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Arkadiertod. Thomas L. ViernauЧитать онлайн книгу.

Arkadiertod - Thomas L. Viernau


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die Existenz des kleinen Schmuckstücks verwundert zur Kenntnis. Allerdings, im Schloss konnte man leider nicht lustwandeln.

       Ein paar Säle dienten bei Musikabenden als passendes Ambiente, aber die meisten Räume waren noch mit den alten Archiven gefüllt, die hier in jahrzehntelanger, mühsamer Arbeit zusammengetragen worden waren.

      

      

      I

      Potsdam, Schloss Lindstedt

      Freitag, 22. Dezember 2006

      Der Nachmittag war trüb und grau. Ein Lichtschein drang aus den hinteren Fenstern des kleinen Schlösschens in den verlassen liegenden Park. Keine Menschenseele war an diesem letzten Arbeitstag vor den Weihnachtsfeiertagen zu sehen. Nur in dem Archiv der Stiftung saß ein Herr in den besten Jahren, also irgendwo zwischen vierzig und fünfzig und stapelte alte Ordner und Bücher.

      Dr. Ingolf Anton Scholetzki, seines Zeichens Archivar und Historiker, lebte seit vielen Jahren inmitten der alten Dokumente und Bücher. Er war zufrieden und glücklich, wenn er sich durch die Aufzeichnungen aus längst vergangenen Zeiten wühlen konnte und den Pulsschlag einer Epoche spürte, die nur noch in Geschichtsbüchern Erwähnung fanden.

      Ihm zur Seite stand seine Assistentin Ina Maria Seidelbast, eine resolute Dame, die im Dienste der Wissenschaft ihre Jugend geopfert hatte und als leicht angegraute Schönheit zum guten Geist des Hauses geworden war.

      Fräulein Seidelbast, so nannte Scholetzki seine Assistentin, war eine begnadete Teekocherin. Sie wusste Bescheid, welche Sorten ihr Chef bevorzugte und wie sie die trockenen Blättchen wieder zum Leben erwecken konnte.

      Früh am Morgen begrüßte sie ihn bereits mit einer Tasse feinstem Yunnan Gold, einem chinesischen Schwarztee mit milder, leicht rauchiger Note. Zum Mittag gab es meist feine Grüntees aus Japan oder Südostchina, die appetitanregend wirken sollten.

      An den Dezembernachmittagen bevorzugte Dr. Scholetzki kräftige Schwarzteesorten aus Indien und Ceylon. Dazu reichte die hilfreiche Seele Fräulein Seidelbast Kekse und Sahne.

      Scholetzki wusste die Vorzüge seiner Assistentin zu schätzen. Fräulein Seidelbast war eine studierte Literaturwissenschaftlerin, konnte ihrem verehrten Chef sehr oft mit sachkundigen Ratschlägen weiterhelfen und verfügte über ein erstaunliches Allgemeinwissen, das weit über dem Durchschnitt lag.

      Durch die engen Gänge der mit Regalen vollgestellten Räume bewegte sich Fräulein Seidelbast mit der diskreten Eleganz einer Gazelle. Scholetzki war das vor längerer Zeit bereits aufgefallen. Als er sie darauf ansprach, lächelte Fräulein Seidelbast verlegen und beichtete ihm, dass sie mal Jugendmeisterin im Sprint über hundert Meter war. Sie lief mit sechzehn schon Zeiten unter zwölf Sekunden.

      Aber das war schon lange her, und damals war das ja auch noch alles ganz anders mit dem Sport und so.

      Ihm, also Scholetzki, war der ganze Sport, speziell aber der Hochleistungssport stets suspekt. Eigentlich waren das doch nur Biomaschinen, die da um Zehntelsekunden und Zentimeter kämpften. Dass nun so ein Wesen aus dieser künstlich gezüchteten Welt bei ihm arbeitete und dazu noch freundlich, nett und kompetent war, verwunderte ihn täglich aufs Neue.

      Scholetzki war ein gemütlicher Büchermensch. Bedächtig bewegte er sich inmitten seiner Schätze, wägte im Kopf lange ab, welchem Stapel er sich zuwenden sollte. Eigentlich sollte er ja Medizin studieren, jedenfalls war es sein früher Wunsch gewesen, oder war es doch eher der Wunsch der ehrgeizigen Eltern?

      Nun ja, so genau wusste er das inzwischen auch nicht mehr. Jedenfalls nach seiner Armeezeit, die er als Sanitäter im Medpunkt der Kaserne verbracht hatte, war sein Interesse an diesem Beruf merklich gesunken.

      Viel mehr interessierte ihn das merkwürdige Eigenleben von Büchern, die es schafften, durch die Zeiten zu kommen. Immer öfter fand er sich in Bibliotheken, vertieft in alte Schriften, fasziniert vom Geruch nach altem Papier.

