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1984. George OrwellЧитать онлайн книгу.

1984 - George Orwell


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mehr Hubschrauber, mehr Bücher, mehr Neugeborene – es gab von allem mehr, ausgenommen Krankheiten, Verbrechen und Wahnsinn. Jahr für Jahr und Minute für Minute ging es mit jedem und allem rasant aufwärts. Wie zuvor Syme hatte auch Winston den Löffel genommen und stocherte damit in der blässlichen Soße, die auf dem Tisch zerlief, wobei er eine lange Schliere zu einem Muster formte. Verbittert sinnierte er über die physische Beschaffenheit des Lebens. War es immer schon so gewesen? Hatte das Essen immer so geschmeckt? Er blickte sich in der Kantine um. Ein überfüllter Saal mit niedrig hängender Decke, die Wände schmierig vom direkten Kontakt mit unzähligen Leibern; zerschrammte Metalltische und Stühle, die so dicht beieinander standen, dass die Leute beim Sitzen mit den Ellbogen zusammenstießen; verbogene Löffel, Tabletts mit Dellen, klobige weiße Tassen; sämtliche Oberflächen schmierig, Schmutz in jedem Spalt; dazu ein säuerlicher Geruch, ein Gemisch aus schlechtem Gin, schlechtem Kaffee, metallisch schmeckendem Eintopf und schmutziger Kleidung. Ständig rebellierten der Magen und die Haut, mit einem Gefühl, um etwas betrogen worden zu sein, auf das man eigentlich ein Anrecht hatte. Es stimmte, dass er keine Erinnerung daran hatte, dass es je groß anders gewesen wäre. In den Zeiten, an die er sich genau erinnern konnte, hatte es nie genug zu essen gegeben, man hatte nie Socken oder Unterwäsche ohne Löcher gehabt, die Möbel waren immer schon ramponiert und wackelig gewesen, die Zimmer schlecht geheizt, die U-Bahnen überfüllt, die Häuser fielen in sich zusammen, das Brot hatte eine dunkle Farbe, Tee war eine Seltenheit, der Kaffee schmeckte scheußlich, Zigaretten waren Mangelware – nichts war billig und im Überfluss zu bekommen außer dem synthetischen Gin. Und obwohl es natürlich schlimmer wurde, wenn der Körper alterte, war es nicht ein Anzeichen dafür, dass dies nicht die natürliche Ordnung der Dinge war, wenn es einem schwer ums Herz wurde angesichts der Unbehaglichkeit und des Drecks und des Mangels, der endlosen Winter, der eigenen klammen Socken, der Aufzüge, die nie funktionierten, des kalten Wassers, der körnigen Seife, der zerbröselnden Zigaretten und des Essens mit dem seltsamen, üblen Geschmack? Warum sollte man das für unerträglich halten, sofern man nicht eine Art vererbte Erinnerung besaß, dass die Dinge einmal anders gewesen waren?

      Er blickte sich erneut in der Kantine um. Fast alle sahen hässlich aus und wären auch dann noch hässlich gewesen, wenn sie etwas anderes getragen hätten als die eintönigen blauen Overalls. Auf der gegenüberliegenden Seite des Saals saß ein kleiner, sonderbarer Mann, der etwas Käferartiges an sich hatte, allein an einem Tisch und trank eine Tasse Kaffee, seine kleinen Augen huschten argwöhnisch von rechts nach links. Wenn man sich nicht mit wachen Augen umschaute, dachte Winston, wie einfach war es dann, daran zu glauben, dass die körperliche Erscheinungsform, die von der Partei zum Ideal stilisiert worden war – große, muskulöse Jungen und vollbusige Mädchen, blond, strotzend vor Leben, sonnengebräunt, sorglos – tatsächlich existierte und sogar vorherrschend war. In Wirklichkeit aber, zumindest soweit er das beurteilen konnte, war die Mehrzahl der Leute in Landefeld Eins eher klein, dunkelhaarig und nicht gerade von der Natur begünstigt. Seltsam, dass sich der käferartige Typus in den Ministerien ausbreitete: kleine untersetzte Männer, die schon früh im Leben korpulent wurden, mit kurzen Beinen, raschen, huschenden Bewegungen und teigigen, unergründlichen Gesichtern mit sehr kleinen Augen. Dieser Typus schien am besten unter der Herrschaft der Partei zu gedeihen.

      Die Bekanntmachung des Ministeriums für Fülle endete mit einem weiteren Trompetenstoß und ging über in blechern klingende Musik. Parsons, von dem Zahlenbombardement zu einer vagen Begeisterung angeregt, nahm die Pfeife aus dem Mund.

      »Das Ministerium für Fülle hat dieses Jahr wirklich gute Arbeit geleistet«, sagte er mit wissendem Kopfnicken. »Übrigens, Smith, alter Junge, Sie haben wohl keine Rasierklingen, die Sie mir geben könnten?«

      »Keine einzige«, sagte Winston. »Ich benutze dieselbe Klinge schon seit sechs Wochen.«

      »Ah, nun gut – dachte, ich frag Sie einfach mal, alter Junge.«

      »Tut mir leid«, meinte Winston.

