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Psycho im Märchenwald. Sebastian BartoschekЧитать онлайн книгу.

Psycho im Märchenwald - Sebastian Bartoschek


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hatte. Am Abend, als er heim kam und hörte daß ihm ein Söhnlein geboren war, freute er sich herzlich, und wollte ans Bett seiner lieben Frau gehen und sehen was sie machte. Da rief die Alte geschwind „bei Leibe, laßt die Vorhänge zu, die Königin darf noch nicht ins Licht sehen und muß Ruhe haben.“ Der König gieng zurück und wußte nicht daß eine falsche Königin im Bette lag.

       Als es aber Mitternacht war und alles schlief, da sah die Kinderfrau, die in der Kinderstube neben der Wiege saß und allein noch wachte, wie die Thüre aufgieng, und die rechte Königin herein trat. Sie nahm das Kind aus der Wiege, legte es in ihren Arm und gab ihm zu trinken. Dann schüttelte sie ihm sein Kißchen, legte es wieder hinein und deckte es mit dem Deckbettchen zu. Sie vergaß aber auch das Rehchen nicht, gieng in die Ecke, wo es lag, und streichelte ihm über den Rücken. Darauf gieng sie ganz stillschweigend wieder zur Thüre hinaus, und die Kinderfrau fragte am andern Morgen die Wächter ob jemand während der Nacht ins Schloß gegangen wäre, aber sie antworteten „nein, wir haben niemand gesehen.“ So kam sie viele Nächte und sprach niemals ein Wort dabei; die Kinderfrau sah sie immer, aber sie getraute sich nicht jemand etwas davon zu sagen.

       Als nun so eine Zeit verflossen war, da hub die Königin in der Nacht an zu reden und sprach

       „was macht mein Kind? was macht mein Reh?

       Nun komm ich noch zweimal und dann nimmermehr.“

       Die Kinderfrau antwortete ihr nicht, aber als sie wieder verschwunden war, gieng sie zum König und erzählte ihm alles. Sprach der König „Ach Gott, was ist das! ich will in der nächsten Nacht bei dem Kinde wachen.“ Abends gieng er in die Kinderstube, aber um Mitternacht erschien die Königin wieder und sprach

       „was macht mein Kind? was macht mein Reh?

       Nun komm ich noch einmal und dann nimmermehr.“

       Und pflegte dann des Kindes, wie sie gewöhnlich that, ehe sie verschwand. Der König getraute sich nicht sie anzureden, aber er wachte auch in der folgenden Nacht. Sie sprach abermals

       „was macht mein Kind? was macht mein Reh?

       Nun komm ich noch diesmal und dann nimmermehr.“

       Da konnte sich der König nicht zurückhalten, sprang zu ihr und sprach „du kannst niemand anders sein, als meine liebe Frau.“ Da antwortete sie „ja, ich bin deine liebe Frau,“ und hatte in dem Augenblick durch Gottes Gnade das Leben wieder erhalten, war frisch, roth und gesund. Darauf erzählte sie dem König den Frevel, den die böse Hexe und ihre Tochter an ihr verübt hatten. Der König ließ beide vor Gericht führen, und es ward ihnen das Urtheil gesprochen. Die Tochter ward in Wald geführt, wo sie die wilden Thiere zerrissen, die Hexe aber ward ins Feuer gelegt und mußte jammervoll verbrennen. Und wie sie zu Asche verbrannt war, verwandelte sich das Rehkälbchen und erhielt seine menschliche Gestalt wieder; Schwesterchen und Brüderchen aber lebten glücklich zusammen bis an ihr Ende.

       „Frommes Schwesterchen“ versus „böse Hexe“

      Im Märchen BRÜDERCHEN UND SCHWESTERCHEN, der Nummer 11 der Kinder- und Hausmärchen, haben wir es wieder mit einem Zaubermärchen der Gruppe „Übernatürliche oder verzauberte Verwandte“ (ATU 450) zu tun.

      In den Anmerkungen geben die Brüder Grimm zwei Erzählungen „aus den Maingegenden, die sich vervollständigen“ als Quellen an. Ebenfalls in den Anmerkungen enthalten ist eine Variante, die von Hans Rudolf (von) Schröter (1798-1842) beigesteuert wurde. Schröter war ein in Hannover geborener Bibliothekar und Altertumsforscher, der sich besonders um die großherzogliche Altertumssammlung in Ludwigslust verdient machte.

