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Hölle auf zwei Rädern. Kerrie DrobanЧитать онлайн книгу.

Hölle auf zwei Rädern - Kerrie Droban


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Geschichte gibt es zwei Seiten: Die Wahrheit und die falsche, ausgedachte Story. Stell dir mal diese Kirmesspiegel vor. Jeder zeigt ein unterschiedliches Bild desselben Gegenstandes. Die Kunst liegt darin, sich den richtigen auszusuchen.“

      „Und wenn ich den falschen wähle.“

      „Dann prasselt das ganze Glas auf deinen Kopf.

      „Und wie findest du den richtigen?“

      „Hör mal zu“, meinte er knapp. „Stell dir vor, ein Typ erzählt eine Story über einen anderen Kerl. Danach bittet er dich, dass du dich um seine Geschäfte kümmern sollst. Hör dir danach den anderen an, wie er die Geschichte aus seiner Sicht erzählt. Erst dann entscheidest du dich, wem du den Schädel zertrümmerst.“

      Das ergab einen Sinn.

      „Es ist der Unterschied zwischen dem Tierinstinkt und der menschlichen Beherrschung und Zurückhaltung“, fuhr er fort, doch ich kapierte nicht genau, was er meinte. „Stell dir Löwen vor, die im Käfig herum stolzieren. Der Zoowärter lässt einen Ziegenbock in das Gehege. Was machen die Löwen nun?“

      „Sie greifen ihn an.“ Ich zuckte mit den Schultern. Zu der Zeit schien diese Frage lächerlich einfach zu sein. Mit dem Strohhalm fischte ich nach Eisbrocken in meinem Kaltgetränk und kaute darauf rum. Durch die feuchte Luft hatten sich Schweißflecken auf meinem T-Shirt gebildet. Es sah bedrohlich nach einem Regenschauer aus.

      „Genau. Es ist Instinkt. Ihnen ist es egal, ob vielleicht ein Hirsch in einer Minute vor ihrer Nase seht. Sie jagen die Beute, die sie leicht und schnell fangen können. Wir können uns so ein Verhalten nicht leisten und müssen überlegen, denn der Hirsch kann möglicherweise die bessere Mahlzeit sein. Kannst du mir folgen?“

      „Ich glaube schon.“ Ich runzelte die Stirn und schmiss den leeren Pappbecher in den Müll.

      Am Abend nahm mich Saint auf eine Spritztour mit, um die Theorie in der freien Wildbahn zu beweisen. Ich schlüpfte auf den Rücksitz des Lincoln Continental und schnappte mir das Happy Meal von McDonald’s. Mein Gesicht schmerzte fast vor Lächeln.

      „Aufgeregt?“ Ich konnte das breite Grinsen von Saint im Rückspiegel sehen.

      Ich nickte und leckte Ketchup von meinen Fingern. Natürlich spürte ich die Aufregung, denn ich war ja erst zehn.

      „Dein erster Auftrag!“ Er warf mir eine Serviette zu. „Wisch dir das Gesicht ab, Kleiner.“ Mein Herz raste. Das würde ein ganz großes Ding werden.

      Wir holten Dagger ab, der eine kugelsichere Weste auf der nackten Haut trug. Er rutschte auf den Beifahrersitz und sah aus wie James Dean mit seinem kurz geschnittenen, blonden Haar, der reinen, nicht tätowierten Haut und dem extrem durchtrainierten Körper. Er arbeitete als „Steuereintreiber“ für die Mafia. Es wurde von allen Geschäftsleuten erwartet, der Mafia oder den Pagans eine „Straßensteuer“ zu bezahlen, für das Privileg, in deren Territorium einen Laden zu führen. Dagger machte sich als Verstärkung für die Mafia nützlich, eine Art Finanzbeamter mit stahlharten Muskeln.

      „Hey, Kleiner.“ Er nickte mir zu. Es schien keinen zu stören, dass ich da einfach mittrottete.

      Wir fuhren endlos lange durch kurvenreiche Wohngebiete mit trüben Straßenlaternen, bis wir bei einer kleinen Eckkneipe ankamen, die in einem Teil der Stadt lag, den ich nicht kannte. Es musste kurz nach Ladenschluss sein. Die Bar war dunkel, bis auf einen Lichtkegel, der den Tresen beleuchtete. Saint parkte in der zweiten Reihe und stieg aus. Die Fenster waren durch schmiedeeiserne Stangen gesichert, und die Eingangstür mit zentimeterdickem Blech beschlagen. Dagger gab mir ein Zeichen einzutreten, deutete auf einen Tisch hinten im Raum, an den ich mich schnell setzen sollte. Zu dieser Zeit hatten sich schon alle Gäste auf den Heimweg gemacht. Leise Musik drang aus der Jukebox.

