Nixentod. Thomas L. ViernauЧитать онлайн книгу.
vor sich hin trällernd, kam immer wieder zu ihm, umarmte ihn und strahlte ihn aus ihren rehbraunen Augen an. War das alles nicht wahr, war es nur ein Trugbild gewesen?
Sie hatten intensiv miteinander gelebt, vieles gemeinsam gemacht, waren alltagstauglich – so hatte Zach die Beziehung mit ihr immer eingeschätzt. Und nun?
Wieder schoben sich die roten Buchstaben bedrohlich vor sein inneres Auge. Warum? Warum? Warum? Ratlos kreuzte er durch die leeren Straßen Berlins.
Am Abend kam er zurück in die Wohnung. Das erste, was er spürte, war die Leere. Sie war nicht da. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel.
»Bin bei Freunden«, stand da geschrieben. Zach saß im Wohnzimmer etwas verloren auf dem Sofa. Im Flur rumorten die beiden Katzen. Hatten wohl Hunger. Automatisch holte er zwei Dosen Futter, öffnete sie und schüttete den streng riechenden Inhalt in die beiden Näpfe. Die Katzen, ein bunt geschecktes Kätzchen und ein großer, grauer Tiger schnurrten schon in Erwartung der Leckerbissen. Karolin hing an den Katzen, egal wie sie sich benahmen und was sie anstellten.
Oft saß sie im Sessel und streichelte stundenlang den Katzen das Fell und flüsterte ihnen irgendwelche Geschichten ins Ohr oder kümmerte sich um die langen Krallen. Die Tiere ließen diese Prozedur mit stoischer Ruhe über sich ergehen.
Wenn Zach kam, stoben sie meist auf und davon. Das hing mit einigen unschönen Zusammenstössen zwischen ihm und den beiden Fellträgern zusammen.
In der Küche hatte er sie schon beim Räubern ertappt und entsprechend reagiert. Karolin schritt sofort ein: »Was können die armen Tiere dafür, wenn wir die Sachen liegenlassen!« Zach schüttelte den Kopf über diese Art von Tierliebe. Ihm ging das eindeutig zu weit. Aber letztendlich ließ er sie gewähren. Es war ja nicht lebenswichtig.
Er schnappte mit der Fernbedienung den Fernseher an. Klickte sich durch die Programme, nichts konnte ihn ablenken. Irgendwo blieb er bei einer Talkrunde hängen. Dem Gespräch konnte er nicht so richtig folgen, mit einem Ohr lauschte er immer Richtung Tür, doch nichts passierte. Sie kam die ganze Nacht nicht. Irgendwann dämmerte er für ein paar Minuten weg.
Berlin-Wedding
Donnerstag, 29. Dezember 2005
Übermüdet und vollkommen trostlos stand Zach am Fenster und beobachtete das Treiben der Flocken, die an diesem Dezembertag erste weiße Teppiche in der Stadt bildeten.
Eigentlich hatte er ja eine große Silvesterparty mit vielen Freunden geplant, aber irgendwie hatte er nicht den Mut, allen abzusagen. Karolin war heute früh zurückgekommen. Sie wich ihm aus, huschte nur durch die Zimmer wie eine Schattengestalt. Wortlos hatte sie ihm wieder einen mehrseitigen Brief in die Hand gedrückt, in dem sie ihm ihre Gründe für den plötzlichen Bruch noch einmal aufgeschrieben hatte.
Der etwas verworren gehaltene Text hatte für Zach nichts Neues gebracht, nur noch mehr Rätsel bauten sich vor ihm auf. Er zweifelte daran, dass diese Frau hier seine Lebensgefährtin war. Wie ausgewechselt erschien sie, als ob jemand einen Schalter in ihrem Kopf umgelegt habe. Er versuchte erneut, mit ihr ins Gespräch zu kommen. In der Küche saßen sie sich am Tisch gegenüber.
Er hatte Tee zubereitet. Jeder hielt sich an seiner Tasse fest, als ob es sonst keinen Halt mehr gäbe. Zach spürte, dass ein Bruch durch die Beziehung ging, der nicht mehr zu kitten war, aber er wollte sich diese bittere Erkenntnis nicht eingestehen.
Zu sehr hing er noch dieser Illusion einer glücklichen Zeit zu zweit nach. Er schaute ihr in die Augen, die sonst immer seinen Blick erwidert hatten und ihn mit einem wohligen Schauer in die Gewissheit versetzt hatten, grenzenlos geliebt zu werden.
Jetzt war der Blick verhuscht, etwas war erloschen. Er spürte auch, dass Karolin ihm etwas verheimlichte. Ein Gespräch wollte nicht so recht zustande kommen. Seine Kehle schnürte sich immer mehr zu, je länger er so saß und sie beobachtete. Ihr schien dieses Sitzen am gemeinsamen Tisch sichtliches Unbehagen zu bereiten.
Die Unruhe, die von ihr ausging, übertrug sich auch auf Zach. Er sprang schließlich auf, konnte sich nicht mehr beherrschen.
