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Der weiße Adler. Thomas WünschЧитать онлайн книгу.

Der weiße Adler - Thomas Wünsch


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polnischen Juristen der Folgezeit viel Mühe, ihre Argumentation durchzusetzen, dass Litauen, obgleich ganz oder teilweise »heidnisch«, Anspruch auf einen Respekt vor seinen Besitzungen und seiner staatlichen Unversehrtheit besaß. Diese Meinung war selbst nach der Nationentaufe Litauens 1387, im Zuge der Thronbesteigung des ersten Jagiellonen, strittig; ein knappes halbes Jahrhundert davor war die Gleichbehandlung des »heidnischen« Staatswesens Litauens mit christlichen Staatswesen hoch riskant. Dass Litauen überhaupt in das Mächtekalkül Polens mit einbezogen wurde, verdankt es der Tatsache, dass christliche Mächte gerade in diesem Teil Europas gegeneinander standen. Der »heidnische« Staat konnte sich so zum begehrten Partner für Allianzen entwickeln. Machtbasis war die Herrschaftsausweitung des litauischen Großfürsten Gediminas (Gedimin; reg. 1316–1341) in die ostslawische Sphäre. Bis zu seinem Tod im Jahr 1341 hatte das litauische Staatsgebiet das Fürstentum Halicz-Wolhynien erreicht, wo es auf das ebenfalls expandierende Polen traf. Damit etablierte sich Litauen als ernsthafter Anwärter für die Aneignung der Gebiete der Kiewer Rus’ (Russia in den Quellen). Dem Nachfolger Gedimins als Großfürst, Algirdas (Olgerd, reg. 1345–1377), sagte ein Chronist des Deutschen Ordens nach, er habe die ganze Russia als zu Litauen zugehörig gesehen. Sein Herrschaftsbereich grenzte unmittelbar an die Machtsphären Moskaus und Polens. Wenn die polnische Monarchie gegen den Deutschen Orden vorgehen wollte, musste sie sich mit Litauen verbünden, das den Deutschordensstaat ebenfalls als Hindernis für weitere Expansion wahrnahm. Die unter Kazimierz dem Großen 1366 erreichte Verständigung zwischen Polen und Litauen brachte dabei nicht nur den Deutschen Orden an der Ostsee in Bedrängnis, sondern veränderte die Machtbalancen in diesem Teil des östlichen und nordöstlichen Europas erheblich.

      Fokus: Heiligenkult und nationale Identität

      Bischof Stanisław von Krakau wurde 1079 ermordet und 1253 heiliggesprochen; seitdem ist er Patron Polens. Mit ihm und seiner Verehrung verbinden sich mehrere Stränge einer kirchlichen, politischen und ideologischen Weichenstellung im piastischen Polen, weshalb er stellvertretend für eine ganze Reihe von Heiligen hier vorgestellt sei. Nachdem vor seiner Zeit hauptsächlich der aus Böhmen kommende Adalbert und der über Italien nach Krakau vermittelte Florian in Polen verehrt wurden, steht Stanisław für den ersten genuin polnischen Heiligen. Seine Vita und sein Nachleben reflektieren bedeutende Stationen bei der Ausbildung eines polnischen Nationalbewußtseins, was bis in die Einordnung des Heiligen in den nationalen Mythos des 19. Jahrhunderts zu beobachten ist. Stanisław, dessen Herkunft nicht geklärt ist, erhielt seine Ausbildung an einer Domschule in Polen, vielleicht auch in Westeuropa. Für letzteres spricht, dass er als Bischof von Krakau seit 1072 eine Klerusreform nach westlichem Vorbild in Polen durchführte, in deren Mittelpunkt die Forderung nach einer »Freiheit der Kirche« (libertas ecclesiae) stand. Mit diesem Anliegen verband sich eine Wendung gegen das Eigenkirchenwesen, in dem der Grundherr die (niederen) geistlichen Ämter besetzte, aber auch gegen den Kern der ottonisch-salischen Reichskirche, in der die höchsten geistlichen Würdenträger (Bischöfe und Äbte) vom König in ihre Positionen eingesetzt und als Träger der Reichsverwaltung politisch in Dienst genommen wurden. In Polen waren diese Verhältnisse bislang unbestritten, und so wäre es nicht verwunderlich, wenn sich der Bischof mit dem regierenden Herzog Bolesław II. śmiały (»der Kühne«), der 1076 König wurde, vor diesem Hintergrund entzweit hätte. Die Kulmination dieses Machtkampfes, bei dem es, wenn die libertas ecclesiae (»Freiheit der Kirche«) das Motiv war, für das Königtum tatsächlich um eine tragende Säule seiner politischen Gewalt gegangen wäre, war die Ermordung des Bischofs 1079. Die besonderen Umstände dieser politisch motivierten Tat wurden später legendarisch ausgeschmückt: So berichtet der Benediktinermönch Gallus Anonymus darüber, dass der Mord während der Messe geschah, was ihn in den Augen der Zeitgenossen noch monströser machte, und dass der Leichnam zerstückelt wurde. Dies war die klassische Strafe für Verräter, und in der Tat hat man Stanisław auch eine Mitwirkung an einer Verschwörung hochrangiger Adeliger (Magnaten) bzw. eine Konspiration mit dem verfeindeten Böhmen unterstellt.