      Die quakende Stimme vom Nachbartisch, die während der Bekanntmachung des Ministeriums zwischenzeitlich verstummt war, war von Neuem zu hören, genauso laut wie zuvor. Aus einem unerfindlichen Grund musste Winston plötzlich an Mrs Parsons denken, an ihr strähniges Haar und den Staub in den Falten ihres Gesichts. In spätestens zwei Jahren würden diese Kinder sie bei der Gedankenpolizei denunzieren. Mrs Parsons würde vaporisiert werden. Syme würde vaporisiert werden. O’Brien würde vaporisiert werden. Parsons hingegen würde nie vaporisiert werden. Auch das augenlose Wesen mit der quakenden Stimme würde nie vaporisiert werden. Die kleinen käferartigen Männer, die so flink durch die labyrinthischen Gänge der Ministerien huschten – auch sie würden nie vaporisiert werden. Und die junge Frau mit dem dunklen Haar, die Frau aus der Abteilung für Fiktion – sie würde ebenfalls nie vaporisiert werden. Er hatte das Gefühl, instinktiv zu wissen, wer überleben und wer untergehen würde: Dabei ließ sich gar nicht ohne Weiteres sagen, was genau den Ausschlag für das Überleben gab.

      In diesem Moment wurde er ruckartig aus seinem Tagtraum gerissen. Die junge Frau am Nachbartisch hatte sich halb zu ihm umgedreht und sah ihn nun an. Es war die junge Frau mit dem dunklen Haar. Sie musterte ihn auf eine verstohlene Weise, aber mit merkwürdiger Eindringlichkeit. Kaum, dass sie seinen Blick eingefangen hatte, schaute sie wieder zur Seite.

      Der Schweiß lief Winston den Rücken hinab. Eine schreckliche Angst durchzuckte ihn. Sie verflüchtigte sich gleich wieder, ließ aber ein nagendes Unbehagen zurück. Wieso sah diese Frau ihn so an? Warum folgte sie ihm überallhin? Leider konnte er sich nicht entsinnen, ob sie schon an diesem Tisch gesessen hatte, als er gekommen war, oder erst danach aufgetaucht war. Gestern jedenfalls, während des Zwei-Minuten-Hasses, hatte sie unmittelbar hinter ihm gesessen, obwohl es keinen ersichtlichen Grund dafür gab. Wahrscheinlich hatte sie die Absicht verfolgt, ihn zu belauschen und festzustellen, ob er auch laut genug schrie.

      Sein voriger Gedanke kehrte zurück: Wahrscheinlich war sie gar kein Mitglied der Gedankenpolizei, aber andererseits waren es ja gerade die Amateurspione, von denen die größte Gefahr ausging. Er wusste nicht, wie lange sie ihn schon beobachtet hatte, vielleicht aber schon fünf Minuten, und es war durchaus denkbar, dass er sein Mienenspiel in dieser Zeit nicht ganz unter Kontrolle gehabt hatte. Es war furchtbar gefährlich, den Gedanken freien Lauf zu lassen, wenn man sich in der Öffentlichkeit bewegte oder in Reichweite eines Telemonitors befand. Man konnte sich schon durch eine Kleinigkeit verraten. Eine nervöse Zuckung, ein unbewusster ängstlicher Blick, die Angewohnheit, leise vor sich hin zu murmeln – alles, was nur die Andeutung des Anormalen besaß oder vermuten ließ, man habe etwas zu verbergen. Wie dem auch sei, allein eine unangemessene Miene zur Schau zu stellen (zum Beispiel ungläubig dreinzublicken, wenn ein Sieg verkündet wurde), galt schon als Vergehen, das geahndet wurde. In Neusprech gab es sogar einen Begriff dafür: Gesichtsverbrechen nannte man es.

      Die junge Frau hatte ihm wieder den Rücken zugekehrt. Vielleicht war sie ihm ja doch nicht gefolgt; vielleicht war es Zufall, dass sie an zwei aufeinanderfolgenden Tagen so dicht bei ihm gesessen hatte. Seine Zigarette war ausgegangen, und er legte sie vorsichtig auf die Tischkante. Er würde sie nach der Arbeit zu Ende rauchen, falls es ihm gelang, den Tabak nicht herausrieseln zu lassen. Gut möglich, dass die Person am Nachbartisch eine Spionin der Gedankenpolizei war, und gut möglich, dass er sich binnen drei Tagen in den Kellern des Ministeriums für Liebe wiederfinden würde, aber eine halb gerauchte Zigarette durfte man nicht vergeuden. Syme hatte seinen Papierstreifen zusammengerollt und steckte ihn wieder in die Tasche. Parsons hatte wieder zu reden begonnen.

      »Hab ich Ihnen je erzählt, alter Junge«, gluckste er, das Mundstück der Pfeife zwischen den Zähnen, »dass meine beiden Knirpse mal den Rock der Marktfrau in Brand gesetzt haben, weil sie mitkriegten, wie die Alte ein paar Würstchen in ein Plakat des G. B. wickelte? Haben sich von hinten angeschlichen und ihr den Rock angezündet, mit Streichhölzern. Hat sich ganz schön verbrannt, glaub ich. Kleine Unholde, was? Aber immer auf Zack! Heutzutage kriegen die ein erstklassiges Training bei den Spionen – besser noch als zu meiner Zeit. Wissen Sie, was sie denen erst kürzlich gegeben haben? Hörrohre, damit man besser an Schlüssellöchern lauschen kann! Erst vor kurzem hat meine Kleine eins davon mitgebracht – hat sie an unserer Wohnzimmertür ausprobiert und meinte, sie hat doppelt so viel gehört wie nur mit dem Ohr am Schlüsselloch. Ist natürlich nur ein Spielzeug,


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