Bauphysik-Kalender 2021. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
Seit Beginn der kollektiven Schadenserfahrung kämpft die Gesellschaft darum, in brandfreien Zeiten für die Brandkatastrophe vorzubeugen. Ein Kampf, der offensichtlich nicht in jedem Fall gewonnen wurde und manchmal mehrere Jahrhunderte dauerte. Und so neigt auch der moderne Staat des 21. Jahrhunderts dazu, Ressourcen anderweitig als im Brandschutz einsetzen zu wollen, was legitim ist, aber mit Sorgfalt und Weitsicht abgewogen werden muss.
Das Brandrisiko ist ein systemimmanentes Risiko. Es ist untrennbar mit dem menschlichen Leben verbunden. Es hat seinen Ursprung im menschlichen Handeln. Solange der Mensch kann, handelt er und erzeugt so Brandgefahren. Kein menschliches Handeln ist fehlerfrei oder frei von Optionen, sodass der Mensch mit jeder Tat ein Risiko eingeht, dem allerdings auch eine Chance gegenübersteht. Einerseits besteht das Risiko, einem Brandgeschehen ausgesetzt zu werden und Werte oder gar das Leben zu verlieren und andererseits die Chance, durch zielgenaues, aber gefahrenbehaftetes Handeln Werte zu schaffen. Es ist das Risiko, dem sich der Mensch täglich seit Jahrhunderten aussetzt; in eine Gefahrensituation zu kommen oder ihr auszuweichen.
Bild 1. Die Aneignung des Feuers, 1547, Johann Petrejus [1]
Der handelnde Mensch erlebt dieses Wechselspiel und entscheidet kontrolliert oder unkontrolliert, beeinflussbar oder unausweichlich, abhängig oder ohne Rücksicht, bewusst oder unbewusst über „Wohl und Wehe“ seines Daseins. Dabei liegt es in der Natur des Menschen, ein lange erfahrenes und stetig steigendes „Wohl“ allzu leicht und ohne Not zu opfern, indem er Bewährtes in Frage stellt oder alternativlose Sicherheit durch Einsparungen, Unachtsamkeit oder gar Unbedachtheit gefährdet. Dies lässt sich einerseits aus dem obrigkeitlichen Handeln, aber auch aus der örtlich sehr differenten Durchsetzung der Gesetze und Regeln erkennen. Schauen wir also zunächst auf die drei Grundformen der Gesetzgebung.
1.2 Grundformen der Gesetzgebung
Die Geschichte des Brandschutzes ist vor allem eine Geschichte des Brandschutzrechtes. Eine Darstellung der Brandschutzgeschichte muss sich also damit befassen, welche Normen und Regeln in der Gesellschaft für die Brandsicherheit sorgten, wer sie in Kraft setzte und wer deren Einhaltung kontrollierte.
Drei Grundformen der Gesetzgebung sind daher für die Bewertung der Rechtskraft und Verbindlichkeit der Brandschutzvorschriften von Bedeutung:
1 Das Weistum ist die älteste Gesetzesform (Privatrechtsbuch, siehe Bild 2). Sie umschreibt die „natürliche Ordnung des Lebens“. Sie stand über dem Einzelnen, dem Volk und auch über dem König.
2 Die Satzung ist eine Absprache, eine „willkürliche“ Einigung zwischen Rechtsgenossen (Beispiele siehe Bild 3). Es handelt sich um ein Rechtsgeschäft, in dem die einzuhaltenden Regeln und gleichzeitig die Rechtsfolgen für die Rechtsgenossen in einer Schwurgemeinschaft benannt sind. Gebunden ist der, der durch Eid zugestimmt hat.
3 Das Gebot ist ein von der Obrigkeit gegebener Befehl. Er erfordert einseitig Gehorsam. Ein Gebot hat umfassende Verbindlichkeit für jeden (Bild 4).
Natürlich trieben auch Bauwirtschaft und Bautechnik den Brandschutz voran und durch die Möglichkeiten der Löschtechnik wurde er gelegentlich sogar beflügelt. Aber Taktgeber der Entwicklung waren immer die kollektive Schadenserfahrung und die darauffolgenden gesetzlichen Präventionen.
