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Erinnerungen an Kurt Cobain. Danny Goldberg M.Читать онлайн книгу.

Erinnerungen an Kurt Cobain - Danny Goldberg M.


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Indies die vielversprechendsten Bands wegschnappten, die sie zuvor gefördert und überhaupt erst sichtbar gemacht hatten. (Hüsker Dü nahmen beispielsweise ihre ersten drei Alben bei SST auf, um dann 1986 bei Warner Bros. zu unterschreiben.)

      Mir war klar, dass es für viele dieser jungen Leute nur eine Möglichkeit gab, um im Musikgeschäft Fuß zu fassen – sie mussten die Leistungen der vorangegangenen Generationen diskreditieren. Musiktrends werden von Jugendlichen gemacht. In der Musik umfasst eine „Generation“ in der Regel etwa vier Jahre, in etwa die Zeit, die man auf der Highschool verbringt. Für clevere, ehrgeizige Anfangszwanziger, die glaubwürdig vermitteln können, dass alle Älteren „es nicht mehr blicken“, ergeben sich immer erfolgversprechende Möglichkeiten. Das hatte ich selbst erlebt, als ich mich Ende der Sechziger bei dem Versuch, im Musikgeschäft Arbeit zu finden, mit meiner Langhaar-Hippie-Frisur erfolgreich von den älteren „Spießern“ abgehoben hatte.

      Dennoch verfolgt jeder Künstler seine eigenen Ziele, und der Fundamentalismus der Indie-Gemeinde lag nicht jedem. Als Kurt und ich uns begegneten, war er bereits zu dem Schluss gekommen, dass einige der Grundsätze, die man in der Szene hochhielt, durchaus ihren Sinn hatten, andere hingegen einem umgekehrten Snobismus entsprangen, der einfach blödsinnig war. Wenn es seinen Zwecken diente, wies Kurt gern darauf hin, dass R.E.M., die Stooges, die Ramones, Patti Smith und die Sex Pistols durchaus Platten auf Major-Labels veröffentlicht hatten, ohne dass ihre musikalische Qualität oder ihre Glaubwürdigkeit dadurch Schaden genommen hatte.

      Der Leitstern für Nirvana waren Sonic Youth. Thurston Moore schilderte mir 2018 die Beweggründe, die seine Band dazu gebracht hatten, bei Geffen zu unterschreiben. „Uns war aufgefallen, dass sich die Musik von Hüsker Dü nach dem Wechsel zu Warner nicht verändert hatte. Bei den Indies, mit denen wir zu tun hatten – SST Records, Blast First Records oder Neutral Records –, war es so, dass die Buchhaltung, wenn es überhaupt eine gab, oft genug nicht stimmte. Bei Geffen hingegen konnten wir einen Vorschuss bekommen, der es uns ermöglichte, die Miete und die Krankenversicherung zu bezahlen, sich ein bisschen was zu leisten und vielleicht sogar den regulären Job zu knicken. Wir hatten das Gefühl, dass es uns gelingen würde, einen soliden Vertrag auszuhandeln.“

      Sonic Youth genossen damals ein solches Ansehen, dass sie es sich leisten konnten, die Anwürfe der Indie-Dogmatiker zu ignorieren. Thurston ärgert sich jedoch heute noch darüber, dass die Indie-Label-Ikone Steve Albini, selbst ein Punk-Musiker, damals einen Artikel verfasste, „indem er verschiedene Szenarien schilderte, wie Künstler von einem Major-Label systematisch abgezockt werden. Es war eine rüde Darstellung. Der Artikel endete mit dem Satz: ‚Wenn man ein Schwein fickt, darf man sich nicht wundern, wenn man anschließend Scheiße am Schwanz hat.‘ Ich schrieb damals einen Leserbrief dazu und bemerkte: ‚Ein wirklich interessantes Bild. Bei diesem Beispiel, wie eine Band von den Majors in den Arsch gefickt wird, hast du nur eins vergessen – nämlich hinzuzusetzen, dass diese Band wirklich ziemlich blöd sein muss.‘“

      Sie selbst, erklärt Thurston, seien damals zu jedem Business-Meeting gegangen. „Wir wussten genau, worauf wir uns einließen. Wir wussten, wo das Geld herkam und wer was wofür ausgab. Ich hatte nicht das Gefühl, dass wir blauäugig irgendwas unterschrieben, so wie Albini es darstellte. Wir sprachen mit einer Bank. Für uns war das kein Ausverkauf. Wir kauften uns ein.“

      Aber selbst Thurston war zeitweise hin- und hergerissen zwischen der Indie-Ideologie und dem wahren Leben. Im Dokumentarfilm 1991: The Year That Punk Broke, der entstand, nachdem Sonic Youth längst bei Geffen unterschrieben hatten, wird er dabei gezeigt, wie er jungen Fans in Deutschland erklärt: „Ich denke, wir sollten den betrügerischen Kapitalismus zerstören, der sich in die Jugendkultur hineinfrisst. Der erste Schritt dabei ist die Zerstörung der Plattenfirmen.“

      Krist Novoselic war zwei Jahre älter als Kurt, und er ist der einzige, der Nirvanas gesamte Entwicklung von einer kleinen Lokal-Band aus Aberdeen bis zum Welterfolg miterlebte. Krist wusste, wie talentiert und sensibel Kurt war. Vielleicht schon deshalb, weil er ihm mit seiner Körpergröße von fast zwei Metern um einen Kopf überragte, erschien er mir immer wie der große Bruder, den Kurt nie gehabt hatte, nur ohne die typische Rivalität, die oft unter Geschwistern herrscht.