      Der Geruch von abgestandenem Bier zog in meine Nase. Ich hüpfte auf einen Drehstuhl, der so hoch war, dass meine Beine nicht mehr den Boden erreichten. Von dem scharfen Rauch brannten mir die Augen. Der Aschenbecher auf der Theke war wie die Hand eines Gorillas geformt und quoll über mit Kippen. Neben einem langstieligen, mit Lippenstift beschmierten Glas, hatte sich eine kleine Pfütze gebildet. Schatten tanzten auf der Wand. Ich hielt mich mit den Händen an der Unterseite des Tischs fest, an der ein altes Kaugummi klebte, und starrte den Besitzer an, einen gauhaarigen Italiener mit einem zusammengekniffenen, roten Gesicht. Er legte sein Handtuch hin, stellte ein Glas ins Regal, trocknete ein weiteres ab und fragte Saint und Dagger: „Womit kann ich Ihnen dienen, Gentlemen?“

      Ich bemerkte ein leichtes Zittern in der Stimme. Das Glas in seiner Hand begann leicht zu vibrieren. Plötzlich schien sich der Raum elektrisch aufzuladen. Der Italiener wurde sichtlich blasser. Die kleinen Venen in seinen Wangen stachen deutlicher hervor. Niemand hatte mich auf so eine Situation vorbereitet, aber ich ahnte, was kommen würde. Angst saß mir im Nacken.

      „Wir sind hier, um die Steuern zu kassieren“, sagte Dagger frei heraus. Er ließ die Knöchel seiner Hand knacken und schob die Weste leicht zur Seite. Eine Pistole steckte im Gürtel. Der Mann schluckte. Sein Adamsapfel zuckte nervös von unten nach oben. Die Pagans arbeiteten für die Mafia und trieben Geld von Barbesitzern, Kleinkriminellen und Drogengangs ein. Sie waren die „großen, harten Jungs“. Der Mafiosi Ralph Natale sagte einmal: „Wenn die Pagans in einem Club auftauchten, schüchterte das sogar die anderen Kriminellen ein. Die Pagans waren überall an der Ostküste zu finden – kontrollierten Nutten, Pornoringe, das Drogengeschäft und die Schutzgelderpressung. Und sie hatten überhaupt kein Problem damit, zu morden, wenn sie mal so weit gehen mussten.“

      „Ich habe schon bezahlt.“ Der Besitzer setzte eine unschuldige Miene auf. Trotzdem zuckte ein Muskel in seinem Gesicht. Ich spürte die Anspannung wie eine Welle, die über mich hinweg schoss.

      „Sagt wer?“, fragte Saint. Sein Blick war kalt, eiskalt, und ich wusste sofort, dass etwas nicht stimmte.

      „Giovanni“, entgegnete der Italiener.

      „Was denkst du?“, knurrte Saint in meine Richtung. „Sollen wir Giovanni fragen?“

      „Das kann nicht schaden“, antwortete ich und dachte, dass der Barbesitzer sich wie ein Ochse verhielt.

      Dagger zuckte mit den Schultern. „Wir werden Giovanni fragen.“ Er schüttete sein Bier in einem langen Zug runter und rülpste. Ich hatte keine Ahnung, wer Giovanni war, mutmaßte aber, dass es der Mafiosi sein musste, der Dagger damit beauftragte, die ganzen ausstehenden Steuern zu kassieren. Damals konnte ich nicht verstehen, wieso der Italiener so leichtfertig und dumm log. Heute weiß ich warum: er wollte Zeit schinden. Sein Schicksal war längst besiegelt – er war schon jetzt ein toter Mann. Er hatte die Steuern nicht gezahlt und besaß kein Geld. Da konnte er nicht mit einer einfachen Entschuldigung oder mit irgendwelchen Ausreden um die Ecke kommen. Er muss gewusst haben, dass man Giovanni nicht von seiner Position abbringen kann. Auch Dagger muss das gewusst haben, doch er spielte einfach mit. Hier hatte ich ein Beispiel für die Geschichte von der Wahl des richtigen Spiegels direkt vor Augen – die Wahrheit und die falsche, erfundene Story.

      Auf der Oberlippe des Barbesitzers bildeten sich Schweißperlen. Eine lange Zeit sprach niemand ein Sterbenswörtchen. Der Italiener lächelte gequält, stützte sich mit den Händen auf der Theke ab und wartete.

      Wir zogen ab und setzten uns in den Wagen. Dagger platzierte den Revolver im Handschuhfach. „Für den Fall, dass wir von den Bullen angehalten werden“, sagte er und gestikulierte in meine Richtung. Er wollte sich versichern, dass ich wusste, wo er die Knarre verstaut hatte. Ich fühlte mich plötzlich wichtig. Dann fuhren wir zu Giovanni.

      Saint hämmerte an Giovannis Tür. Es war drei Uhr morgens. Offensichtlich hatten wir ihn aus dem Schlaf gerissen, denn er stand mit blauen Boxer-Shorts, langen, schwarzen Socken und Pantoffeln im Türrahmen. Sein Haar sah zerzaust aus. Das Gespräch dauerte ungefähr drei Minuten. Während der ganzen Zeit saß ich im Wagen. Ich konnte wildes Gestikulieren und Kopfschütteln beobachten – Giovanni kannte keine Gnade. Saint und Dagger kehrten zu unserer Karre zurück und ließen sich in die Sitze fallen.

      „Er sagte, dass er nicht den kleinsten Schiss bekommen hat“, meinte Saint,


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