»Was hast du gemacht! Bist du dir sicher, dass du das so willst?« Sie schwieg, schaute kurz mit einem seltsamen Blick zu ihm auf und zog sich innerhalb eines Sekundenbruchteils noch weiter in sich selbst zurück.
Etwas schien von ihr Besitz ergriffen zu haben, dessen sie sich selber noch gar nicht so richtig bewusstgeworden war. Sie wirkte wie ein gehetztes Tier, welches in die Ecke getrieben worden war.
Zach merkte, dass er mit seinen lauten Vorwürfen nichts bewirkte, schüttelte den Kopf und verließ die Küche.
Er musste raus aus der Wohnung, er brauchte andere Luft und andere Gedanken. Innerhalb weniger Stunden war sein persönliches Glück in sich zusammengefallen wie ein marodes Haus. Und er saß mitten drin, ohne eine Möglichkeit, den Zusammenbruch aufhalten zu können.
Wortlos schnappte er sich seine karierte Winterjacke, knallte die Tür hinter sich zu und stürmte die Treppenstufen hinab. Im Kopf drehte es sich bloß noch.
Dauernd erschien das »Warum?« vor seinem inneren Auge. Er suchte sein Auto, einen großen, dunkelblauen Kombiwagen. Etwas Vertrautes ging für ihn von seinem Wagen aus. Er fuhr oft damit durch die Stadt, wenn er seinen Kunden Ware auslieferte oder selber Waren abholte von den Speditionslagern. Hier drinnen fühlte er sich stets geborgen. Wenn die Wagentür ins Schloss fiel und der Stadtlärm schlagartig abebbte, atmete er stets tief durch. Der Stress baute sich automatisch ab. Auf diesen Effekt hoffte Zach auch jetzt wieder. Just in dem Augenblick, als er einsteigen wollte, klingelte in seiner Jackentasche das Handy. Etwas unwillig kramte er es hervor.
Eine helle Kinderstimme ertönte: »Papa, wann kommst du? Ich warte schon auf dich ...«
Natürlich, Adrian, sein kleiner Sohn wartete auf ihn. Heute sollte er ihn bei seiner Exfrau abholen, um die restlichen Ferientage bei ihm und Karolin zu verbringen, auch Silvester wollte er mitfeiern.
»Ich bin schon auf dem Weg zu dir. Mach dich schon mal fertig und pack deine Sachen zusammen...«, antwortete er betont fröhlich.
Er startete seinen Wagen und fuhr los Richtung Ostteil der Stadt, wo er früher gelebt hatte und wo jetzt noch seine Exfrau mit dem Jungen lebte. Sieben Jahre war diese Trennung nun schon wieder her. Damals brach für Zach ebenfalls eine Welt zusammen. Die Frau, die er liebte, mit der er den mühsamen Weg der Nachwendezeit bewältigt hatte und mit der er einen Sohn hatte, den er abgöttisch liebte, wandte sich ab von ihm.
Ihr war die Karriere wichtiger geworden als die Familie. Zach hatte damals hilflos mit ansehen müssen, wie die Beziehung nach und nach zerbröckelte. Er war unfähig, der Erosion etwas entgegenzusetzen, verfiel in ein depressives Grübeln. Es wurde kaum noch mit einander geredet. Er war jedes Mal froh, wenn er die Wohnung verlassen konnte, und gruselte sich schon vor dem Abend, wenn er in die Welt des Schweigens zurückkehren musste. Irgendwann hielt er es nicht mehr aus und lief davon. Er begann dann wieder beim Punkt Null und baute sich ein neues Leben auf.
Anfangs war es schwierig, das Leben so allein zu meistern. Hinzu kam, dass der Kleine damals erst zwei Jahre alt war. Sonntagnachmittags holte er ihn ab und brachte ihn, kaum ein Wort mit seiner Exfrau wechselnd, abends wieder zurück. Meist ging er mit dem Kleinen auf einen Spielplatz oder, wenn das Wetter schön war, in den Zoo.
Er sehnte diese Sonntagnachmittage herbei, freute sich die ganze Woche darauf. Dann überschüttete er den Kleinen mit Spielsachen und anderen kleinen Geschenken. Irgendwie hatte er dem Jungen gegenüber stets ein schlechtes Gewissen. Er war ja schließlich davongelaufen.
Es hatte lange gedauert, bis er sich aus diesem Tal herausgearbeitet hatte. Dann hatte er vor drei Jahren diese Begegnung, die sein Leben auf einem Schlag veränderte. Er glaubte bis dahin nicht an Liebe auf den ersten Blick, aber als er diese Frau dann sah, war es um ihn geschehen.
Sie strahlte ihn an und er lächelte scheu zurück. Das war der Beginn einer wunderbaren Liebe. Zach fühlte sich plötzlich wieder auf der Sonnenseite. Schnell waren er und Karolin sich einig.
Man zog zusammen. Sie lebte damals mit ihrer