Zertrumpelt. Corey TaylorЧитать онлайн книгу.
Weiße und Blaue. Asiaten, Latinos und Ureinwohner. Christen und Moslems und Juden. Ihr alle seid mir wichtig – sogar diese rückgratlosen Arschkriecher im Kongress, die ausgerechnet Leuten, die sich einen winzigen Halt im Leben aufgebaut haben, den Teppich unter den Füßen wegziehen, weil das gerade der Parteilinie entspricht. Mir ist die Human Rights Campaign, die sich für die Rechte der LGBT-Gemeinde einsetzt, genauso wichtig wie DJT, um Mr. Quietschorange mal bei seinen Initialen zu nennen. Mir ist jeder wichtig, der Amerika als sein Land beanspruchen kann, ob er hier geboren oder später adoptiert wurde.
Und jetzt fragt mich mal, ob ich mit diesen ganzen Typen einer Meinung bin.
Natürlich nicht. Das ist auch mein Vorrecht als Tier mit aufrechtem Gang und vernunftbegabter Denke, und es ist mein Recht als amerikanischer Bürger. Im Leben gibt es zwei unverrückbare Wahrheiten: Dass alles, was geboren wird, auch sterben muss, und dass nicht jeder genauso denken wird wie wir. Schon über diese Aussage könnte man jetzt diskutieren, und ich bin mir sicher, dass es aus den dunklen Chatrooms und Message Boards da draußen ruckzuck in die digitale Welt hinausschallen wird: „Naja, aber dass man geboren wird, ist ja nicht zwangsläufig, und deswegen bla bla bla …“ – „Sowas würde wohl nur ein Faschist behaupten, bla bla bla …“ – „TL;DR … Corey Taylor sollte sich besser aufs Singen konzentrieren und ansonsten die Klappe halten …“ – „Das nennst du singen? Wahrscheinlich hast du noch nie einen Song von dem gehört …“ So sehen die Unterhaltungen von Leuten aus, die irgendwann mal die Geschicke unseres Landes bestimmen werden. Wenn ihr euch angesichts dessen nicht vor Angst in die Hosen scheißt, dann nur deswegen, weil ihr selbst zu den Einwohnern von Crazy Town, USA, gehört, Einwohnerzahl VERDAMMTE SCHEISSE NOCHMAL ALLE. Und dann fragt ihr euch, wieso die hart arbeitenden Leute im Rust Belt oder südlich der Mason-Dixon-Linie euch angucken, als wärt ihr aus irgendeiner Klapse ausgebrochen.
Dazu habe ich eine Menge zu sagen, und das sollte wohl auch niemanden überraschen, der mit meiner Arbeit vertraut ist: Ich habe schließlich immer meine Klappe aufgemacht und zu allem und jedem meinen Senf abgegeben. Das werden wir noch sehen. Aber bis dahin will ich eins klarstellen: Es ist nicht meine Absicht, irgendjemanden zu beleidigen. Das hier sind nur meine Gedanken über den aktuellen Zustand der USA. Damit will ich euch nicht eure eigenen Gedanken madig machen, und ich versuche auch nicht, eine Delle in eure Überzeugungen zu schlagen, sondern will nur für mich selbst ein paar Sachen klären. Wenn ich dabei zufällig auch einigen von euch dabei helfen sollte, eins und eins zusammenzuzählen (das ergibt übrigens zwei), dann mit eurer Zustimmung und nicht gegen euren Willen. Denn ihr habt dieses Buch ja schließlich gekauft. Ihr hättet es natürlich auch klauen können, aber das müsst ihr wahrscheinlich gar nicht – ich bin mir sicher, ich trete so vielen Leuten auf die Füße, und wenn es nur mit einem falsch interpretierten Satz ist, dass es nicht lange dauern wird, bis es überall in den Sonderangebotskisten landet oder gebraucht zu haben ist. Das macht mir aber keine Kopfschmerzen. Ich gehe sowieso davon aus, dass ein Teil meiner Bücher lediglich zum Kaminanzünden benutzt wird. Mich überwältigt es immer wieder, wenn ich an Leute gerate, die sie tatsächlich gelesen haben.
Aber es gibt jede Menge zu diskutieren, nachdem ich den eigentlichen Anfang lange genug vor mir hergeschoben habe, wird es langsam mal Zeit. Jetzt habe ich auch den inneren Frieden gefunden, der sich automatisch einstellt, wenn man die Straße vor sich liegen sieht und weiß, was man tun, sagen und sehen soll. Mein Ziel ist klar: Ich will uns alle wieder in die Mitte zurückholen, und wenn es sein muss, dann werde ich euch auf dem Weg dahin eben auch sagen, dass ihr euch irrt, dass ihr blöd seid oder beides. Nur ein Vollidiot, dem die Menschen in den USA wirklich am Herzen liegen, wäre so bekloppt, das zu versuchen. Aber ich tu’s trotzdem. Vielleicht werde ich dadurch noch zum Heiligen; hoffen wir mal, dass keiner einen Märtyrer aus mir macht. Wir sind jetzt schon so weit gekommen, ihr Großkapitalisten, dass wir unsere fetten Ärsche auch noch ganz bis auf den Gipfel schleppen könnten, bevor die Sonne untergeht … für uns alle.
