Der Duft von Pfirsichen. Denise HunterЧитать онлайн книгу.
über ihnen verbarg die Sonne, verdunkelte das Innere des Autos. Die Straße war einspurig und hatte bei genauerer Betrachtung mehr Lehm als Schotter. Auf beiden Seiten erhoben sich steile Böschungen. Draußen vor dem Fenster schnatterte ein Eichhörnchen, und auf einem Baum in der Nähe tschilpte eine Spottdrossel. Im Auto breitete sich Tannenduft aus.
Er lehnte sich in seinem Sitz zurück. „Und wo genau ist ‚da‘?“
„Wir haben fünfmal die Münze geworfen, also ist hier Endstation. Jetzt musst du dir etwas ausdenken, was man hier machen kann.“ Sie sah aus dem Fenster und erkundete zweifellos die Hügellandschaft, die sich windende Schotterstraße und die dichten Wälder.
Aber er konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Von ihrer sahnigen Haut, ihrer Stupsnase und diesem Haar, so wild und windzerzaust. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit Helium gefüllt, und sein Herz bearbeitete seine Rippen wie ein Preisboxer.
Während sie die Landschaft betrachtete, biss sie sich auf die Lippe. Ihre Unterlippe war voll, und die von Natur aus rosige Farbe brauchte keinen Lippenstift.
Doch, ihm fiel durchaus etwas ein, was man tun könnte.
Ihre Lippen zuckten nach oben, als sie sich zu ihm umdrehte. „Da hast du auf jeden Fall …“ Das Lächeln verschwand. In ihren Augen veränderte sich etwas.
Und wenn er es versucht hätte, er hätte den Blick nicht abwenden können. Wusste sie, dass sie das Herz in seiner Brust zum Stottern brachte? Dass er jeden Abend an sie dachte, wenn er im Bett lag? Dass er davon träumte, mit den Fingern durch ihre Haare zu fahren, ihre Lippen mit seinen eigenen zu liebkosen?
Ihm war nicht klar gewesen, wie nahe sie beieinandersaßen. Beinahe konnte er ihren Atem auf seinen Lippen spüren. Und auf einmal war beinahe nicht mehr genug. Von einer magnetischen Kraft angezogen, beugte er sich näher zu ihr und berührte ihre Lippen mit seinen. Weich. Unfassbar weich.
Unfassbar unsicher. War er ihr Erster? Bei dem Gedanken konnte er kaum atmen. Konnte kaum denken bei all den Emotionen, die ihn überkamen. Ein ärgerliches Schuldgefühl mischte sich darunter, doch er schob es von sich und streifte ihre Lippen noch einmal.
Diesmal reagierte sie energischer. Sie legte eine Hand an seine Wange, eine federleichte Berührung, die ihn bis ins Mark erschütterte.
Dass sie den Kuss erwiderte, machte ihn wie berauscht vor Verlangen nach ihr. Er konnte seine Finger nicht davon abhalten, ihr durchs Haar zu streichen. Es war so weich, wie er es erträumt hatte. Wie feine Seide. Ihr Duft umfing ihn wie eine herzliche Umarmung, die ihn noch näher zog.
Sein Blut pulsierte in seinen Adern. Der summende Pulsschlag wurde immer lauter, bis das Geräusch ihn aus seinem Traum aufweckte. Bis ihm aufging, dass da nicht sein Puls summte, sondern ihr Telefon.
Die Wirklichkeit meldete sich.
Die Wirklichkeit, zu der ihr Bruder gehörten und der Altersunterschied und ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe. Ein Bild ihres Vaters drängte sich ihm auf, der Cruz mit missbilligendem Blick von oben herab ansah. Zoe war zu Großem bestimmt. Er nicht.
Er ließ langsam von ihr ab und sah gebannt zu, wie ihre Augen sich blinzelnd öffneten. Wie ungeschützte, rohe Emotionen sich in diesen grünen Tiefen regten. Wie sich das sich regende Verlangen – nach ihm – erst in Verwunderung, dann in Verwirrung verwandelte.
Er hatte das Unmögliche geschafft: Er hatte sie sprachlos gemacht.
Was hatte er sich nur dabei gedacht? Sie war immer noch Bradys kleine Schwester. Diejenige, die ihm anvertraut worden war. Oh, er kümmerte sich nur allzu gründlich um sie.
Idiot.
Er rückte von ihr ab und sorgte für dringend benötigten Raum zwischen ihnen. Drückte seinen Rücken in die Lehne und faltete die Hände, ehe er noch etwas Dummes anstellte. Sie noch einmal berührte, beispielsweise.