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      Zerstückelung des Leichnams des Bischofs Stanislaus (Stanisław) von Krakau, Altar mit Szenen aus dem Leben des hl. Stanislaus, frühes 16. Jahrhundert

      Bereits in die Sphäre des Nachlebens gehört die Tatsache, dass der Mord an dem Bischof die Eliten des Landes gespalten hat. Es begann damit, dass der verantwortliche Herrscher ins Exil gedrängt wurde und Herzog Władysław Herman 1088 eine Translation des Leichnams von Stanisław auf den Wawel durchführen ließ. Ansätze zu einer Heiligsprechung durch den Papst lassen sich seit der Amtszeit des Krakauer Bischofs Ivo Odrowąż 1229 beobachten; sie endeten erfolgreich unter seinem Nachfolger, Bischof Prandota, mit der Kanonisation Stanisławs in Assisi 1253. Wichtig für das Verständnis dafür, welche Reichweite dieses Ereignis der Ermordung eines Bischofs erlangen konnte, sind mehrere Faktoren: Zum einen war die Residenz der polnischen Herrscher seit 1039 von Herzog Kazimierz Odnowiciel (»dem Erneuerer«) von Gnesen nach Krakau verlegt worden und in derselben Zeit der Aufbau einer neuen Kirchenorganisation Polens erfolgt – nachdem ein böhmischer Einfall und eine sogenannte heidnische Reaktion die bisherige Kirchenstruktur nahezu vernichtet hatten. Bolesław II. fuhr einen Kurs der politischen Selbständigkeit für Polen, der vor allem durch Böhmen und daneben vom Römischen König bedroht war. Für seine antikaiserliche Politik bekam Bolesław II. von Papst Gregor VII. die Königskrone verliehen, wodurch erneut deutlich wird, dass der regierende Herzog und König eigentlich ein eminent »nationales« Projekt verfolgte.

      Die nachträgliche Stilisierung des im Machtkampf umgekommenen Bischofs als einer gesamtpolnischen Institution bedurfte also bestimmter Promotoren und eigener Rahmenbedingungen, die mit der Geschehenszeit nichts zu tun hatten. Parallelen mit dem 1170 (ebenfalls?) am Altar auf königlichen Befehl ermordeten englischen Erzbischof Thomas Becket, samt zügiger Heiligsprechung 1173, mögen stimulierend für die kirchliche Seite in Polen gewesen sein, die Kanonisation anzustreben. Eine Schlüsselrolle für die anhaltende und gesamtstaatliche bzw. nationale Verehrung des Krakauer Bischofs spielten jedoch die Legenden und Wunderberichte, die der Krakauer Dominikaner Vincentius von Kielce in der Mitte des 13. Jahrhunderts in zwei Viten (Lebensbeschreibungen) festhielt. Sie wurden in verschiedenen Chroniken und Kompendien des 14. Jahrhunderts übernommen und standen nach Auffassung der meisten polnischen Historiker in einem Kontext mit den politischen Anstrengungen Władysław łokieteks, das Königtum und damit einen vereinigten polnischen Staat wieder zu errichten. Stanisław wurde zum Bindeglied für die gesamte Dynastie der Piasten stilisiert, und in der Tat begegnet der Stanisław-Kult im 14. Jahrhundert nicht nur in Kleinpolen, sondern auch in Schlesien und Kujawien. Bereits im Mittelalter war Stanisław auf allen Ebenen der Verehrung präsent: als Objekt der Volksfrömmigkeit genauso wie als Schutzheiliger des polnischen Königreichs oder als Patron der Krakauer Universität. Die politische Dimension des Kults war dabei immer überrepräsentiert, und gerade im 19. Jahrhundert, in der Zeit eines (wiederum) geteilten Polen, stieg seine Bedeutung exponentiell an. Stanisław war der Vorkämpfer in der Auseinandersetzung mit den Teilungsmächten, und er spielte eine sichtbare Rolle in der nationalen Sammlung der Polen angesichts eines nicht mehr bestehenden Staates. Die Kirche im Krakauer Stadtteil Skałka, dem traditionellen Ort des Martyriums, wurde 1882, in der Zeit der Habsburger Herrschaft in Kleinpolen (»Westgalizien«), zu einem Pantheon berühmter Polen ausgebaut. In dieselbe Richtung geht die Errichtung neuer Kirchen mit seinem Patrozinium, die nach der Wiederherstellung Polens im Gefolge des Ersten Weltkriegs stattfand. Auch wenn Papst Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Polen 1979 vor allem die übergreifende christlichmoralische Vorbildfunktion des Heiligen hervorhob, blieb Stanisław doch in der längsten Zeit seiner Verehrung eine prominent politisch-nationale Figur.

      Exkurs: Polens Westgrenze – Schlesien, Pommern, Preußen

      Die (allgemeine) Frage nach der nationalen Zugehörigkeit von Teilbereichen zu einem nationalen Ganzen stellt sich im Fall Polens vor allem an der Westgrenze und an der Ostgrenze. Es sind zwei unterschiedliche Fragen: Bei der Westgrenze geht es um Territorien, die (größtenteils) dem polnischen Staat von Anbeginn angehörten, im Lauf der Zeit die staatliche Zugehörigkeit


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