1.3 Zeitabschnitte der Brandschutzentwicklung
Nach [1] kann die Brandschutzentwicklung drei Zeitabschnitten zugeordnet werden, die jeweils markante Veränderungen sowie sichtbare Tendenzen umfassen, wobei keine scharfe Grenze zu ziehen ist, sondern Überschneidungen erkennbar sind, die einerseits lokale, andererseits aber auch gesellschaftspolitische Ursachen haben können.
Bild 2. Heidelberger Sachsenspiegel aus dem 14. Jh. (aus [1])
Bild 3. FeuO Nürnberg 1616 und Braunschweig 1677 (aus [1])
Bild 4. Preußisches ALR, 1794 (aus [1])
Bild 5. Zeitstrahl zur Brandschutzentwicklung bezogen auf das Stadt-, das Land- und das Reichsrecht
1 Zeitabschnitt der Brandschutzentwicklung im Sinne des GemeinnutzesDer 1. Abschnitt umfasst das Späte Mittelalter vom 13. bis 15. Jahrhundert und ist geprägt von der Kodifikation des Gewohnheitsrechtes, also dem schriftlichen Zusammenführen der zumeist mündlich verbreiteten Gewohnheits- und Ordnungsregeln (Stammesrecht, Volksrecht). Brandschutz erscheint als Weistum im Landrecht. Erste städtische Feuerordnungen entstehen. Wichtigstes Vorschriftenwerk dieser Zeit ist Der Sachsenspiegel.
2 Zeitabschnitt der Brandschutzentwicklung im Zeichen der GefahrenabwehrDer 2. Abschnitt umfasst die Frühe Neuzeit vom 16. bis 18. Jahrhundert. Er ist geprägt von der Präzisierung und Erweiterung der Brandschutzvorschriften als Satzungen, welche zunehmend den vorbeugenden baulichen Bandschutz zum Inhalt hatten. Das Bürgertum löste sich in den Städten immer mehr von der Gottesgnade und praktizierte zunehmend eine vorbeugende Gefahrenabwehr, forciert von den technischen Errungenschaften im 18. Jahrhundert.
3 Zeitabschnitt in der Brandschutzentwicklung im Kontext der StaatsfürsorgeDer 3. Abschnitt umfasst die Moderne des 19. und 20. Jahrhundert. Brandschutz erscheint hier überwiegend als Gebot im Landesrecht. Dieser Entwicklungsabschnitt ist geprägt vom technischen Fortschritt und von der Konzentration der Werte. Einzelbrände verursachen nun hohe Schäden, obwohl die Bau- und Feuerverordnungen im Zuge der Staatsfürsorge immer dichter werden. Wir sehen im 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhundert die größte Regelungsdichte (ca. 1600 Bauordnungen im deutschen Reich [1]), was schließlich 1880 zur Vorlage der ersten gesamtdeutschen Bau- und Brandschutzordnung führte, die jedoch nie rechtskräftig wurde. Einzig die DDR zentralisierte den Brandschutz, sodass für 40 Jahre eine Deutsche Bauordnung für das Staatsgebiet der DDR existierte. Die Visualisierung dieser Entwicklung zeigt Bild 5:
Zusammenfassend ist erkennbar:
1 Zeitabschnitt: Brandschutz erscheint als Weistum
2 Zeitabschnitt: Brandschutz ist Satzungsrecht
3 Zeitabschnitt: Brandschutz wird Gebotsrecht
2 Brandschutz im Späten Mittelalter (13.-15. Jh.)
2.1 Gesellschaft und Brandschutz
Die Gründung der Hanse 1254 sorgte zwar für einen Handelsaufschwung, aber Lesen, Schreiben und Rechnen waren nur wenigen kirchlichen Bildungsträgern zugänglich. Die Menschen kämpften permanent um ihr Überleben:
– Missernten und Naturkatastrophen führten zu Hungersnöten.
– Mitte des 14. Jh. wütete in den Städten die Pest.
– Es folgte die Agrarkrise, die zur Landflucht und zur Überbevölkerung in den Städten führte.
Das Leben in der spätmittelalterlichen Stadt war zwar erstrebenswert,