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Wenn alle Stricke reißen. Beate VeraЧитать онлайн книгу.

Wenn alle Stricke reißen - Beate Vera


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der Familie wird es also an Geld nicht mangeln.«

      Lea sah Glanders Partnerin erschrocken an. »Handelt es sich etwa um Tara Berthold?«

      Merves Augen weiteten sich. »Sie kennen das Mädchen?«

      Lea nickte. »Ja, wenn auch nicht sehr gut. Sie ist ein paar Jahre jünger als mein Sohn. Duncan ging auf dieselbe Schule wie Tara, und sie waren beide in der AG Theater und Musik. Die Truppe hat sich manchmal bei uns getroffen und Texte einstudiert. Einer der Jungs aus der Gruppe wohnt auch hier in der Straße, Tobi Verheugen. Er ist ein ehemaliger Klassenkamerad meines Sohnes, die beiden sind Freunde geblieben. Wie kurios, ich habe ihn gerade heute Morgen getroffen! Die arme Frau Berthold, sie ist sicherlich krank vor Sorge.«

      »Glander sagt, sie ist einigermaßen gefasst. Frau Storm, können Sie mir mehr über diesen Tobi erzählen?«

      »Sagen Sie doch bitte Lea! Tobi ist ein netter Kerl, sehr sportlich und ziemlich begabt in Mathematik. Er hat eine kleine Schwester, zwischen den beiden liegen zehn Jahre. Klara kam mit einer Behinderung zur Welt, das war nicht einfach für die Familie. Tobi war ein fröhlicher Junge, aber nach der Geburt seiner Schwester veränderte er sich sehr. Es ist nicht leicht, wenn der Kronprinz entthront wird. Die Eltern haben sich bestimmt Mühe gegeben, aber sie konnten mit seiner Eifersucht nicht umgehen. Ihre ganze Sorge galt dem Baby. Tobi war schon immer als Klassenclown und Störenfried verschrien, aber ab der neunten Klasse bekam er immer mehr Probleme und wäre beinahe von der Schule geflogen. Gezielte Tests führten schließlich zu der Diagnose ADHS. Seitdem nimmt Tobi Medikamente, er hat eine Therapie gemacht, und jetzt geht es ihm besser. Die Krankheit und ein Jahr im Ausland kosteten ihn aber zwei Schuljahre.«

      »Was machen die Eltern?«

      »Die Mutter arbeitet in der Redaktion einer Tageszeitung, der Vater in der angeschlossenen Druckerei. Tobi war immer schon viel sich selbst überlassen, Klara geht auf eine Ganztagssonderschule – sorry, in ein sonderpädagogisches Förderzentrum mit Ganztagsbetreuung, das heißt ja heute alles anders. Abends kümmert sich die Oma um die Kinder, bis die Eltern nach Hause kommen. Sie lebt in der Seniorenwohnanlage nicht weit von hier. Tobi hat vor zwei Jahren in den Ferien ein Schülerpraktikum in der Firma meines Mannes gemacht. Er hat wohl einen guten Eindruck hinterlassen, alle waren sehr angetan von ihm.«

      »Und was wissen Sie über die Bertholds?«

      Lea schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nicht sehr viel. Tara machte auf mich immer einen zurückhaltenden Eindruck. Sie ist ein sehr hübsches Mädchen, aber nicht eingebildet. Auch merkt man ihr nicht im Geringsten an, dass sie aus einem betuchten Elternhaus kommt. Ihr Vater gehört wohl zu den Topgehirnchirurgen. Er hat der Schule seiner Tochter einen Raum für naturwissenschaftliche Experimente gesponsert und ist bezirkspolitisch engagiert. Zumindest war er das, als Duncan die Schule noch besuchte.«

      »Was ist mit Taras Mutter?«

      »Sie kenne ich kaum. Es gab ja bis auf die Theater-AG keine Berührungspunkte zwischen Tara und Duncan. Das Aussehen hat Tara aber eindeutig von ihrer Mutter, und ich nehme an, auch das freundliche Wesen. Ich habe Frau Berthold als auffallend schön in Erinnerung. Die arme Frau, ich mag mir gar nicht ausmalen, wie es ihr jetzt geht.«

      »Lea, ich bin sicher, wir kommen noch einmal auf Sie zu. Je mehr Einblick wir in Taras Umfeld haben, desto leichter können wir herausfinden, wer es auf die Familie abgesehen haben könnte. Wissen Sie, wo Glanders Laptop ist? Und könnten Sie ihm einen Satz Wechselwäsche und sein Waschzeug zusammenpacken? Wir werden uns vorerst bei den Bertholds einrichten müssen.«

      Lea nickte. »Natürlich. Wenn Sie mich kurz entschuldigen, das dauert nicht lange.«

      Während Lea Glanders Sachen zusammensuchte, schaute sich Merve die gerahmten Fotos an, die auf einem Sideboard im Wohnzimmer standen. Sie zeigten Lea über einen Zeitraum von rund zwanzig Jahren. Glanders neue Freundin stand auf jedem Foto an der Seite eines großen, gutaussehenden dunkelhaarigen Mannes mit dunklen Augen und eindringlichem Blick. Der Junge, der in der Bildergalerie vor Merves Augen an der Seite seiner Eltern heranwuchs, hatte die kastanienbraunen Haare, die grauen Augen und das strahlende Lächeln seiner Mutter und wirkte doch wie ein Abbild seines Vaters. An der Treppe hing ein mit Bleistift gezeichnetes Porträt von Leas Mann, das den Blick auf sich zog. Die Storms waren eine schöne Familie gewesen, und Merve ahnte, wie hart der Tod ihres Mannes Lea getroffen haben musste. Ob Glander wirklich wusste, worauf er sich einließ?

