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Ruanda. Gerd HankelЧитать онлайн книгу.

Ruanda - Gerd Hankel


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ein Weißer, sitzt auf der Anklagebank, den Kopf mit einer Mütze bedeckt, und antwortet auf Fragen, die das Gericht ihm stellt. Der Name des Mannes und die ihm später zugedachte Strafe – zwölf Jahre Gefängnis – sind kaum auf der Einblendung am unteren Bildrand gelesen, als die erste Antwort kommt: Er heiße Georges Ruggiu, sei belgischer und italienischer Staatsangehöriger und habe von Anfang Januar 1994 bis Mitte Juli desselben Jahres als Rundfunkjournalist für den ruandischen Radio- und Fernsehsender Radio-Télévision Libre des Mille Collines gearbeitet. Er habe in seinen Sendungen dazu aufgerufen, »Kakerlaken« (inyenzi) – Tutsi und ihre oppositionellen Hutu-Verbündeten – zu töten. »Sich an die Arbeit machen« habe er die von seinen Zuhörern geforderte Handlung genannt. Warum er nach seiner Festnahme 1997 jahrelang seine Unschuld beteuert, sich aber schließlich entschlossen habe, ein umfassendes Geständnis abzulegen, könne er nur so beantworten, dass er lange gebraucht habe, um sich über die Tragweite seines Verhaltens klar zu werden. »Ich habe erkannt«, so Ruggiu an das Gericht und mittels Kamera auch direkt an den Zuschauer gerichtet, »dass es eine direkte Verbindung zwischen dem, was ich gesagt habe, und dem Tod vieler Menschen gab. Ich sah es daher als meine moralische Pflicht an, mich schuldig zu bekennen.« Weil er geständig gewesen sei und die Wahrheit gesagt habe, sei er nur zu einer vergleichsweise milden Strafe verurteilt worden, ergänzt die Stimme aus dem Off.

      Dann: das einen Übergang ankündigende Leichenfeld, das Aufstöhnen des Publikums, und ein anderer Angeklagter des Arusha-Gerichts wird eingeblendet, Athanase Seromba, ein Ruander. Er war, so erfahren wir, im April 1994 katholischer Geistlicher und Priester in der Gemeinde Nyange in der Provinz Kibuye. Dort soll er, wie das Gericht ihm anhand der Anklageschrift vorhält, verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich sein für den Tod von weit mehr als tausend Tutsi, die sich vor den feindseligen Hutu-Milizen in die Gemeindekirche geflüchtet hatten. Da die Milizen wegen der soliden Türen und des dicken Mauerwerks der Kirche nicht an die Flüchtlinge herankommen und deshalb, mehr zufällig, nur Einzelne töten konnten, habe Seromba, so erfahren wir weiter, einen Bulldozer bestellt, um die Kirche zu zerstören. Allein durch das einstürzende Dach seien schon sehr viele getötet worden, doch die Milzen hätten nun freie Bahn gehabt und die Überlebenden im Innern der Kirche mit Gewehren, Keulen und Macheten umgebracht. Nur wenige hätten, versteckt unter Leichenbergen, das Massaker überlebt.

      Ob er sich schuldig bekenne, fragt ihn die Richterin. »Nicht schuldig«, lautet die spontane Antwort Serombas, und sie ist noch nicht ganz verklungen, da zeigt die Kamera Bilder von einer zerstörten Kirche, in die die Stimme eines Mannes hineinspricht, der beschreibt, wie er mit einem Bulldozer die Kirche zerstören und später die Leichen in eine Grube schieben musste. Als die Kamera den Mann ins Bild nimmt, ist ein Gefangener in rosafarbener Gefängniskleidung zu sehen, der, während er im Gefängnis von Kibuye spricht, von weiteren Gefangenen umgeben ist, die wie er wegen des Massakers in der Kirche von Nyange bereits verurteilt worden sind und jetzt übereinstimmend aussagen, dass es der Priester Athanase Seromba gewesen sei, der damals, im April 1994, darauf bestanden habe, einen Bulldozer einzusetzen. Auch ein Überlebender kommt zu Wort. »Ich habe den Priester Seromba gesehen, als die Kirche zerstört wurde«, sagt er, um sich nach kurzer Überlegung verwundert zu fragen: »Wie kann er behaupten, dass er unschuldig ist?«

      Schnitt. Wieder das Leichenfeld, wieder das Aufstöhnen der Zuschauer. Dann der Gerichtssaal von Nyanza, einer ruandischen Stadt südlich von Kigali. Das Strafgericht verhandelt gegen fast ein Dutzend Angeklagte, allen werden Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Es ist der Moment der Urteilsverkündung. Die Angeklagten stehen vor der Richterbank, es sind Männer zwischen 30 und 60 Jahren. Direkt hinter ihnen sitzen dicht gedrängt die Zuhörer, die jedes Wort des Vorsitzenden Richters aufmerksam zu verfolgen scheinen. Fünfmal die Todesstrafe, Freiheitsstrafen von sechs Jahren bis lebenslänglich, dreimal Freispruch verkündet er, und außerdem haben die Verurteilten hohe Schadensersatzleistungen an die Opfer bzw. Überlebenden zu leisten. »Das Gericht hat alles in allem ein gutes Urteil gefällt«, meint ein Mann, als er nach der Verhandlung nach seiner Meinung gefragt wird. Und weiter: »Mehr konnten die Richter nicht machen, auch wenn noch viele Fragen offen bleiben.« Was für Fragen das sind, erklären andere. »Die Angeklagten haben nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich weiß, dass einer, der nur sechs Jahre bekommen hat, einen Mord begangen hat. Ich habe es selbst gesehen«, gibt jemand zu bedenken. Ein anderer wirft ein: »Gerechtigkeit? Nein, die gibt es hier nicht für uns Überlebende. Die Strafen sind viel zu niedrig. Was wirklich passiert ist, hat das Gericht nicht aufdecken können.« Eine Frau schließlich bringt das verbreitete Unbehagen auf den Punkt: »Wir hätten die Täter selbst befragen müssen. Dann hätten sie sich nicht, unterstützt von ihren Anwälten, herausreden können.«

