Sonnseitig. Schattseitig.. Anna AldrianЧитать онлайн книгу.
heimlich – und immer seltener – in die Waldkeusche. Immer dann, wenn sie in einer ausweglosen Situation von Afras Gebräu Rettung erhofften. Verscherzen wollte es sich keiner mit der absonderlichen Alten. Auf geradezu magische Art wusste sie alles, was in den Höfen und Häusern des Dorfes vorging. Einzig Julia hatte immer ein freundliches Wort und ein Glas Wein für Afra übrig, wenn diese, außer Atem vom steilen Weg, auf der Bank vor dem Sonnleitnerhof verschnaufte. Im Winter bat Julia ihren Mann, den Steig zu Afras Keusche vom Schnee freizuschaufeln, Brennholz hinunterzuschaffen und manchmal einen Sack Mais für die Hühner vors Haus zu stellen.
IV
Jahrtag
Es war noch nicht richtig hell, als Julia übernächtig und viel zu schnell ihren Wagen Richtung Autobahn lenkte. Wie aus dem Boden herausgewachsen tauchte Afra am Straßenrand auf. Julia bremste scharf ab.
„Du zitterst ja“, sagte Afra.
„Ihr habt mich erschreckt“, murmelte Julia, „steigt ein!“ Seit ihrer Kinderzeit benutzte sie, wie sie es von ihrer Mutter gehört hatte, der Alten gegenüber das altertümliche „Ihr“ und „Enk“, mit dem man früher jede Respektsperson angeredet hatte.
„Hast schlecht g’schlafen“, sagte Afra nachsichtig, „die Nacht war so hell.“
„Ja, ist wahr.“ Julias Stimme klang nervös. „Und wo wollt Ihr hin?“
„Nach Graz, ins Sozialamt. Wegen einer Gebührenbefreiung.
Julia musste lächeln. Die Alte würde auch diese bekommen, letztlich tat man immer, was sie wollte, um sie und ihre ziegenduftgeschwängerte Aura loszuwerden.
„Die Verena wohnt eh in der Näh.“
„Jetzt glaub ich’s bald selber schon, dass Ihr hexen könnt. Wie wisst Ihr, wo ich hinwill?“ Afra schaute aus dem Fenster.
„Und – wie geht’s Enk sonst?“, bemühte sich Julia den taktlosen Sager über das Hexen wiedergutzumachen. „Immer g’sund? Geht’s Enk eh guat?“
„Mir schon, aber dir net, Julerl.“
Afra nahm ihren Blick vom Fenster und ließ ihn mitleidig über Julia gleiten.
„Heut ist Jahrtag“, sagte Afra. Julia nickte beklommen. „Fünf Jahr, seit der Luis tot ist. Fünf Jahr und du kannst ihn net vergessen. Ein G’frett is des, ein G’frett. Hast ihn gern gehabt, wie du den Sigi nie gern haben kannst. Armer Teufel, der Sigi.“
Julia klammerte sich mit den Händen am Lenkrad fest, starrte beklommen geradeaus.
„Und die Verena“, setzte Afra nach, „die wird sich’s nie verzeihen, dass sie mir ihren kranken Bruder aus die Händ’ genommen hat. Ich hätt’ ihn g’sund gemacht. War nicht ihre Schuld. Angezeigt bin ich worden. Vom Herrn Primar! Angezeigt wegen Kurpfuscherei.“
Julia spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Beim nächsten Feldweg bog sie ein, hielt an.
„Die sind auch net blöd im Spital, ich hab’s damals derfragt, dass alle gegen das Operieren waren. Nur er, der Aff, der g’schleckte, er hat ihn aufschneiden müssen, den Luis. Wegen dem Geld“, setzte Afra im monotonen Singsang nach. „Umgebracht hat er ihn, der Stückler, der Herr Primar. Den ganzen Bauch hat der ihm versaut und vergiftet. Beim Operieren. Verrecken hat er ihn lassen, deinen Luis.“
Afra schwieg und wartete, bis das Zucken der Schultern neben ihr abgeebbt war.
„Und jetzt? Jetzt ist er selber tot, der geldgierige Dokta, der alte Stückler, der Bauchaufschneider“, setzte sie gleichmütig fort.
Julia nickte. Dann riss es sie hoch.
„Was?!“
„Kann passieren, dass so ein Heuballen ins Rollen kommt und einen erwischt und derdruckt. Kann passieren. Überhaupt, wenn der das verdient hat, der Mörder!“ Julia erstarrte.