      In dieser Erzählung wird auch das Schwesterchen von der Stiefmutter verwandelt, in eine Ente nämlich. Es entspinnt sich ein Dialog in Versform zwischen den Geschwistern – Brüderchen möchte errettet werden, Schwesterchen bittet um Geduld. Auch nach den Lieben fragt das verzauberte Mädchen in Form eines Verses. In der Küche spricht es zum Koch die Worte:

      „Was machen meine Mädchen, spinnen sie noch?

      Was macht mein Glöckchen, klingt es noch?

      Was macht mein kleiner Sohn, lacht er noch?“

      Der Koch antwortet:

      „Deine Mädchen spinnen nicht mehr,

      dein Glöckchen klingt nicht mehr,

      dein kleiner Sohn weint allzusehr.“

      Auffällig ist in diesem Märchen der häufige Bezug zur Frömmigkeit in der Figur des Schwesterchens, das einen starken Gegenpol zur bösen Stiefmutter darstellt. Vergleicht man die Fassungen der Ausgaben von 1812 und 1857, sieht man, dass dieser Gegensatz im Laufe der Zeit von Wilhelm Grimm noch stärker herausgearbeitet wurde (in der ersten Ausgabe beruft sich Schwesterchen nur zu Beginn auf Gott).

      Die Stiefmutter ist in der späteren Version noch wesentlich „hexenartiger“ dargestellt, als in der von 1812. Sie geht den Kindern nicht mehr bloß nach, sondern schleicht, wie Hexen es tun und schafft nicht mehr nur eine verwunschene Quelle, sondern verwünscht gleich sämtliche Quellen im Wald.

      Ihr und der hässlichen Tochter wird in der Fassung von 1857 mehr Raum gegeben. Das Ende der beiden Bösewichte ist allerdings in beiden Versionen gleich.

      Die Fassung des Märchens in der ersten Ausgabe der KHM ist wesentlich rudimentärer. Brüderchen trinkt gleich von der einen Quelle, die die Stiefmutter hergezaubert hat und wird verwandelt und der König stößt auf der Jagd schlicht auf Mädchen und Reh, die im Wald in einer Höhle leben und nimmt beide mit.

      Die Jagdepisode scheint, laut den Anmerkungen einer der beiden zugrundeliegenden Erzählungen gefehlt zu haben. Die drei Quellen, die Brüderchen in unterschiedliche Tiere zu verwandeln drohen, sind als Motiv im Anhang zur Ausgabe von 1812 zu finden, mit dem Hinweis, das diese Geschichte nur als Fragment bekannt sei.

      Auch an diesem Märchen kann man die Bearbeitungsschritte der Märchensammler gut ablesen, die nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich erst den Kanon und die Erzählungen geschaffen haben, die uns heute als so selbstverständlich erscheinen.

       Was macht die Stiefmutter böse

      Wieso tun Menschen böse Dinge? Diese Frage bewegte wohl schon immer den Menschen. Und sie ist bis in unsere Tage aktuell. Die moderne Psychologie hat hierfür im Grunde zwei große Modelle, die einander mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber stehen.

      Auf der einen Seite gibt es diejenigen Psychologen, die behaupten, dass jeder von uns dazu in der Lage und Willens wäre, etwas Böses zu tun, wenn nur der Rahmen entsprechend wäre. Sie berufen sich dabei unter anderem auf einen Versuch zum Autoritätsgehorsam, bei der die überwiegende Anzahl der Versuchspersonen bereit gewesen wäre selbst tödliche Stromschläge einer ihnen unbekannten Dritten Person zuzufügen, wenn der Versuchsleiter eben dies (aus gutem Grund) verlangte1. In einem anderen bekannten Versuch steckte der US-Psychologe seine Versuchspersonen in ein gefaktes Gefängnis, teilte sie zufällig in Häftlinge und Wärter auf, und musste schließlich den Versuch abbrechen, weil die Wärter die Häftlinge anfingen massiv zu misshandeln. Gerade Zimbardo formte in den Folgejahren ein Modell, das im Kern besagt, dass jeder zu einer Bestie werden kann und wandte dies unter anderem auf den unsagbar brutalen Völkermord in Ruanda an. Dabei erschienen ihm als Schlüssel zu diesen Situationen die Entmenschlichung des Gegenübers, autoritäre Strukturen und Klarheit der Anweisungen.

      Auf der anderen Seite glaubt man, dass es etwas gibt, das Menschen unterscheidet, und einige Menschen zu bösen Taten treibt, andere nicht. Anders als religiös verwurzelte Personen glauben Psychologen dabei nicht


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