      Nach einer kurzen Bedenkzeit sattelte er einfach um, verabschiedete sich vom Traum, ein Gott in Weiss zu werden und begann ein Geschichtsstudium.

      Scholetzki promovierte direkt im Anschluss an sein Studium. Er hatte bereits in seiner Studienzeit ein spezielles Interesse an den alten Preußen entwickelt. Seine Doktorarbeit beschäftigte sich natürlich auch mit der Preußenzeit.

      In den Achtzigern waren die Preußen nach damaliger offizieller Lesart ausgesprochen negativ belegt.

      Preußen stand für alles, was der real existierende Sozialismus eigentlich bekämpfen wollte: Militarismus, Nationalismus, Standesdünkel und Überwachungsstaat. Das war umso verwunderlicher, da sich dieser moderne Staat in Wirklichkeit viel preußischer verhielt als er es je zugegeben hätte.

      Die Beschäftigung mit den wirklichen Preußen war den Obersten des Landes daher ausgesprochen suspekt. Scholetzki musste sich diverser Attacken seitens der Hüter der gesellschaftlichen Moral erwehren, schaffte es aber doch, sein Thema durchzuboxen.

      Mehr als zwanzig Jahre waren vergangen. Der rebellische Doktorand Scholetzki war zum gemütlichen Archivar Scholetzki mutiert. Er war es zufrieden. Rebell sein war ihm sowieso nicht ganz geheuer. Sein Interesse an den historisch Ungeliebten machte ihn zwangsläufig dazu. Jetzt waren die Preußen salonfähig geworden. Eine Stiftung hatte sich des preußischen Erbes angenommen, sie wurde Scholetzkis geistiges Zuhause.

      In der Außenstelle des großen Archivs der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war er so etwas wie ein kleiner König. Herrscher über mehr als fünftausend Bücher, siebenhundert Karten und zahllose Folianten, gefüllt mit der Korrespondenz preußischer Beamter und Offiziere. Scholetzkis Glück wurde komplett mit der Anstellung der Assistentin Ina Maria Seidelbast. Diese zauberhafte Person war ihm innerhalb kürzester Zeit unentbehrlich geworden.

      II

      Potsdam, Schloss Lindstedt

      Immer noch Freitag, 22. Dezember 2006

      Draußen war es dunkel geworden. Scholetzki schaute auf seine Taschenuhr, die er in seiner samtgrünen Westentasche an einem messingfarbenen Kettchen trug.

      »Fräulein Seidelbast, ich denke für heute reicht es. Kommen Sie, wir trinken noch einen Selimbong. Ich spendiere eine Runde Zimtsternchen dazu.«

      Die Angesprochene kam aus einem der hinteren Winkel des Archivs hervorgesprungen. Staubflocken bedeckten ihre Steppjacke, die sie stets trug. Die Temperaturen waren trotz Heizung immer zu niedrig.

      »Ach, Herr Scholetzki … Sie wissen doch …!«

      Der Archivar hatte in seinem kleinen Dienstzimmer ein kleines rundes Tischchen stehen, darauf eine Pyramide aus dem Erzgebirge und drei Räuchermännchen. Zwei in die Jahre gekommene Plüschsessel waren von Scholetzki bereits an das Tischchen geschoben worden.

      Fräulein Seidelbast hantierte in der kleinen Küche herum. In einem Hängebord über der Arbeitsplatte waren bestimmt zwanzig verschiedene Teedosen aufgestapelt. Jede Teedose war mit einem Aufkleber versehen, darauf in gut leserlicher Schrift der Name des darin befindlichen Tees.

      Mit der Routine einer Hausdame griff die Frau eine schwarz-goldene Dose, die mit dem Etikett »Darjeeling – Selimbong 2nd flush« versehen war, öffnete sie geschickt, verteilte drei Teelöffel voll der duftigen Blättchen in eine Zylinderglaskanne. Aus dem Wasserkocher goss sie sprudelndes Wasser auf. Fertig.

      Mit der Kanne in der Hand schwebte Fräulein Seidelbast ins Dienstzimmer. Scholetzki hatte die Pyramide in Gang gesetzt und auch die Räuchermännchen bestückt. Aus dem Radio dudelte heiter Besinnliches.

      Es war die blaue Stunde. Ein tägliches Ritual, das eine ungewöhnliche Vertrautheit zwischen den beiden Menschen im Archiv erzeugte. Die gemeinsame Leidenschaft für das aromatische Heißgetränk verband Scholetzki mit der Frau in der Steppjacke. Erstaunlicherweise siezten sich die Beiden immer noch. Eine unausgesprochene Vereinbarung schien ihn davon abzuhalten,


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