Ich sag’s noch einmal: Niemand muss dieses Buch lesen. Niemand muss es kaufen, leihen, lesen oder glauben, was drinsteht. Euch kann komplett am Arsch vorbeigehen, was ich zu wissen glaube. Wahrscheinlich habt ihr das Buch sowieso bloß wegen des Covers gekauft oder weil ihr meine Bands kennt. Aber wie gesagt, ich will auch keinem vorschreiben, was er über unser Land zu denken hat. Wir sind niemals alle intellektuell auf derselben Wellenlänge. Können wir versuchen, klar, aber das wird nie klappen – das ist ja das Schöne an der menschlichen Natur. Wenn ihr eure festgefahrene Meinung habt, bitte, dann ist das so. Wenn ihr unsicher seid, was eure Gedanken oder Gefühle betrifft, dann lest gerne weiter. Ich möchte uns allen einfach nur ein paar Dinge aufzeigen, und dann werde ich auch ganz zufrieden Ruhe geben.
Kann sein, dass dieses Buch kein Happy End haben wird. Normalerweise versuche ich in meinen Büchern ja, im letzten Kapitel noch einen positiven Ausblick zu formulieren, aber das klappt dieses Mal vielleicht nicht. Das hier wird ein ziemlich gnadenloser Blick auf die Vereinigten Staaten von Amerika der heutigen Zeit. Einigen von euch wird das vielleicht nicht gefallen. Aber ich hoffe, es wird zumindest eine einigermaßen faire Darstellung. Wie ihr alle werde ich mein Bestes geben, um optimistisch zu sein, aber nicht naiv. Ich werde versuchen, konstruktiv zu bleiben und nicht negativ reaktionär. Lieber die Dinge von allen Seiten betrachten und überlegen, wie wir in diese Scheißsituation gekommen sind. Meine schöne Welt der Neunziger hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren so hässlich verändert, dass ich mich schäme – nicht für andere, sondern für mich. Wenn du den Fuß vom Gas nimmst, bleibt die Karre irgendwann stehen. Wenn du nicht guckst, wohin der Ball fliegt, dann knallt er dir ins Gesicht und bricht dir die Nase. So ist es mir ergangen. Verdammt, nicht nur mir, sondern wahrscheinlich drei Fünfteln aller Leute im Land. Jetzt wäre es an der Zeit, mal wieder aufzuwachen, zu retten, was noch zu retten ist und zumindest zu versuchen, die Dinge wieder einigermaßen ins Lot zu bringen.
Die andere Möglichkeit wäre, sich zurückzulehnen und so zu tun, als wäre das alles eine Illusion oder, schlimmer noch, ein Traum, aus dem wir alle irgendwann aufwachen. Oder man macht es wie die größten Oberärsche und stolziert herum, als wäre mit diesem Land alles in schönster Ordnung, als gäbe es kein Privileg weißer Männer, keine brutale Polizeigewalt, keinen Krieg zwischen den Klassen, und wir können uns gemütlich aufs Sofa setzen und uns die x-te Folge von Matlock oder Mord ist ihr Hobby in der x-ten Wiederholung angucken. Keine Ahnung, wieso mir gerade diese beiden Serien einfallen – ich liebe Matlock, und Angela Lansbury ist einfach klasse. Aber ihr versteht schon, was ich meine. Nichtstun ist auch ein Statement, und manchmal hat auch das seine Wirkung. Das wäre wie ein Sit-In, bei dem ihr allerdings überhaupt kein Interesse an dem Problem hättet, gegen das ihr protestiert.
Aber das ist euer gutes Recht, so wie es mein gutes Recht als Amerikaner ist, darüber meine Sprüche abzulassen. Wie ich schon gesagt habe, das hier wird kein Spaß, es gibt vielleicht kein Happy-End, und vielleicht sind wir am Ende dieser Schwarte hier nicht mal mehr Freunde oder nette Bekannte. Das Risiko gehe ich jedes Mal ein, wenn ich meine ungefilterte Meinung auf virtuelles Papier bringe: dass man mich zitiert und auseinandernimmt. Mir ist scheißegal, ob ihr meiner Meinung seid oder nicht, da bin ich ganz ernst. Auch, wenn ich nicht Ernst heiße, haha. So denke ich eben. Und das werde ich wahrscheinlich auch immer tun. Vielleicht macht euch das Buch zum Riesen-Scheiß-Spielverderber im Zusammenleben mit anderen. Aber wenn ihr zu unserer gemeinsamen Reise bereit seid, dann lehnt euch zurück, setzt euch den rotweißblauen Motorradhelm auf und drückt auf die Tube, ihr Easy Rider.
Vergesst nicht, nach dem Einatmen die Luft anzuhalten.
Nieder mit den Faschisten.
Als Kind glaubte ich wirklich an Superhelden. Ich weiß, das war bekloppt, oder? Ich war damals noch klein, aber das war wirklich so. Ich habe an Superhelden geglaubt. Für mich waren sie so real wie die Menschen um mich herum: Spider Man, der sich von einem Gebäude zum nächsten schwang, Batman, der mit seinem Verstand und seinen Fäusten gegen Clowns antrat, Iron Man, der mit Superman und Hawkman durch die Wolken zischte, der Hulk, der durch die Landschaft stapfte, um gegen Aliens zu kämpfen – das alles war in meinen Augen nicht frei erfunden. Das waren für mich nicht nur Geschichten, sondern echte Nachrichten! Dass man sie immer nur gezeichnet