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Eiserner Wille. Mike TysonЧитать онлайн книгу.

Eiserner Wille - Mike  Tyson


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weitere Inspiration zum Willie Bag waren Cus’ Ausflüge auf die Rennbahn, wo er beobachtete, dass die Jockeys ihre Peitsche an bestimmten Körperstellen der Pferde einsetzten. Die Pferde reagierten darauf und wurden schneller. Damals, in den Vierzigerjahren, entwickelte einer von Cus’ Freunden eine Technik für Sekretärinnen, um die Zahl ihrer Anschläge beim Tippen zu steigern. Er nahm eine Schallplatte auf, auf die er Sätze diktierte, erst langsam, dann immer schneller werdend, und entsprechend steigerten auch die Sekretärinnen ihr Tempo auf der Schreibmaschine. Cus sprach in einer Dokumentation über José Torres von seiner Erfindung.

      Cus: „Dieses Gerät verbessert die Schnelligkeit, die Genauigkeit, die Koordination und die Ausdauer. Torres war nach sechs bis acht Wochen Training mit diesem Gerät in der Lage, eine Kombination aus sechs Schlägen in zwei Fünftelsekunden auszuführen. Interviewer: „Das ist wirklich schwer zu glauben.“ Cus: „Natürlich, aber ich hatte eine Stopp­uhr und nahm die Zeit in Anwesenheit der ganzen Zeitungsleute, fünf-, sechsmal hintereinander. Dann stellte ein Reporter die Frage: ‚Funktioniert das auch, wenn Pastrano sich bewegt?‘, und ich erklärte ihm dann, dass auch Pastrano irgendwann mindestens eine Sekunde lang stillstehen muss, und wenn Torres dann in der Position ist, zuzuschlagen, dann braucht er nur zwei Fünftelsekunden, um vier bis fünf Treffer zu landen.“

      Das Tolle an diesem System war, dass man es während eines Kampfes anwenden konnte. Cus konnte in der Ecke seines Boxers stehen und ihm irgendwelche Zahlen zurufen, ohne dass der Gegner und der gegnerische Trainer eine Ahnung davon hatten, was die Zahlen bedeuteten.

      Cus war sehr gut in kurzen Schlägen. Durch die kürzere Distanz erhöhte sich die Schlagkraft bei einem Treffer. Cus war der Ansicht, dass ein harter Punch nichts mit der körperlichen Stärke einer Person zu tun hatte, sondern mit Präzision und kontrollierten Emotionen. Eine weitere Technik, die Cus lehrte, waren Kombinationen aus raschen Schlagabfolgen. Er sagte mir immer: „Du erzielst die größte Wirkung, wenn sich zwei Schläge wie einer anhören.“ Er war der Meinung, dass die Energie in der Geschwindigkeit lag. Diesem Knall, bei dem sich zwei Schläge wie einer anhören, möglichst nahezukommen – das war es, was Cus als Perfektion ansah. Er glaubte auch, dass man nur durch Treffer zu Boden geht, die man nicht sieht. Demzufolge war das Überraschungsmoment ein wichtiger Bestandteil des Boxens. Schnelligkeit, Timing, Bewegung, Präzision, Überraschungsmoment – das alles zusammen mit einer entspannten Haltung unter Druck. Das war das Nonplusultra.

      Cus war seiner Zeit wirklich weit voraus. Er war mit Dr. Robert Gross befreundet, der zusammen mit seiner Frau Joy das Pawling Health Manor in Upstate New York mitbegründet hatte. Von ihnen lernte Cus viel über den damals aktuellen Kenntnisstand zum Thema Ernährung und über die richtigen Nahrungsergänzungsmittel, und sein Bruder Nick zeigte ihm grundlegende Techniken der Chiropraktik. Ich trainierte so hart, dass ich mir den Rücken verrenkte. Cus wies mich an, mich kopfüber mit den Knien am Treppengeländer einzuhängen und zu entspannten. Dann renkte er meine Rücken- und Halswirbel ein. Einmal bearbeitete Cus mich so stark, dass ich am darauffolgenden Morgen nicht mehr richtig laufen konnte, dann musste ich zu einem richtigen Chiropraktiker.

      Seitdem ich im Haus wohnte, hatte ich rund um die Uhr Zugang zu all den alten Boxfilmen. An manchen Tagen sah ich mir diese Filme zehn Stunden am Stück an. Ich machte meinen Doktor in Boxgeschichte. Einige der alten Boxer wurden zu meinen Idolen. Ich liebte Dempsey. Ich fand es gut, dass er so aggressiv war, aber noch mehr gefiel mir an ihm, dass er sehr berühmt und sehr reich gewesen war. Dempsey war stets elegant gekleidet und alle damaligen weiblichen Berühmtheiten waren Fans von ihm. Er war bedeutender als das Boxen selbst, bedeutender als der ganze damalige Sport und bedeutender als Babe Ruth.

