DSA: Rabenbund. Heike WolfЧитать онлайн книгу.
dass er hier nirgends bleiben konnte. Er kannte den Dschungel der Stadt, in dem er untertauchen konnte, wie es ihm gefiel, Doch das hier war eine andere Art von Dschungel, genauso unberechenbar und tödlich, in dem er nicht der Jäger war, sondern die Beute.
So bemerkte er die Bewegung den Moment zu spät, den er gebraucht hätte, um noch zwischen den Farnen abzutauchen. Zwei heruntergekommene Gestalten standen plötzlich vor ihm, so unvermittelt, dass sie wohl auf der Lauer gelegen haben mussten. Schmutzige, vielfach geflickte Lumpen hingen ihnen von den Schultern, und in den Händen hielten sie Säbel, die an mehreren Stellen bereits Rost angesetzt hatten.
»Halt!«, schnarrte der Jüngere von ihnen unnötigerweise. Die Spitze seines Säbels zitterte vor Saids Nase. »Wer bist du?«
»Ich suche Rahanez.« Saids Stimme zitterte vor Anstrengung, und er hoffte, dass er sich in der ehemaligen Gladiatorin nicht getäuscht hatte. Wenn das eine Falle sein sollte, hatte er nach seiner Flucht und dem Marsch durch den Dschungel kaum noch die Kraft, sich ernsthaft zur Wehr zu setzen. »Sie hat mir eine Nachricht in Travinaia zurückgelassen. In meinem Beutel.« Er deutete mit einem Nicken auf die Tasche an seiner Seite. Die Hände mit dem Strecken und dem Dolch bewegte er lieber nicht.
Die beiden tauschten einen unsicheren Blick. »Woher sollen wir wissen, dass du uns nicht anlügst?«, fragte der Ältere nun misstrauisch. »Vielleicht bist du ja ein Spitzel der verfluchten Schwarzen Garden.«
»Die Garden hätten sicher jemanden geschickt, der besser zu Fuß ist als ich im Augenblick.« Ein bitteres Grinsen zuckte in seinen Mundwinkeln. »Bringt mich zu Rahanez, wenn ihr mir nicht glaubt. Sie kennt mich. Mein Name ist Said ... Said Bonareth.«
Der Jüngere warf einen fragenden Blick zu seinem Gefährten, der die Stirn runzelte und Said nun eingehender musterte. »Komm mit«, befahl er knapp. »Wenn du wirklich der bist, der du zu sein behauptest, wirst du bereits erwartest. Wenn du uns täuschst, werden wir dich töten.«
Said nickte ergeben und ließ zu, dass sich der Jüngere hinter ihn schob und ihm mit gewichtiger Miene folgte, während der Ältere voranging.
Sie hatten vielleicht hundert oder zweihundert Schritt hinter sich gebracht, als sich der Dschungel unvermittelt lichtete und sich vor ihnen eine Lichtung erstreckte. Verwilderte Felder ließen erahnen, dass es sich um eine ehemalige Plantage handelte, die man einst dem Urwald abgetrotzt hatte. Nun hatte die Wildnis einen Großteil des Landes zurückerobert und rückte an einigen Stellen bereits bis an die verbliebenen Gebäude heran, die verwittert und zerfallen nur noch erahnen ließen, wie es hier früher einmal ausgesehen haben mochte. Allerdings schien der Ort keineswegs verlassen. Dutzende abgerissene Gestalten lungerten zwischen den Ruinen herum und blickten ihnen neugierig entgegen, während sie auf das Hauptgebäude zuhielten, das noch am besten erhalten zu sein schien. Der Geruch von billigem Mohacca und Alphana hing in der Luft und der Rauch feuchter Kochfeuer.
Said spürte die Blicke, die ihm folgten, während er sich die Stufen hinaufquälte. Er war fast erleichtert, als der ältere seiner Führer ihm mit einer Geste zu verstehen gab zu warten. Schwer stützte er sich auf den Stecken und schloss einen Moment lang die Augen, um sich zu sammeln und gegen den Schwindel und das Zittern in seinen Knien anzukämpfen.
