Bauphysik-Kalender 2021. Группа авторовЧитать онлайн книгу.
20) näher bestimmt. Damit war der Grundstein für die erste technische Brandschutznorm DIN 4102 gelegt, die 1934 veröffentlicht wurde (Bild 21).
Die nunmehr fast 90jährige Geschichte dieser Brandschutznorm und die noch heute gültige Einheitstemperaturzeitkurve rechtfertigen es sicher, von einem bedeutenden Meilenstein in der Brandschutzgeschichte zu sprechen.
Bild 20. Einheitstemperaturkurve von 1934, DIN 4102-Blatt 3 (aus [1])
Bild 21. DIN 4102-Blatt 1:1934 (aus [1])
4.6 Brandschutztüren und Brandschutzglas
Vielfältige Bauteile entwickelten sich nun im Zuge der Industrialisierung auch unter der gesetzlichen Maßgabe, feuersicher sein zu müssen. 1910 galt beispielsweise eine Türe als feuerhemmend, wenn sie
– aus 4 cm dicken Eichenholz besteht,
– und mit Stahlblech ummantelt ist,
– selbstständig zufällt und
– rauchdicht schließt.
Von diesen Türkonstruktionen im Bild 22 wurde erwartet, dass sie 30 Minuten einem Feuer standhalten. Bereits im Jahre 1887 beginnt Otto Schott mit der Entwicklung von hitzbeständigem Borosilikatglas. Im Jahr 1918 folgte dann die Massenproduktion feuersicherer Gläser. Insbesondere das Siemensche Drahtglas oder das Elektroglas galten als bis zu 1000 °C temperaturbelastbar und damit als feuersicher (Bild 23). Der bauliche Brandschutz wurde durch diese feuersicheren Bauteile und Bauweisen in den Gesetzen sehr konkret und materiell.
5 Erkenntnisse
Die Geschichte des Brandschutzes ist ein Stück Rechtsgeschichte. So ist die Brandschutzentwicklung eng mit der Geschichte der Gesetzgebung verbunden, welche durch die jeweilige rechtspolitische Gesamtsituation im Deutschen Reich flankiert wird. Doch der Brandschutz ist eindeutig technisch-konstruktiven Ursprunges, der sich den Moralgesetzen völlig entzieht [4], aber sehr wohl „bis zum Inneren des Menschen“ vordringt und das menschliche Dasein in seiner ganzen Vielfalt beeinflusst. Allein seine bis heute gültige Verankerung im deutschen Recht erfordert es, bei technischen Fragen immer wieder den Bezug zur Rechtsquelle zu finden, gleichwohl wissend, dass daraus in weit größerem Maß bauliche und statisch-konstruktive Auswirkungen resultieren. Daher bleibt die baurechtliche Brandschutzpraxis bis heute den Feuerwehren, den Ingenieuren, den Architekten und Baumeistern vorbehalten, auch wenn die Koexistenz von Recht und Technik den handelnden Personen nicht immer leichtfällt, was insbesondere bei Nachweisen zum Bestandsschutz deutlich wird. Denn auch für diese spezielle Nachweisführung, die heute im Einzelfall den Bestand schützen kann, ist die Kenntnis und Auswertung baurechtshistorischer Quellen bedeutsam. Zusammenfassend erkennen wir:
1 Brandschutzgesetze gehören zu den ältesten Sicherheitsgesetzen.
2 Das gesellschaftliche Risikobewusstsein folgt immer der Schadenserfahrung. Brandschutzgesetze besitzen damit eine empirisch erzeugte Logik.
3 Brandschutz ist Teil der öffentlichen Ordnung und deshalb seit Anbeginn eine Staatsaufgabe.
4 Brandschutz ist aber dennoch unpolitisch, machtstrategisch unberührbar und gleichzeitig systemimmanenter Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens.
5 Damit ist die Brandsicherheit konkurrenzlos. Sie kennt keine Rivalität.
6 Die Brandsicherheit ist unteilbar. Es ist nicht möglich, Einzelne von dieser Sicherheit auszuschließen.
7 Brandschutz orientiert sich seit Jahrhunderten allein an den technischen und personellen Möglichkeiten und an den monetären Ressourcen der Gesellschaft.
8 Brandschutzgesetze sind träg. Diese Trägheit erlaubt keine unmittelbare Vergleichbarkeit von geltender Schutzmaßnahme und eingetretenem Schaden. Vielmehr ist der Erfolg einer „eingeführten“ Schutzmaßnahme erst Jahre später festzustellen.
Brandschutz fühlt sich heute an, wie ein Theater bauen und dann keine Vorstellung geben. Man fragt sich, wofür haben wir eigentlich das Theater? Die sinkende Schadenserfahrung verringert heute unser Risikobewusstsein genauso, wie die erlebten Stadtbrände der Frühen Neuzeit zur verstärkten Vorsorge führten. Seit gut 100 Jahren gibt es keine Flächenbrände mehr und seit 40 Jahren sinkt die Zahl der Brandtoten in Deutschland. Aber ist das allein ein Fingerzeig, die offensichtlich bewährte Brandvorsorge zu reduzieren?
Bild 22. Geprägtes, 0,5 mm dickes Eisenblech mit Holzfüllung (aus [1])
Bild 23. Brandschutzglas aus 6 mm bzw. 3 mm dicken Glasscheiben (aus [1])
Wir müssen beachten, dass Brandschutzgesetze nur mit großer Trägheit wirksam werden, bevor wir die mühsam über Jahrhunderte erkämpfte Brandsicherheit leichtfertig aufgeben! Ob nun die Fensterlosigkeit in Kommunwänden oder die Notwendigkeit des 2. unabhängigen Rettungsweges in Frage stehen: Wir müssen zurückschauen, wenn wir den Brandschutz der Zukunft definieren! Denn aus der Entwicklung des Brandschutzes vom Späten Mittelalter bis zur Moderne sehen wir, dass die Brandsicherheit ein fragiles und teuer erkauftes Gut ist, dass nicht allein durch Hoffnung und Glauben zu substantivieren ist.
6 Literatur
[1] Heilmann, S. (2020) Entwicklung des Brandschutzes in Deutschland vom Späten Mittelalter bis zur Moderne. 2. Auflage in Vorbereitung. Pirna: vfbp.
[2] Zwierlein, C. (2011) Der gezähmte Prometheus. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht GmbH & Co. KG.
[3] Stolleis, M. (1988) Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Reichspublizistik und Policeywissenschaft, 1. Band: 1600-1800. München: Verlag C.H. Beck.
[4] Fehr, H. (1927, 1928) Recht und Wirklichkeit, Einblick in Werden und Vergehen von Rechtsformen, Band 1. Potsdam: Müller & Kiepenheuer Verlag, Zürich, Bern: Orell Füssli Verlag.
Sylvia Heilmann
A 2
Bauordnungsrechtliche Regelungen zur Verwendung von Bauprodukten und Bauarten
Dipl.-Ing. Peter Proschek
Riemeisterstr. 50, 14169 Berlin
Studium des Bauingenieurwesens an der Ruhr-Universität Bochum. Tätigkeit in Ingenieurbüros (Statik, Baukonstruktion). Laufbahnausbildung für den höheren feuerwehrtechnischen Dienst. Leitungsaufgaben in verschiedenen Bereichen der Berliner Feuerwehr. Referatsleiter Brandverhalten von Baustoffen, Brandschutzbeschichtungen beim Deutschen Institut für Bautechnik in Berlin.
Inhaltsverzeichnis
1 Anforderungen der Landesbauordnungen