      »Wir haben in jedem Sommerurlaub ein Foto gemacht.« Lea war zu Merve getreten und stellte Glanders Tasche auf dem Boden ab.

      »Sie sehen sehr glücklich zusammen aus.«

      »Das waren wir auch. Bis zum Ende.«

      »Es muss für Sie schlimm gewesen sein, Ihren Mann zu verlieren.«

      Leas trauriges Lächeln sprach Bände, und Merve verabschiedete sich. »Ich muss leider wieder los, Glander und ich haben eine Menge zu tun. Es hat mich sehr gefreut, Lea.«

      »Mich auch. Hoffentlich geht es Tara gut! Und hoffentlich finden Sie das Mädchen schnell!«

      Merve nickte ihr zu und verabschiedete sich.

      Lea sah ihr nach und schloss die Haustür mit einem flauen Gefühl in der Magengegend.

      Tara war eingeschlafen. So reagierte sie stets auf Stress. Wenn ihre Eltern sich mal wieder stritten, übermannte sie einfach der Schlaf.

      Die Luke in der Decke des Kellerverlieses wurde geöffnet, und eine schlanke Gestalt brachte einige Sachen herunter: eine Isomatte, ein Kissen und eine Fleecedecke, danach einen Korb mit Butterbroten, Salami und Käse, einer Tafel Schokolade und zwei Flaschen Mineralwasser, ferner einer kabellosen Universalleuchte mit Druckschalter, einem Satz Batterien für die Taschenlampe und drei abgegriffenen Taschenbüchern – Markus Zusaks Die Bücherdiebin, Der Junge mit dem Herz aus Holz von John Boyne sowie Mary M. Kayes Palast der Winde. Als Letztes folgte ein Eimer mit Deckel, in dem eine Rolle Toilettenpapier, eine Zahnbürste und eine Tube Zahnpasta lagen.

      Die Gestalt betrachtete das schlafende Mädchen einen Moment lang im Schein der Taschenlampe und deckte es zu. Dann stieg sie die Leiter hinauf und zog diese hinter sich hoch. So leise, wie sie sich geöffnet hatte, schloss sich die Luke wieder, und Tara lag erneut in völliger Dunkelheit.

      In der Lüdersstraße 23 öffnete Glander Merve die Tür und begrüßte sie knapp. Nachdem er sie Maria Berthold vorgestellt hatte, holte Merve aus ihren zwei Aluminiumkoffern die Ausrüstung zur Telefonüberwachung. Sie verband sie mit der ISDN-Anlage der Bertholds und aktivierte kurz vor halb drei Uhr nachmittags die entsprechende Software auf dem dafür konfigurierten Laptop.

      Als die Überwachung stand, wandte sich Merve an Maria Berthold. »Frau Berthold, ich habe die Abhöranlage installiert. Sollten die Entführer telefonisch Kontakt aufnehmen, wird das Gespräch aufgezeichnet, und wenn der Anruf lange genug dauert, können wir ihn vielleicht sogar zurückverfolgen. Ich würde zusätzlich gerne Kameras vor Ihrer Wohnungstür und an den beiden Hauseingängen anbringen. Aus rechtlichen Gründen bräuchten wir für diese Maßnahme eigentlich das Einverständnis Ihrer Mieter. Zeit haben wir dafür jedoch nicht, zumal wir möglichst diskret vorgehen müssen, wenn Sie den Fall nicht der Polizei übergeben wollen – wozu ich Ihnen noch einmal ganz dringend rate. Wir haben zwar gute Geräte, aber die Polizei hat das ganze Highend-Spektrum am Start. Herr Glander und ich sind nur zu zweit, die Kollegen können auf viel mehr Personal zurückgreifen. Die Aufklärungsrate bei erpresserischem Menschenraub liegt bei 85 bis 90 Prozent. Bitte denken Sie noch einmal darüber nach! Wir können den Fall jederzeit übergeben.«

      Maria Berthold schüttelte vehement den Kopf, Panik in ihren Augen. »Nein, das kommt doch heraus, und dann bringen sie meine Tara um! Sie müssen mir versprechen, dass Sie die Polizei nicht eigenmächtig informieren, bitte!«

      Merve nickte und sah Glander an. Der wandte sich seinerseits beschwichtigend zu Maria Berthold. »Beruhigen Sie sich! Wir werden fürs Erste lediglich Nachforschungen anstellen. Bitte besprechen Sie das Vorgehen aber unbedingt mit Ihrem Mann! Vielleicht kann er Sie ja davon überzeugen,


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