugier auf die seltsame Eigenschaft der Kristallverbindung. Sai, wie ihre Freunde sie nannten, eine gebürtige Inderin, hatte mit hervorragenden Noten in Cambridge ihren Abschluss gemacht und wollte 1999 in Tom Rosenbaums Labor promovieren. Praktisch sofort