Er räusperte sich. „Entschuldigung.“
Sie sah ihm lange in die Augen. Ihr Gesichtsausdruck wurde merklich kühler. „Entschuldigung?“
Das Telefon vibrierte immer noch, und er klammerte sich an die Ablenkung wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. „Du solltest da drangehen.“
Sie blinzelte ihn langsam an, zog dann ihr Telefon aus der Tasche und warf einen Blick auf das Display.
Ehe sie antworten konnte, verstummte das Gerät. Ihre Hand fiel ihr mitsamt dem Telefon in den Schoß. „Was … was war das? Warum hast du mich geküsst?“
Er lachte ironisch. Oh, die Antworten auf diese Frage. Die würden sie so dermaßen vom Hocker hauen, dass sie nicht wissen würde, was sie getroffen hatte.
„Es war ein Fehler. Entschuldigung.“
In ihren Augen blitzte Verletzung auf, rasch gefolgt von einem feuchten Tränenglanz.
Ein Schraubstock legte sich um sein Herz.
„Hör auf, das zu sagen“, sagte sie.
Er sah weg, konnte es nicht aushalten, den Schmerz zu sehen, den er ihr zufügte. Musste zu Ende bringen, was er angefangen hatte.
¡Estúpido!
Er schluckte schwer und versuchte, einen beiläufigen Tonfall anzuschlagen. „Du bist ein süßes Mädchen, das ist alles. Ich hätte das nicht tun sollen.“
Es folgte ein langes Schweigen, so lange, dass er dachte, er würde sterben. Er fuhr mit den Handflächen über seine Oberschenkel und studierte die Aussicht hinter der Windschutzscheibe.
„Ein süßes Mädchen“, wiederholte sie.
Er rüstete sich gegen die Angespanntheit in ihrer Stimme und setzte zum letzten Hieb an. „Das ist das Ding mit uns Kerlen, Zoe. Wir sind im Grunde genommen nur ein Haufen Idioten. Das solltest du besser jetzt lernen, wo du noch jung bist.“
Ihre Wangen leuchteten rot, und ihre Schultern versteiften sich, während sie ihn mit einem Blick durchbohrte. „Endlich etwas, bei dem wir einer Meinung sind.“
Nach einem schweren Moment griff er nach dem Schlüssel und drehte ihn um. Der Motor dröhnte laut in der Stille im Auto. Mit wild rasendem Herzen setzte er auf die Straße und ins blendende Sonnenlicht zurück.
Er wünschte, er könnte die Zeit zurückdrehen. Vielleicht würde er dann die Süße von Zoes Lippen nicht kennen. Diesen unfassbaren Kitzel, als sie reagierte. Die schwere Last ihres Schmerzes.
Aber der Moment zwischen ihnen war passiert, und nun würde er sein Leben lang damit zubringen, ihn zu vergessen.
KAPITEL 10
Zoe stand nicht gerne vor dem Morgengrauen auf, schon gar nicht im Sommer. Aber es war Erntezeit, und Pfirsiche pflückte man am besten in der Kühle des frühen Morgens.
Nebel hing über den Bäumen, als sie auf der Plantage ankam, und die Luft roch nach Tau und Erde. Im Osten erhoben sich die Berge majestätisch aus dem Dunst. Tiefblaue und rosa Streifen zogen sich über den Himmel. Nichts kam einem Sonnenaufgang über den Blue Ridge Mountains gleich.
Granny war mit ihrer Mannschaft bereits bei der Arbeit. In ausgeblichenen blauen Jeans und Arbeitsstiefeln hockte sie auf einer Leiter; ihr Oberkörper war wie vom Baum verschluckt.
Der Pritschenwagen stand in der Mitte. Auf seiner Ladefläche warteten die Plastikbehälter darauf, gefüllt zu werden. Zoe grüßte ein paar Mitarbeiter – diejenigen, die sie kannte. Leises Gemurmel und das leise Plumpsen der Pfirsiche, die in die Behälter geworfen wurden, durchbrachen die morgendliche Stille.
Als Zoe näher kam, hörte sie, wie Granny ihr Lieblingslied summte, „Sunday Sunrise“. Das alte Lied von Anne Murray erinnerte Großmutter an ihren verstorbenen Mann, und sie summte es oft.
„Guten Morgen, Granny.“ Ihre Großmutter lächelte sie über die Schulter an. „Morgen, Süße. Schnapp dir eine