Hypnodrama in der Praxis. Ruth MettenЧитать онлайн книгу.
2.2Ein Philosoph erklärt das Drama
2.2.1Mimesis – Akte schöpferischer Weltgestaltung
2.2.3Die Katharsis als Wirkung der Tragödie
2.2.4Die Katharsis als Wirkung der Komödie
2.3Auch wir begannen mit dem Drama
3.3Auf die Plätze, fertig, los
Vorwort
»Handeln ist heilender als Reden.«
Jacob Levy Moreno1
So viel steht fest: Führten Psychotherapeuten2 und Berater keine Gespräche mit ihren Klienten, könnten sie ihre Praxen in der Regel schließen. Ohne zu reden, geht’s nicht. Aber reicht Reden allein aus? Viele Vertreter der genannten Berufsgru ppen zweifeln inzwischen daran. Warum? Zugegeben, Reden kann Einsicht en vermitteln. Das ist keineswegs zu verachten. Doch ändern Menschen daraufhin ihr Erleben und Verhalten? Hören wir sie nicht oft genug sagen: »Eigentlich weiß ich ja, dass unangemessen ist, was ich gerade erlebe oder tue. Aber es geschieht trotzdem. Immer wieder tappe ich in dieselbe Falle.« So stellt es auch der Arzt, Psychotherapeut und Entwickler der hypnosystemischen Konzeption Gunther Schmidt fest. Nicht selten berichteten ihm Klienten in den Therapien oder Coachings, mehr als 300 professionelle Stunden an ihren Problemen gearbeitet, diese auch sehr gut verstanden und sich trotzdem nicht in der gewünschten Weise verändert zu haben (vgl. Schmidt 2014, S. 69). Humorvoll bringt der Arzt, Psychoanalytiker und Psychodramatherapeut Jochen Peichl diese bittere Erkenntnis in folgendem Witz auf den Punkt: Jahrelang sei ein Mann dreimal die Woche wegen Einnässens zur Psychoanalyse gegangen. Am Ende habe ihn ein Freund gefragt: »Na, hat’s geholfen, nässt du immer noch ein?« Worauf der Mann geantwortet habe: »Ja, schon, aber ich weiß jetzt, warum« (vgl. Peichl 201 5, S. 78). Soll verhindert werden, dass bei ent sprechenden Auslösern immer wieder der alte, unpassende Film abläuft, reicht es meist nicht, dem Betroffenen lediglich verbal zu deuten, aus welchem Grund dies ständig bei ihm geschieht. Ausgerechnet zwei Psychoanalytiker – Franz Alexander und Thomas Morton French – vertraten bereits 1946 diese Auffassung.3 Sie forderten deshalb, dass den Klienten korrigierende Erfahrungen ermöglicht werden müssten (vgl. Alexander a. French 1946, p. 22).4 Erfahrungen prägen unser künftiges Erleben und Verhalten in der Tat weit wirksamer als verbal vermittelte Einsicht en. Ein simples Beispiel mag das verdeutlichen. Wie viele Kinder berühren die heiße Herdplatte, obwohl sie eindringlich vor dieser Gefahr gewarnt worden sind? Wie viele von ihnen würden es wieder tun, nachdem sie selbst die bittere Erfahrung machten, sich an ihr verbrannt zu haben?
Wie der Altphilologe Ingemar Düring erklärt, war schon Aristoteles davon überzeugt, dass Wissen allein nicht genüge, um Menschen zu verändern (vgl. Düring 2005, S. 168). Darum galten ihm wohl auch die Dichter – und nicht die Philosophen – als die besten Lehrer des Volkes. Denn sie vermittelten Lernerfahrungen – Aristoteles verwendet dafür das Wort μάθησις (mathesis) (vgl. Poetik 1448b8). Allerdings nutzen auch sie dafür Worte. Reicht Reden zuweilen doch? Ganz bestimmt. Der Gebrauch der Worte begrenzt sich nämlich keineswegs auf den Transfer von Wissen. Durch sie hindurch kön nten zuweilen, so der Philosoph Georg Stenger, beschriebene Erfahrungen gewissermaßen auftauchen (vgl. Stenger 2006, S. 551). Worte in dieser Weise zu gebrauchen, ist nun geradezu die Spezialität der Dichter. Und nicht nur ihre. Hypnotherapeut en sind darin ebenfalls geübt. Mit ihren Worten lassen sich Menschen förmlich in Erfahrung en hineinzoomen. Diese Fähigkeit teilen sie mit den Dichter n. Sie ist nicht die einzige. Denn auch Hypnotherapeut en erschaffen Dramen. Der amerikanische Psychologe und Schüler von Milton H. Erickson, Jeffrey K. Zeig, sagt es ausdrücklich: Kliniker lernen mithilfe der Hypnose, erlebnisbasierte therapeutische Dramen zu kreieren, die die Veränderung fördern (vgl. Zeig 2015, S. 21). Um Menschen zu verändern, scheinen Aristoteles die Dramen sogar das wirkungsvollste Mittel überhaupt gewesen zu sein.
Wie effizient auf die Bühne gebrachte Dramen tatsächlich zu therapeutischen Zwecken eingesetzt werden können, entdeckte Anfang der 1920er-Jahre der Arzt und Philosoph Jacob Levy Moreno wieder (vgl. Moreno