      Wahrheit, Gerechtigkeit, Strafe – drei Begriffe, die für ihre volle Bedeutung, auch und vor allem für den Versöhnungsprozess, offensichtlich eine andere Form der Justiz benötigen. Das ist die Folgerung, die sich allen Zuschauern geradezu aufzwingt. Welche Form der Justiz das sein könnte, daran lässt der Film keinen Zweifel. Es ist die Gacaca-Justiz. Damit nähert sich die Veranstaltung ihrer eigentlichen Botschaft. Getreu der verbreiteten pädagogischen Grundregel, die Adressaten einer Botschaft »dort abzuholen, wo sie stehen«, beginnt die nächste Filmsequenz mit Aufnahmen von Gefangenen, die wie die meisten Zuschauer im Lagerraum Zivilkleidung tragen. Wir hören wieder die Stimme aus dem Off, die nun von der Religion spricht, die beiden, Tätern wie Opfern, bei der Aufklärung der vergangenen Verbrechen hilft. Den Tätern, indem sie es ihnen zur Gewissenspflicht macht, die Völkermordtaten zu gestehen und die Opfer um Verzeihung zu bitten. Den Opfern, indem sie ihnen die Pflicht auferlegt, das Geständnis der Täter anzuhören und ihnen zu verzeihen. Danach kommt ein Gefangener ins Bild und erzählt: »Ja, ich war an schlimmen Dingen beteiligt. Ich gehörte zu einer Gruppe von ungefähr 30 Personen und ich erinnere mich, dass wir in einer Nacht 26 Menschen getötet haben. Darunter waren auch viele Kinder. Die Toten haben wir in Latrinen geworfen. Was ich getan habe, bereue ich. Ich bin mir sicher, Gott hat mir verziehen. Die Menschen werden mir auch verzeihen, da habe ich keine Zweifel.« Ein zweiter Gefangener ist zu sehen, und auch er berichtet: »Ich weiß nicht, wie viele Menschen ich getötet habe. Ich weiß aber, dass unter ihnen auch Kinder waren. Und ich weiß, dass ich nicht allein war. Von denen, die hier vor mir stehen und mir zuhören, waren auch einige dabei. Wenn sie sich nicht stellen und gestehen, werde ich ihre Namen sagen. Ja, das werde ich.«

      So geht das noch mehrmals: Ein Gefangener tritt auf, sagt den Umstehenden, welche Verbrechen er begangen hat, versichert, dass er seine Taten bereut und auf Verzeihung hofft, und tritt ab. Der letzte Gefangene jedoch ist ausführlicher in der Darstellung seiner Taten, und dass das kein Zufall ist, sehen wir später, als die Opfer sich äußern. »Auch ich habe Böses getan«, beginnt er sein Geständnis. »Ich habe drei Kinder getötet, doch das habe ich nicht allein getan. Zwei andere waren noch mit dabei, nämlich … [er nennt die Namen]. Dann habe ich mich einer Gruppe angeschlossen. Mit der bin ich zu einem Haus gegangen. Alle, die in dem Haus waren, haben wir getötet. Das tut mir leid, und ich bitte die Angehörigen um Verzeihung.« Der Gefangene macht eine kleine Pause, sein Blick bleibt starr auf das ihm hingehaltene Mikrofon gerichtet, dann fährt er fort: »Ich bitte auch die alte Frau um Verzeihung, die vor der Tür eines anderen Hauses saß, in dem ich mehrere kleine Kinder getötet habe. Die alte Frau hat alles gesehen. Ich habe die Kinder mit der Machete getötet und im Hof in einem Erdloch vergraben. Andere waren da noch bei mir. Ich erinnere mich genau, dass … [er nennt einige Namen] mit dabei waren.« Nach diesen Worten macht die Kamera einen Schwenk auf das Gesicht einer älteren Frau. Mit unbewegter Miene sagt sie in Richtung des Gefangenen: »Du also warst es, der meine Enkelkinder getötet hat. Ja, ich erkenne dich. Verzeihen kann ich dir nicht, das ist Sache meiner Kinder, die überlebt haben. Denn deren Kinder hast du getötet. Was ich nur verzeihen könnte, ist der Tod meines Mannes. Er wurde umgebracht. Von wem, weiß ich nicht. Wenn der Mörder gestehen würde, wenn er aufrichtig bereuen würde, dann würde ich ihm, glaube ich, verzeihen.«

      Zweimal noch treten Täter und ihre Opfer beziehungsweise deren Hinterbliebene auf und schildern entweder ihre Taten oder ihre Bereitschaft, Geständnissen zuzuhören und zu verzeihen. Passend dazu weist Justizminister Mucyo von der Leinwand herunter darauf hin, dass ein Geständnis das Gewissen erleichtere. Viele geständige Völkermörder hätten ihm gesagt, dass sie sich nach dem Geständnis besser gefühlt hätten. Sie seien ruhiger geworden,


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