Als er sie wieder öffnete, stand Rahanez vor ihm. Die Gladiatorin schien gewachsen zu sein, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Nichts erinnerte mehr an die versoffene Frau, die in ihrer erbärmlichen Hütte hauste. Ein herrischer Zug lag um ihren Mund, als sie aufrecht vor ihm stand, die Schultern zurückgezogen wie ein General vor der Schlacht.
»Du kommst spät«, stellte sie fest.
Said richtete sich auf und sah ihr in die Augen. »Ich wurde aufgehalten.«
»Ich habe davon gehört.« Ihre Lippen kräuselten sich und formten ein vielsagendes Grinsen. »Leute erkundigen sich nach dir, sprechen deinen Namen aus. Das ist gut.«
»Es wäre besser, wenn meine Suche nach meiner Schwester Erfolg gehabt hätte.«
»Das wird sie. Wenn wir so weit sind. Ich habe die Zeit genutzt.«
»Das sehe ich.« Said warf einen Blick über die Schulter, wo die zerlumpten Gestalten inzwischen nähergekommen waren und sich abwartend um sie geschart hatten. Es waren mehr, als er im ersten Moment angenommen hatte, achtzig, vielleicht hundert, die ihn ansahen, misstrauisch manche, die meisten aber aufmerksam und gespannt, als erwarteten sie, dass er etwas tue oder sage.
»Sie sind bereits deinem Vater gefolgt«, hörte er Rahanez’ Stimme neben sich. »Jetzt sind sie hier, um dir zu folgen. Ich habe ihnen gesagt, dass es dich gibt, und dass du sie führen wirst, wie dein Vater es getan hat.«
»Du hast eine Armee gesammelt!«
»Noch sind wir keine Armee. Aber wir werden jeden Tag mehr.« Rahanez legte die Hand auf Saids Schulter und zwang ihn mit sachtem Druck, sich der Menge zuzuwenden, sodass er in die hageren Gesichter sah, die ihn erwartungsvoll anblickten. »Sie wollen Rache«, sagte sie leise. »Gib ihnen Blut, und du hast eine Klinge, die scharf genug ist, um jede Kette zu zersprengen. Sie haben auf dich gewartet. Bist du bereit, sie zu führen?«
Said holte Luft. Irgendwo in seinem Hinterkopf klangen noch die Worte des Geschichtenerzählers wider, aber er schob sie beiseite. Was wusste der alte Mann schon von Inion und der Falschheit einer Shantalla Karinor? Von dem Versprechen, dass Said seiner Mutter gegeben hatte und dem Verrat der Silberberger? Er hatte versucht, andere Wege zu gehen, aber er war gescheitert. Wenn er sein Schicksal in die Hand nehmen wollte, brauchte er eine Waffe, die stark genug war, dass man ihn fürchtete. Und diese Waffe hatte schon einmal den Silberberg mit Blut getränkt. Für einen kurzen Moment tauchte Amato Paligans Gesicht vor seinem geistigen Auge auf, doch er schob das Bild entschlossen beiseite. Die Gründe des jungen Granden, ihm zu helfen, waren nicht weniger egoistisch als die einer Shantalla Karinor oder eines Meister Darjin. Wenn er Inion retten und den Namen seines Vaters tragen wollte, durfte er keine Rücksicht mehr nehmen, sonst würde man ihn zerschmettern. Er würde ein Niemand bleiben, der Sklave, als der er geboren wurde.
»Ich bin bereit«, sagte er leise und straffte die Schultern. Mit einer harschen Bewegung schüttelte er Rahanez’ Hand ab und trat einen Schritt vor. »Ich bin bereit«, wiederholte er mit fester Stimme, die in die erwartungsvolle Stille lauter klang als erwartet, »euch zu führen. Wenn ihr bereit seid, mir zu folgen!«
Der ausbrechende Jubel verriet, dass die Klinge scharf war.
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