      Auch Joe Gans verehrte ich. Gans war der erste afroamerikanische Weltmeister des zwanzigsten Jahrhunderts. Er wurde als einer der größten Boxer aller Zeiten im Leichtgewicht betrachtet und war bekannt als der „Old Master“. Was mich am meisten beeindruckte, war die Art, wie die weißen, rassistischen Reporter um die Jahrhundertwende über ihn schrieben. Sie betrachteten ihn als einen Gott, weil ihn niemand schlagen konnte. Er hat keinen Kampf regulär verloren, bis er an Tuberkulose erkrankte, an der er schließlich starb. Die anderen Kämpfe seiner Laufbahn verlor er, weil er sie platzen ließ, um sich um seine Familie zu kümmern. Aber jeder wusste, dass ihn keiner schlagen konnte. Ab und zu gab es stolze weiße Boxer, die von sich behaupteten: „Bei mir wird sich keiner absichtlich auf die Bretter legen. Ich kann jeden Mann der Welt in einem fairen Kampf schlagen.“ Und Gans knockte sie so einfach aus, dass es zum Lachen war. Gans war weniger bedrohlich als Jack Jackson. Er wusste, wie er durchkam – er kannte seinen Platz, wenn man so will –, aber er war meisterhaft.

      Benny Leonard war ein weiterer Leichtgewichtsboxer, den ich bewunderte. Er war ein richtig arroganter Sack, nicht nur beim Boxen. Leonard ließ sich von niemandem etwas gefallen. Während des Ersten Weltkriegs trainierten alle großen Boxer in einer Sporthalle eines Deutschen, der behauptete, die Juden seien schuld am Krieg. Viele harte jüdische Boxer trainierten dort und wehrten sich nicht dagegen. Nicht so Benny. Er verließ die Sporthalle des Deutschen und trainierte bei Stillman’s, das einem Juden gehörte und nicht besonders gut lief. Als Leonard ging, folgten ihm alle, auch Nichtjuden, zu Stillman’s. Mir gefielen Boxer, die nicht nur große Techniker, sondern auch Leitfiguren waren. Kerle wie Gans und Leonard wogen nur sechzig Kilo, hatten aber dennoch Größe und waren kleine Giganten auch außerhalb des Rings.

      Cus und ich konnten uns stundenlang über diese frühen Kämpfer unterhalten. Und worüber sprachen wir? Über Boxer, die schon als Kinder Champions waren, Jungs wie Jimmy McLarnin und Georges Carpentier, Typen, die schon als Babys boxten. Georges Carpentier hatte seinen ersten Profikampf im Alter von vierzehn. Er kämpfte gegen wirklich jeden. Mit neunzehn war er Champion aller Gewichtsklassen in Europa.

      Cus liebte Henry Armstrong. „Stetiger Angriff, kein Nachlassen, beweglicher Kopf und gute Deckung. Das war Armstrong, er brach den Willen seines Gegners, zerstörte dessen Kampfgeist und machte alles, wofür er stand, zu einer verdammten Lüge“, sagte Cus. Er kannte ihn sehr gut. Cus kannte all die alten Boxer, und wenn sie ihn trafen, nannten sie ihn „Mister Cus“. Beau Jack zum Beispiel. Cus mochte diesen Kerl, er war sein liebster Leichtgewichtsboxer. Einmal rutschte er während eines Kampfes aus und kugelte sich das Knie aus. Der Kampfrichter ging in die gegnerische Ecke, um mit dem Trainer zu sprechen, und Beau Jack sprang auf und hüpfte auf seinen Gegner zu, um weiterzukämpfen. Jedes Mal, wenn Beau Jack und Cus sich über den Weg liefen, zog Cus seinen Hut und sagte: „Ich ziehe meinen Hut vor diesem Mann. Er kämpfte auf einem Bein, hüpfte zu seinem Gegner. Niemals sonst habe ich solch eine Tapferkeit gesehen.“

      Cus war so angetan von diesen alten Boxern, dass er manchmal sogar ihr Benehmen entschuldigte. Jack Dempsey konnte im Ring sogar Zigarre rauchen, und Cus sagte so in etwa: „Damals hatten sie gerne eine Zigarre im Mund als Zeichen ihres Erfolgs, aber er hat sie nie angezündet.“ Ich wusste, dass das gelogen war. Er führte nur die Qualitäten eines Champions an, die mich zu den richtigen Dingen inspirierten. Sie hatten keine schlechten Eigenschaften, sie waren perfekt. Auch wenn es im Ring übel und gemein zuging, boxten sie immer ruhig und gefasst, schärfte er mir ein. Ich fand diese Geschichten immer sehr spannend – wie der eine Boxer von weither kam, um gegen den anderen großen Boxer zu kämpfen. Wie dieser schwarze Boxer sich alleine dem Kampf stellte, obwohl all die weißen Kerle sagten, sie würden ihn töten, und er ging hin und gewann.

      Cus sagte mir immer, ich müsse ein Krieger sein. „Wenn du keinen Kampfgeist hast“, sagte er, „wirst du nie ein Kämpfer werden, egal wie groß und stark du bist.“ Er verdeutlichte mir dieses Thema immer wieder durch Geschichten großer Kämpfer der Antike. Ich kannte keine antiken Helden, aber wenn Cus Namen wie Alexander der Große oder Dschingis Khan fallen ließ und sagte, dass sie die größten und besten überhaupt gewesen seien, weckte er mein Interesse an ihnen. Wir sprachen über Geschichte, und wenn Cus zum Beispiel Hannibal erwähnte und sagte, er hätte Italien erobert, rannte ich sofort zur Enzyklopädie. Diese Figuren aus der Antike wurden meine Vorbilder. Ich las alles über die Punischen Kriege, alles über die Venezianischen Kriege. Ich las, wie diese Typen gewaltsam andere Länder eroberten und Machtkämpfe mit ihren Brüdern und Schwestern austrugen. Ich lernte schnell, dass Macht etwas war, wofür es sich lohnte, zu töten und zu sterben.

      Ich hörte Leute, die Machiavelli zitierten, und


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