      Bei unseren Gesprächen für dieses Buch äußerte Krist wiederholt: „Es ist immer schön, über Kurt zu reden.“ Krist ist inzwischen über fünfzig, und sein noch verbliebenes Haar wird langsam grau, aber er hat sich eine beinahe kindliche Unschuld und einen großen Idealismus bewahrt, was Musik und Politik betrifft. Auch heute klingt er immer noch bestrebt, seinen alten Bandkollegen zu beschützen. „Manche Leute dachten, Kurt sei faul, weil er keine Lust hatte, bei seinem Job als Hausmeister die Klos zu putzen, aber wenn es um Kunst und Musik ging, hat er stets unglaublich hart gearbeitet.“

      Kurt zählte zu den wenigen Leadgitarristen, die eine Linkshänder-Gitarre mit normaler Saitenbespannung spielten, von daher hatte er als Musiker wenige Vorbilder. (Was die Musik betraf, hatte er sich fast alles selbst beigebracht; Noten lesen lernte er nie.) Manche Gitarristen wie Duane Allman und David Bowie, die eigentlich Linkshänder waren, spielten trotzdem wie Rechtshänder. Kurt, wie auch Jimi Hendrix, schrieb zwar mit rechts, spielte aber mit links.

      Krist erinnert sich, dass Kurt immer damit beschäftigt war, Texte und Musik zu schreiben und zu überarbeiten. Als bildender Künstler war er ähnlich produktiv: „Eines Tages besuchte ich ihn in Aberdeen, und er zeigte mir selbstgezeichnete pornografische Comics, bei denen er einen Hund, Scooby Doo, mitspielen ließ. Sie waren echt gut! Kurt hat immer an Skulpturen, Bildern, Zeichnungen gearbeitet. Er hätte auch zur Kunstakademie gehen können. Er zog schließlich nach Olympia, weil in Aberdeen nichts los war.“ Courtney ergänzt: „Das war für ihn zwangsläufig. Erst in Olympia kam er mit Menschen in Kontakt, die nicht nur auf die Melvins und Black Sabbath standen, sondern auch noch auf andere Musik.“

      Olympia liegt achtzig Kilometer östlich von Aberdeen und ist mit seinen rund 50.000 Einwohnern etwas größer als Kurts Heimatstadt. Das dortige Evergreen State College ist eine progressive Hochschule, die auf Noten verzichtet; zu den Absolventen zählen die Underground-Cartoonistin Lynda Barry und der Simpsons-Schöpfer Matt Groening ebenso wie Tobi Vail und Kathleen Hanna von Bikini Kill, Carrie Brownstein von Sleater-Kinney, der Sub-Pop-Gründer Bruce Pavitt und Calvin Johnson, der K Records gründete und zudem bei der einflussreichen Lokal-Band Beat Happening sang und Gitarre spielte.

      Dass Olympia für den amerikanischen Punk eine so entscheidende Rolle spielte, lag auch am Radiosender des Evergreen-Colleges, KAOS, zu dessen Richtlinien es zählte, dass 80 Prozent der gespielten Songs von Indie-Labels stammen mussten. Hier trafen sich viele der späteren Schlüsselfiguren der Indie-Szene; Johnson und Pavitt hatten beispielsweise eigene Sendungen bei KAOS, bevor sie ihre Labels gründeten. 1987 gaben Nirvana im KAOS-Studio ihren zweiten öffentlichen Auftritt.

      K Records gaben einen Newsletter heraus, auf dem das Label-Logo in Menschengestalt dargestellt und mit der Unterzeile versehen war: „Der echte Held kämpft gegen das vielarmige Kapitalismus-Monster und bricht den Bann musikalischer Unterdrückung“. Johnson trug maßgeblich dazu bei, die Leinwand der Indie-Rock-Kultur zu verbreitern. Azerrad zufolge war es K zu verdanken, „dass man sich unter Punk nicht länger einen Typen mit Irokesenschnitt und Lederjacke vorstellte, sondern ein nerdiges Mädchen mit Strickjacke.“ Stella Marrs schrieb in der Einleitung von Love Rock Revolution – K Records And The Rise Of Independent Music: „An die Stelle des Macho-Rock-Gotts der herrschenden Musikkultur war eine andere Form von Männlichkeit getreten, die sich auch einmal zu weinen traute.“ Damit konnte sich Kurt sehr identifizieren. Schon seit Beginn seiner Karriere war er bestrebt, ein Mann ohne Macho-Allüren zu sein.

      Eric Erlandson, der später als Gitarrist zu Hole stieß und eng mit Kurt befreundet war, sagt über Olympia: „Es gab eine echte Underground-Szene, die immer schon Verbindungen nach Washington, D.C., pflegte.“ (Von dort stammten beispielsweise Fugazi, aber auch Dave Grohls erste Band Scream.) „Es war wie ein cooler, kleiner, inzestuöser Club, aber die meisten Leute waren offen und warmherzig. Kurt hinterließ bei den dortigen Musikern sofort einen großen Eindruck.“ Krist sagte über diese Zeit: „Kurt hatte schon jahrelang Songs geschrieben, und daher war er vielen anderen Musikern in seiner diesbezüglichen Entwicklung drei oder vier Jahre voraus. Nirvana fingen zwar als Musiker erst


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