„Freilich, dass dann so a Leich mitpresst wird mit dem Heu, bis der leutselige Herr Dokta selber a Heuballen ist, und dass er dann noch wie a Mumie in Plastik eingewickelt wird, das passiert net an jeden.“
Julia griff sich an den Hals, Grauen und Panik pressten ihr die Luft ab.
Die Alte setzte nach: „Die Afra ist überall, sagen die Dorfleut, net wahr. Sie sieht alles, sag’n die Leut. Vor mir brauchst keine Angst net haben, du net. Die Verena auch net. Aber wegräumen müssts ihn. Den Heuballen. Gestern hat der Sechserbock mit seine’ Krickerln den Ballen aufg’rissen. Verstehst? Der fangt an zum Faulen, zum Stinken. Der wird sich bald aufg’löst haben, unter der Plastikhüll. Sag das der Verena. Für was ist sie Ingenieurin bei einer Baufirma. Die wird schon an Weg finden. Die Verena. Immer noch a Bauernmadl, a tüchtig’s. Die fahrt an Lkw oder a Baumaschin genauso wie an Traktor“, Afra machte eine bedeutungsvolle Pause, „– oder wie a Heupress. Net wahr? Is ja liab von ihr, dass sie dir immer noch hilft bei der Bauernarbeit, die Frau Ingenieur, obwohl sie net deine Schwägerin worden ist.“
Julia machte den Mund auf; sie brachte kein Wort heraus. Afra hatte schon nach der Autotür gegriffen: „Dankschön fürs Mitnehmen. Ich hab nix zu tun in der Stadt, das mit dem Sozialamt hab ich schon geregelt. Wollt dir nur sagen, dass höchste Zeit ist, dass der Heuballen wegkommt. Pfiat di, Julerl.“
V
Auszeit
„Es ist mir sowas von egal, wo sich dein Vater vergnügt! Von mir aus in irgendeinem Puff in Bangkok oder in Santo Domingo. Hauptsache, er ist weit weg und spielt nicht dauernd hier den großen Zampano!“
„Elke, Schatz, reg dich ab. Wir brauchen sein Renommee. Für unser Projekt. Er kann nicht einfach verschwunden sein!“ „Er wird dir immer die Show stehlen wollen, solang er lebt.“ „Schatz, ich versteh deine Ressentiments. Aber erstens handelt es sich um meinen Vater, und dem verdank ich einiges. Und zweitens: Es ist doch seltsam, dass er eben keinen Flug irgendwohin gebucht hat, sondern einen Landaufenthalt.“
„Woher willst du das wissen?“
Elke Stückler sah ihren Mann nun doch mit einem gewissen Interesse an der Sache an.
„Also bitte, jetzt ist er schon mehr als einen Monat unauffindbar. Ich habe Nachforschungen anstellen lassen.“
„Lächerlich! Er ist ein erwachsener Mensch.“
„Ich bin auf ein Kellerstöckl im südsteirischen Weinland gestoßen, genauer in – Moment, wie hieß das? – in Oberlupitscheni. Da hatte er sich eingemietet. Er hatte ja von einer Auszeit gesprochen, erinnerst du dich?“
„Was? Das hätt’ ich ihm nicht zugetraut. Dein Vater kann ja ohne Publikum nicht sein. Nun ja, vielleicht sonnt er sich in der Bewunderung der Landbevölkerung.“
„Aber niemand hat ihn gesehen. Das Kellerstöckl steht ziemlich einsam, mitten in den Weingärten. Die Besitzer wohnen in Graz. Verstehst du jetzt, ich muss eine Anzeige machen. Ich kann ja nicht dort einbrechen – und überhaupt! Es könnte ihm ja was passiert sein.“
Elke Stückler blieb ungerührt: „Also, wenn ihn der Schlag getroffen hat, würden sich für dich einige Probleme lösen.“
„Oh Gott, Elke! Du bist so pietätlos wie blöd. Weißt du nicht, dass du nur einen Verstorbenen beerben kannst, der aktenkundig tot ist? Kapiert? Wenn wir nicht wissen, ob und wo er umgekommen ist, können wir jahrelang warten, bis er für tot erklärt wird.“
„Also dann. Abgängigkeitsanzeige. Womöglich liegt er halb verwest im Kellerstöckl.“
„Elke, er ist mein Vater, halte dich zurück!“
VI
Wellness
Ostermontag. Alles, was ein „Frühling im Weinland“-Prospekt verspricht, ist da. Sonnengelb wuchert